Angelobung am Heldenplatz © Bundesheer

NEUES HEER UND ALLES WIRD GUT?

by Doppeladler


Angelobung am Wiener Heldenplatz. Bereits heute dienen 16.500 Berufssoldaten beim Heer. Für alle war der Grundwehrdienst der erste Schritt in ihrer militärischen Laufbahn. Die Nachwuchsprobleme anderer Staaten gibt es in Österreich kaum. © Bundesheer

Ohne näher auf derzeit diskutierte Modelle für ein neues Bundesheer einzugehen, möchte DOPPELADLER.COM jene Rahmenbedingungen ansprechen, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.

Was bleibt von der Reform ÖBH2010?

Spätestens 2010 war klar, dass von der gleichnamigen Bundesheer-Reform ÖBH2010 nur ein Scherbenhaufen übrig geblieben ist. Wir erinnern uns: Im Jahr 2004 wurde der Endbericht der Bundesheer-Reformkommission unter Helmut Zilk übergeben. Die abgeleitete Reform ÖBH2010, die im Kern eine Reduktion von 110.000 auf 55.000 Mann nach einer Mobilmachung vorsah, wurde damals von allen Parteien mitgetragen. Das neue Heer sollte „der neuen Sicherheitslage nach Ende des Kalten Krieges“ Rechnung tragen“ (kommt Ihnen bekannt vor?). Doch bis 2010 wurden fast ausschließlich jene Teile umgesetzt, die keinen Widerstand aus den Bundesländern hervorrufen und vor allem kein Geld kosten. Das Ergebnis: das geschrumpfte Heer befand sich Ende 2010 in einem schlechteren Zustand als 2004.

Österreichs Bundesheer ist daher wieder – streng genommen noch immer – reformbedürftig. Hierüber sind sich alle einig. Uneinigkeit herrscht schon bei der Problemanalyse und erst recht bei der Problemlösung.

„Der schlechte Zustand des Bundesheeres ist ein Versagen der Politik und kein Versagen der Wehrpflicht.“

Das derzeitige Mischsystem aus Wehrpflichtigen, Berufssoldaten und Miliz ist ein erprobtes und funktionierendes System, dass alle aktuellen Aufgaben des Bundesheeres effizient erfüllen kann. Es ist jedoch massiv verbesserungsfähig und -würdig. Natürlich könnten die Heeresaufgaben auch mit einem anderen Wehrsystem, wie z.B. einem Berufsheer (marketingtechnisch bevorzugt: „Freiwilligenheer“), erfüllt werden. Man muss sich aber bewusst sein, dass eine Umstellung auf ein neues Modell bestenfalls vorhandene Probleme mit neuen Problemen ersetzt und diese nicht alleine lösen kann. Denn jedes Wehrsystem benötigt entsprechende Rahmenbedingungen, damit es auch funktionieren kann.

Doch gerade das Schaffen von Rahmenbedingungen für ein einmal gewähltes Heeresmodell gelingt in Österreich seit zumindest 55 Jahren überhaupt nicht.

„Jene Fehler, die bereits die Reform ÖBH2010 scheitern ließen, sind in der laufenden Diskussion wieder zu beobachten.“

Und das sind keineswegs Fragen des Anteils der Berufssoldaten oder der Dauer des Präsenzdienstes. Unabhängig von der Entscheidung für ein weiterentwickeltes oder für ein konkretes Modell sollten die „Reformer“ einige Grundregeln beachten:

  • Realistische Aufgaben definieren

Die Aufgaben des Bundesheeres leiten sich aus einer Sicherheitsdoktrin (früher Verteidigungsdoktrin) ab, in der die Sicherheitslage und zu erwartende Bedrohungen umfassend dargestellt sein sollten. Auch die politische Antwort auf diese Bedrohungen sollte enthalten sein – die Eckpunkte der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Die resultierenden Aufgaben für das Bundesheer müssen möglichst konkret definiert werden und auch glaubhaft zu bewältigen sein. Sind die Aufgaben für das bestehende Heer zu anspruchsvoll, ist es Aufgabe der Politik das Bundesheer mit jenen Möglichkeiten auszustatten, die zur Auftragserfüllung erforderlich sind. Andernfalls ist das Bundesheer unglaubwürdig. Wer z.B. nicht glaubt, dass 50.000 Mann am Boden (das Ernst Happel Stadion in Wien hat mehr Sitzplätze) und 15 Kampfflugzeuge in der Luft zur Landesverteidigung ausreichen, der muss kooperative Verteidigungskonzepte ins Auge fassen und nicht darauf hoffen, dass nichts passiert.

„Bislang waren ‚Neutralität‘ und gleichzeitig ‚militärischer Beistand innerhalb der EU‘ selbst für Österreichs Politiker ein zu großer Spagat.“

Vor allem die Bereitschaft, auf Grundlage des Vertrags von Lissabon innerhalb der EU auch militärischen Beistand zu leisten wird in einer neuen Doktrin voraussichtlich nicht zu finden sein. Und das wäre die Vorraussetzung, um selbst Hilfe erwarten zu können.

Februar 2011 – eine C-130 Hercules des Bundesheeres evakuiert EU Bürger aus Ägypten. © Bundesheer

  • Das Heer benötigt ausreichende Budgetmittel

Jedes Heeresmodell hat seinen Preiszettel – wie beim Handy-Vertrag gibt es Errichtungsgebühr, eine Grundgebühr und nutzungsabhängige Gebühren. Wer heute bei den Zahlen schummelt bekommt statt einer Reform eine Totgeburt. Die Kosten des Wehrsystems müssen aus dem laufenden Budget heraus gedeckt werden können. Derzeit ist das nicht der Fall. Das Heeresbudget liegt seit langer Zeit unter den tatsächlichen Kosten des Systems. Das führt dazu, dass Infrastruktur verfällt, Fahrzeuge und Flugzeuge für Übungen nicht zur Verfügung stehen, aktive Luftraumüberwachung nur mehr schwerpunktmäßig möglich ist, Rekruten Hilfstätigkeiten verrichten müssen, Ausbildungszeit vergeudet wird etc.

Das Einsparungsziel von 530 Mio. Euro bis 2014 wird die Schere zwischen Budget und Kosten weiter verschärfen. Das Bundesheer ist bereits heute de facto zahlungsunfähig.

Die Rücknahme des Einsparungsziels und der Verzicht der vorherzusehenden Budgetkürzung nach dem Abstottern der Eurofighter (2014) würden nur den unbefriedigenden Status Quo sichern.

Da das Budget die Kosten nicht deckt, sind Kostenvergleiche alternativer Wehrsysteme mit dem derzeitigen Heeresbudget ein Vergleich von Äpfel mit Birnen und unseriös.

Österreich hat – gemessen am Brutto-Inlands-Produkt – eines der kleinsten Heeresbudgets in Europa. Die berühmte Friedensdividende wurde bei uns bereits während des Kalten Kriegs Jahr für Jahr ausbezahlt.

„Unser derzeitiges Mischsystem ist auch das Resultat jahrzehntelanger Unterdotierung und recht kostengünstig.“

Jede andere Lösung wird bei gleicher Leistung mehr kosten – das kann man doch ehrlich sagen. Deswegen sind andere Lösungen nicht grundsätzlich zu verwerfen.

  • Ebenso wichtig: ein ausgewogener Verteidigungshaushalt

Nicht nur die Budgethöhe, auch die Aufteilung der Budgetmittel ist entscheidend. Derzeit wird das Budget fast zur Gänze durch Personalkosten und den laufenden Betrieb verschlungen. Neuinvestitionen in Infrastruktur und Gerät sollten jedoch mindestens 30% der Haushaltsmittel ausmachen.

Schwankungen durch Einsatzkosten oder steigende Kosten für die Rekrutierung oder den Betrieb teurer Waffensysteme müssen durch Anpassung des Gesamtbudgets abgefangen werden und dürfen längerfristig nicht auf Kosten der anderen Budgetbestandteile gehen. Andernfalls wird jedes Wehrsystem in kürzester Zeit wieder reformbedürftig. Unser heutiges Bundesheer ist ein gutes Beispiel dafür.

So gliedert sich das Bundesheer 2010
Offiziere 2.800
Unteroffiziere 10.200
Chargen 3.500
Summe Berufssoldaten 16.500
Milizsoldaten 27.000
Grundwehrdiener (ca. 26.500/Jahr) 12.000
Zivilbedienstete 9.000
Mobilmachungsstärke rd. 55.000

Das Jagdkommando. Das österreichische Mischsystem produziert auch Profis für Kampfeinsätze. Unsere Soldaten genießen international einen hervorragenden Ruf. © Bundesheer

  • Umstellungsdauer und -kosten berücksichtigen

Paradefehler bei der Änderung/Adaption eines Wehrsystems wäre es, die Dauer bzw. die Kosten der Umstellung zu unterschätzen. Bei einer Umstellung auf ein Berufsheer wäre etwa zu berücksichtigen, dass die heutigen Berufssoldaten andere sind, als jene die man künftig haben möchte. Das Beamtendienstrecht wird eine schnelle Umstellung verhindern. Sowohl das Ausscheiden als auch die Rekrutierung von Berufssoldaten sind mit Kosten verbunden. Berufssoldaten haben auch andere Anforderungen an Unterkünfte bzw. Infrastruktur.

Kostenmäßig sind über die Systemkosten hinaus Zuwendungen erforderlich, bis sich ein neuer Regelbetrieb einstellt. Und das dauert, je nach Grad der Änderung, viele Jahre. Eine grundlegende Reform ist daher im Grunde nichts für Zeiten, in denen gespart werden muss. Gewarnt werden muss von der Absicht, diese Umstellkosten durch Liegenschaftserlöse zu decken – diese Effekte wurden schon bei der Reform ÖBH2010 deutlich überschätzt.

  • Notwendige Gesetzesänderungen beschließen

Staatliches Handeln muss sich immer auf Gesetze stützen. Anders als bei der Reform ÖBH2010 sind die erforderlichen Gesetzesänderungen auch tatsächlich zu beschließen: erforderliche Verfassungsänderungen, ein modernes Dienstrecht inkl. der Regelungen für Besoldung und Pension, ein neues Wehrgesetz, die Verpflichtung der Berufssoldaten zu Auslandseinsätzen, arbeitsrechtlicher Schutz während Übungen und Einsätzen der Miliz, im Falle einer Aussetzung auch genaue Regeln für die Wiedereinführung der Wehrpflicht, etc.

„Oftmals sind 2/3 Mehrheiten erforderlich, daher kann auch bei gutem Willen nicht jedes Gesetz in kurzer Zeit abgestimmt und beschlossen werden.“

Ein eigenes „Gesetz zur Umstellung des Wehrsystems“, beschlossen solange das Reformthema noch aktuell ist, könnte die Roadmap für den Gesetzgeber verpflichtend vorgeben.

Ein neues Wehrsystem löst keine Probleme. Statt einer „unangenehmer Staatsbürgerpflicht“ fängt man sich zwangsläufig Rekrutierungsprobleme ein, die nur mit viel Geld zu lösen sind. Dennoch kann man sich bewusst für ein teureres Modell entscheiden. Österreichische Berufssoldaten.
© Doppeladler.com

Zwei weitere wichtige Aspekte sind abseits von Budget und Recht besonders hervorzuheben:

  • Standortkonzept nach organisatorischen Anforderungen

Zu den Aufgaben des Bundesheeres gehört weder Befriedigung von Eitelkeiten der Landeshauptleute, noch die Unterstützung wirtschaftlich benachteiligter Regionen. Die Kasernenstandorte müssen den organisatorischen Anforderungen entsprechen. Unser Heer würde mit weit weniger, jedoch gut ausgebauten Standorten das Auslangen finden. Das würde die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur ermöglichen und die Inland-Logistik vereinfachen. Statt grenznaher Garnisonen und breiter regionaler Streuung sind gut erreichbare Ballungsräume, eine Anbindung an das Schienennetz und nahegelegene Flugplätze entscheidend.

Die neun Militärkommandos der Bundesländer sind ebenso unnötig wie die willkürliche Aufteilung einzelner Kommandos oder eines Bataillons auf mehrere Standorte. Auch die Anzahl der Fliegerhorste ist angesichts der starken Reduktion flugfähiger Maschinen kritisch zu hinterfragen.

„Doch für ein aufgabenorientiertes Standortkonzept muss das Heer zunächst aus der Geiselhaft der Landesfürsten befreit werden – neun mächtige Gegner.“

  • Berücksichtigung sämtlicher Auswirkungen

Nicht nur der Zivildienst ist von einer Verkürzung oder Abschaffung der Wehrpflicht betroffen. Auswirkungen gibt es auch auf den Arbeitsmarkt, das Bildungssystem, die Volksgesundheit, das Steueraufkommen, gesellschaftliche Integration usw.. Eine Änderung des Wehrsystems, selbst die Änderung einzelner Heeresaufgaben, ist immer auch gesellschaftlich und volkswirtschaftlich zu betrachten. Können beispielsweise Nebenerwerbs-Milizsoldaten hinsichtlich ihrer Durchhaltefähigkeit im Katastropheneinsatz die Vollzeit-Grundwehrdiener ersetzen?

Umgekehrt darf die Zivildienstfrage nicht die Frage des Wehrsystems beeinflussen. Der Zivildienst ist ein Wehr-Ersatzdienst und somit ein „Abfallprodukt“ der Wehrpflicht – auch wenn er billig ist und den Reformbedarf im Gesundheitssektor verschleiert.

Aufgrund dieser Komplexität muss klar sein: eine grundlegende Heeresreform kann nicht das Kabinett des Verteidigungsministers in wenigen Wochen alleine vorbereiten.

Die Luftraumüberwachung wird derzeit nicht in Frage gestellt. Dieses politische Kleingeld ist bereits gemacht.

Auch die Eurofighter Typhoon sind übrigens nicht Schuld am Reformbedarf. Sie machen nur deutlich, wie niedrig das Heeresbudget ist, indem die Beschaffung und der Betrieb von nur 15 Jets einen so großen Teil des Budgets verschlingt.
© Bundesheer

Schlusswort – Misstrauen angebracht

Die Bundespolitik hat in den letzten Monaten immer wieder das „Primat der Politik“ betont und den unbedingten Gehorsam der Militärs eingefordert. Doch dass sie nach über fünf Jahrzehnten plötzlich auch die damit verbundene Verantwortung wahrnimmt und die erforderlichen Rahmenbedingungen für das Bundesheer der Zukunft schafft, muss leider angezweifelt werden. Der Beitrag der Landespolitik beschränkt sich nach wie vor auf Versuche, sich ein möglichst großes Stück vom kleiner werdenden Kuchen zu sichern.

„Eine seriöse, in der Realität verankerten Sicherheits- und Verteidigungspolitik zum Wohl der österreichischen Bevölkerung erreicht man nicht durch eine weitere Heeresreform.“

Diese ist nur ein kleiner Baustein eines Gesamtkonzepts, über das man lieber nicht viel spricht. Dort lauern Fabelwesen wie die „immerwährende Rest-Neutralität“ aber auch konkrete Verpflichtungen – von den Petersberg-Aufgaben inkl. friedensschaffenden Kampfeinsätzen (notfalls auch ohne UN Mandat) bis hin zur Beistandspflicht innerhalb der EU (in welcher Form auch immer).

Unabhängig von der Entscheidung, ob das bestehende Heeresmodell inkl. der Wehrpflicht weiterentwickelt werden soll oder ein neues System eingeführt wird – die Politik muss die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Das wäre auch im Grunde die Rolle der Politiker. Denn konkrete Antworten auf die politisch definierten Heeresaufgaben sollten besser die Experten liefern.

Zu glauben, dass mit einem neuen Wehrsystem wie von selbst alles besser wird, ist jedenfalls naiv.

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1 comment

Max 27. Juli 2011 - 05:34

Das ist mal eine umfassende und objektive Betrachtung des Themas Heeresreform!

Ich denke die Rekrutierungs-Chancen sind durch die gute soziale Durchmischung (prinzipiell ist eben derzeit noch jeder Verpflichtet) besonders wirkungsvoll – sowohl beim öBH, als auch beim Zivildienst! Selbst dabeigewesen ist immer etwas anderes als einen noch so gut gemachten Werbespot gesehen zu haben. Da weiss man nachher was wirklich drin ist – sowohl im negativen als auch im positiven Sinn.

Im übrigen bin ich der Ansicht, dass es demokratiepolitisch gesehen keine bessere Heeresart als ein grosses Milizheer mit kleinem Berufssoldatengrundstock gibt (also unsere bisheriges System mit 110 000 Mann Mobilmachungsstärke). Ein sozial gut durchmischtes Milizheer würde niemals dazu zu bewegen sein im grossen Stil auf die eigene Bevölkerung zu schiessen. In Ländern mit Berufsheer ist das überhaupt kein Problem – und so etwas ist auch mit Hilfe von Aussen kaum zu verhindern. Sich allein auf den Antagonismus von zwei Politikern (Innenminister vs. Bundespräsident) zu verlassen halte ich für riskant.

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