Der Bundesrat könnte mit einem Streich den Zoll-Deal unterstützen und gleichzeitig eine glaubwürdige Luftverteidigung aufbauen. Das wäre mindestens eine souveräne Handlung und keine Unterwerfung.
21.11.2025, 05.30 Uhr
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Eines Tages wolle sie auch die Schweizer F-35 über Polen sehen, wie sie russische Drohnen bekämpften. Für diesen Zwischensatz erhielt die lettische Aussenministerin Baiba Braze am Warsaw Security Forum Ende September einen kurzen Szenenapplaus. Sie diskutierte mit Markus Mäder, dem schweizerischen Staatssekretär für Sicherheitspolitik, die Folgen von Donald Trumps ruppigem Umgang mit Europa.
Braze, die vor ihrer politischen Karriere als Diplomatin im Nato-Hauptquartier gearbeitet hatte, warf dem Staatssekretär aus Bern nicht einfach eine launische Bemerkung zu, sondern überspitzte die Sicht der Transatlantiker auf die Schweiz: Das reichste Land Europas beschafft in den USA moderne Kampfjets – und bleibt trotzdem eine Lücke mitten im europäischen Abwehrdispositiv gegen die russische Aggression.
Zu lange verstand sich die Schweiz als «blinder Passagier» der Nato, wie es ein SP-Sicherheitspolitiker ohne jede Scham ausdrückte und daraus ableitete, die Armee brauche weder Kampfjets noch Panzer. An die Prämie für diese Versicherung dachte niemand in der Schweizer Politik – bis Donald Trump Zölle von 39 Prozent verlangte. Die USA allerdings schon: Sie verbinden die Sicherheits- direkt mit der Handelspolitik.
Kombination aus Kompromiss und Ausbruch
Als Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und ihr Kollege Guy Parmelin nach dem Zollhammer im August nach Washington reisten, versuchte Washington der Schweizer Krisendelegation sogar eine goldene Brücke zu bauen: Marco Rubio, Trumps Aussenminister und Sicherheitsberater, deutete nach dem Treffen an, dass Rüstungsgeschäfte durchaus einen Einfluss auf den Zollsatz haben könnten.
Dieses Junktim verbreitete er über eine Kurznachricht in den sozialen Netzwerken: Die USA seien zwar unzufrieden mit der schweizerisch-amerikanischen Handelsbilanz, schätzten aber die sicherheitspolitische Partnerschaft mit der Schweiz. Washington verkauft der Schweiz 36 F-35-Kampfjets und 5 Patriot-Feuereinheiten für insgesamt 8 Milliarden Franken.
Doch die neuen Kampfflugzeuge sind kaum bewaffnet, für die bodengestützte Luftverteidigung hat der Bundesrat nur das Minimum an Lenkwaffen bestellt. Die Amerikaner wissen, dass die Schweizer Luftwaffe eigentlich wesentlich mehr Mittel für die Luftverteidigung braucht, um bei erhöhten Spannungen oder in einem Krieg ihren Auftrag wirklich zu erfüllen.
Nach dem Zoll-Deal von vergangener Woche hat die Dringlichkeit einer sogenannten Beschaffungszusage zugenommen. Noch einmal erhält der Bundesrat die Chance, im Interesse der Sicherheit der Schweiz einen Beitrag zu einer ausgeglichenen Handelsbilanz mit den USA zu leisten. Bis zum letzten Moment hat die Landesregierung allerdings das implizite Angebot Washingtons einfach überhört.
Die Beschaffung insbesondere der amerikanischen Kampfflugzeuge der fünften Generation ist in Bern ohnehin Gegenstand einer vermurksten Debatte: Links bekämpfte zuerst die Jets generell und dann den F-35 als zu teuer, zu aggressiv und überhaupt zu amerikanisch, das Verteidigungsdepartement versteifte sich auf ein Fixpreis-Abkommen mit den USA, was sich diesen Sommer dann doch als Missverständnis herausstellte.
Der F-35 kostet deutlich mehr als die 6 Milliarden Franken plus Teuerung, die das Volk in einer äusserst knappen Abstimmung im September 2020 beschlossen hat. Noch in diesem Jahr will der Bundesrat darüber entscheiden, wie er die Beschaffung retten will. Im Sinne eines eidgenössischen Kompromisses diskutieren die Sicherheitspolitiker in Bern darüber, die Anzahl Jets dem finanziellen Rahmen anzupassen. Das mag haushälterisch klingen, wäre aber mit Blick auf die wachsende Kriegsgefahr in Europa kaum zu verantworten.
Die Verknüpfung der Sicherheits- mit der Handelspolitik eröffnet nun eine weitere Möglichkeit, eine lagegerechte Luftverteidigung aufzubauen – eine Kombination aus Kompromiss und Ausbruch aus dem finanzpolitischen Diktat: Der Bundesrat soll mit den 6 Milliarden so viele F-35 beschaffen wie möglich und gleichzeitig in einer zweiten Tranche gleich noch einmal so viele Jets.
Reserven für den Krieg der Zukunft
Damit würde die Luftwaffe etwa die Flotte erreichen, die eine Expertengruppe im Grundlagenpapier «Luftverteidigung der Zukunft» als Optimal-Option präsentiert hatte: Mit 55 bis 70 modernen Kampfjets wäre die Luftwaffe in der Lage, den Luftraum auch in einem bewaffneten Konflikt über längere Zeit zu verteidigen und die Bodentruppen mit Feuer zu unterstützen.
Zudem sieht die Option 1 vor, die Schweiz, ihre Bevölkerung und die kritischen Infrastrukturen mit Mitteln der bodengestützten Luftverteidigung grosser Reichweite praktisch flächendeckend zu schützen. Das Grundlagenpapier rechnete zum damaligen Zeitpunkt mit Beschaffungskosten von maximal 18 Milliarden Franken. Der Bundesrat entschied sich für eine abgespeckte, finanzpolitisch tragbare Option.
Einmal dürfte sich die Schweiz erst unter dem Druck von aussen bewegen – und in diesem Fall das militärisch Richtige tun. Wenn schon so viel Geld in die Rüstung fliesst, dann sollten die beschafften Mittel auch tatsächlich die volle Wirkung entfalten. Halbe Lösungen, die viel kosten und doch unvollständig bleiben, sind schlicht unverantwortlich gegenüber der Bevölkerung.
Gelingt es tatsächlich, die Luftwaffe mit zusätzlichen F-35, Patriots und Lenkwaffen vollständig auszurüsten, darf dies nicht zulasten der Bodentruppen gehen. Sonst verliert die Schweiz ihr militärisches Gesamtsystem. Deshalb braucht die Landesverteidigung einen Fonds, um die Beschaffungen nachhaltig zu finanzieren. Eine einmalige Investition reicht nicht.
Der technologische Wandel zwingt den Bundesrat, die Armee ständig auf den neuesten Stand zu bringen. Das Gefecht der Zukunft sieht anders aus als der Drohnenkrieg in der Ukraine. Das Ziel muss sein, den Trends voraus zu sein und zusammen mit der Startup-Szene auch gewisse Hypes zu überspringen. Ein starkes Gerippe aus konventionellen Mitteln ist die Voraussetzung für eine glaubwürdige Landesverteidigung – und ein Minimum an souveräner Dissuasion.
Der Zollhammer der USA war vielleicht erst ein Vorgeschmack dessen, was in den nächsten Jahren auf die Schweiz zukommt. Der Bundesrat muss in dieser garstigen Welt der rohen Machtpolitik einen Weg finden, die schweizerische Souveränität maximal zu schützen und auf schlaue Weise das Optimum für unser Land herauszuholen. Der Deal mit Trump ist eine gute Gelegenheit dazu.
Resilienz gegen weitere Druckversuche
Statt dem Druck aus Washington in allen möglichen Bereichen bis zur schieren Unterwerfung nachzugeben, kann die Schweiz mit den zusätzlichen Beschaffungen in den USA ihre militärstrategische Handlungsfreiheit zurückgewinnen: für Kooperationen genauso wie für die selbständige Landesverteidigung. Die Zeit, in der sie einfach von den andern und insbesondere von den Amerikanern profitieren konnte, ist vorbei.
Die USA haben den Europäern und auch der Schweiz in den letzten Monaten das Preisschild für ihre Sicherheitsleistung präsentiert: Den Nuklearschirm, die Frühwarnung vor Luftangriffen oder die Truppenpräsenz bezahlen die amerikanischen Steuerzahler. Unterdessen haben die europäischen Länder wenigstens die Hauptlast der Militärhilfe an die Ukraine übernommen – nicht aber die Schweiz.
Washington liefert deshalb die Patriot-Systeme, die Bern bestellt hat, zuerst an Deutschland, weil die Bundeswehr ihre Patriots der Ukraine zur Verfügung stellt. Die USA sind nicht auf die Schweiz angewiesen, aber umgekehrt. Umso deutlicher müssen die Emissäre in Washington die Bedeutung des Geschäfts im europäischen Gesamtrahmen erklären.
Ein gezielter Luftangriff auf einen Strom- oder Daten-Knotenpunkt in der Schweiz könnte auch Teile der Nachbarländer lahmlegen. Nur die rasche Lieferung der Patriots schliesst diese Sicherheitslücke mitten in Europa in nützlicher Frist. Ähnlich sieht es bei den Kampfjets aus: Einen adäquaten europäischen Ersatz für den F-35 gibt es nicht. Drohungen, die Beschaffungen abzubrechen, sind schädlicher Lärm.
Die Schweiz ist auf die Fähigkeiten des F-35 angewiesen – auch im Interesse der europäischen Partner. Mit dem Jet der fünften Generation kann die Luftwaffe einen substanziellen Beitrag in eine Kooperation einbringen – darunter Daten für ein gemeinsames Luftlagebild im Rahmen der European Sky Shield Initiative, der die Schweiz 2023 beigetreten ist. Noch handelt es sich erst um ein gemeinsames Beschaffungsprogramm, das aber eine operative Komponente braucht, um Europa wirklich vor Distanzwaffen zu schützen.
Die Zukunft der Luftverteidigung liegt in einem Verbund des europäischen Pfeilers der Nato. Der Druck an der Nato-Ostflanke hat die Zusammenarbeit weiter vorangetrieben. Niederländische Mechaniker warten norwegische F-35, die dann wieder von niederländischen Piloten geflogen werden. Die Einsätze bewegen sich hart an der Kriegsschwelle, weil Russland regelmässig den Luftraum seiner Nachbarn verletzt.
Wenn die Schweiz ihre F-35 schon nicht an der Nato-Ostflanke einsetzen will, dann sollte sie doch mehr Verantwortung in ihrem unmittelbaren Umfeld übernehmen: im erweiterten Alpenraum, dem Gebiet zwischen Lyon, München, Wien und Mailand. Während die Nachbarn das Baltikum schützen, sorgt die Schweiz für die Sicherheit im wirtschaftlich stärksten Teil von Europa. Das verschafft ihr Respekt und Souveränität.