Schweiz: Weiterentwicklung der Armee

Wehrtechnik & Rüstung, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
theoderich
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Re: Schweiz: Weiterentwicklung der Armee

Beitrag von theoderich »

Verteidigen können, um nicht zu müssen

https://www.vtg.admin.ch/de/verteidigen ... zu-muessen

Liest sich wie eine Argumentation gegen ein Sparpaket.
theoderich
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Re: Schweiz: Weiterentwicklung der Armee

Beitrag von theoderich »

Trotz Protest aus der Partei: Die SP-Spitze will an der Abschaffung der Armee festhalten
Die SP wird für ihre Vision immer wieder kritisiert. Inzwischen kommt die Kritik auch aus der Partei selbst. Die Reformplattform, ein Verein von sozialliberalen Politikern in der SP, fordert, dass sich die Partei von ihrer antimilitaristischen Position verabschiedet - und sich zur Schweizer Armee bekennt. Sie will das Parteiprogramm der SP am Parteitag im Februar 2026 umschreiben, wie Ende Juni bekannt wurde.

Nun liegt der entsprechende Antrag der "NZZ am Sonntag" vor. Er verlangt, dass mehrere Passagen im sicherheitspolitischen Kapitel neu geschrieben werden. Die wichtigste Änderung: Der Satz "Die SP setzt sich für die Abschaffung der Armee ein" soll gestrichen werden. Stattdessen soll es an der Stelle neu heißen: "Die SP setzt sich für eine effiziente, moderne und wirkungsvolle Armee ein." Es wäre eine kleine Zeitenwende.

"Wir träumten vom Frieden"

Der Präsident der Reformplattform, der SP-Ständerat Daniel Jositsch, sagt: "Das Ziel der SP, die Armee abzuschaffen, ist angesichts der Kriege auf der Welt völlig aus der Zeit gefallen. Wrnn wir eine glaubwürdige Sicherheitspolitik machen wollen, müssen wir zur Armee stehen."

Und die Reformplattform geht noch weiter. Sie fordert, dass das traditionell linke Ziel der Abrüstung relativiert wird. Im Parteiprogramm soll künftig stehen, dass die Voraussetzungen für eine Abrüstung gegenwärtig "nicht gegeben" seien. Die geopolitische Situation fordere eine "massive Aufrüstung" der demokratischen Staaten.

Bei der Mehrheit der SP-Sicherheitspolitiker im Bundeshaus kommt der Vorschlag der Reformer gut an. Die SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf sagt: "Es würde mir die Arbeit erleichtern, wenn wir den Abschaffungspassus streichen würden." In Parlamentsdebatten, in Interviews oder auf Podien werde ihr regelmäßig vorgeworfen, eine Armeegegnerin zu sein. "Ich muss immer um meine Glaubwürdigkeit kämpfen, damit etwa meine Kritik an der milliardenschweren Beschaffung der F-35-Kampfjets ernst genommen wird."

Seiler Graf war zu Beginn ihrer politischen Karriere für die Abschaffung der Armee. Das war Ende der 1980er Jahre, die Berliner Mauer fiel, 35 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer sagte Ja zu einer Initiative der GSoA (Gruppe für eine Schweiz ohne Armee), die die Armee abschaffen wollte. "Wir träumten damals vom ewigen Frieden", sagt Seiler Graf. Das sei auch verständlich gewesen, nach dem Ende des Kalten Krieges. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine habe sich vieles verändert. "Heute sage ich klar, dass e eine Armee braucht." Auch wenn sie langfristig auf ein Ende des Wettrüstens hoffe.

In der Partei sehen das nicht alle so. Der antimilitaristische Flügel in der SP ist nach wie vor gross. Viele aktive Mitglieder haben Friedensfahnen am Balkon hängen oder unterstützen die armeekritische GSoA. Manche fürchten, dass die SP durch ein Bekenntnis zur Armee Wähler an die pazifistischen Grünen verlieren könnte.

Zum armeekritischen Flügel gehört der SP-Nationalrat Fabian Molina. Er sagt: "Die Abschaffung der Armee ist ein Fernziel." Im Parteiprogramm stehe auch, dass die SP den Kapitalismus überwinden oder der EU beitreten wolle. "Es ist allen klar, dass das nicht morgen geschieht."
Trotzdem will der SP-Chef die Armee langfristig abschaffen. Nach einem Besuch in der Ukraine sagte er im Frühling der "Sonntags-Zeitung", die "Greueltaten des Putin-Regimes" hätten ihn in der Überzeugung bestärkt, dass das Fernzielt einer Welt ohne militärische Gewalt richtig sei. Heute berkäftigt die Co-Präsidentin Mattea Meyer auf Anfrage diese Haltung der Parteispitze: "Das Co-Präsidium spricht sich dehalb dagegen aus, das Parteiprogramm von 2010 umzuschreiben."

Aus dem Parteisekretariat kommt zudem ein formales Argument. Das gegenwärtige Parteiprogramm sei erst das siebte in der 125-jährigen Geschichte der SP, sagt ein Sprecher. Bislang sei immer das gesamte Programm erneuert worden und nicht einzelne Passagen oder Kapitel. "Es gibt keinen Grund das neu anders zu machen."
https://www.nzz.ch/schweiz/trotz-protes ... ld.1892108
theoderich
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Beitrag von theoderich »

Ein Meilenstein für die Rüstungsindustrie: Schweizer erwägen Chipwerk für militärische Anwendungen
Führende Schweizer Forschungsinstitute erarbeiten nun zusammen mit Rüstungsriesen, wie Rheinmetall, einen Plan, zur Schaffung eines Chipwerks. Dieses soll hochentwickelte Halbleiter für militärische Anwendungen liefern. Doch welche Hürden müssen überwunden werden, um dieses ehrgeizige Projekt Realität werden zu lassen?

Schweizer Spitzenforschungsinstitute befinden sich laut mit den Plänen vertrauten Personen in ersten Gesprächen mit Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall über die Finanzierung einer neuen Halbleiterfabrik im Wert von 200 Millionen Franken (215 Millionen Euro). Damit engagiert sich die historisch neutrale Eidgenossenschaft vor dem Hintergrund steigender Militärausgaben in Europa verstärkt im Rüstungsbereich.

Ein Schweizer Konsortium hat kürzlich den Bau einer Anlage zur Entwicklung und Herstellung von Chips in der Nähe von Zürich vorgeschlagen, wie aus einem Bloomberg vorliegenden Dokument hervorgeht. Zur Finanzierung des Vorhabens will sich die Gruppe an Regierungsbehörden und „große Industrieunternehmen“ wenden, heißt es in dem Dokument.

„Chip FabLab“ soll 2028 eröffnet werden

Das Konsortium will die Finanzierung bis Ende des Jahres abschließen und die Anlage mit dem Namen „Chip FabLab“ Anfang 2028 eröffnen. Die Gruppe wirbt um namhafte Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall und Thales, die hochentwickelte Chips in Radarsystemen und Waffen einsetzen könnten, wie mehrere an dem Projekt beteiligte Personen angaben. Sie baten um Anonymität, da die Gespräche noch laufen und die Partner noch nicht endgültig feststehen.

Ivo Zimmermann, Sprecher vom Branchenverband Swissmem, der die Initiative anführt, bestätigte, dass das Konsortium Gespräche mit Rüstungsunternehmen geführt habe, wollte sich jedoch nicht näher zu den Gesprächen äußern.

Rheinmetall lehnte eine Stellungnahme ab. Ein Vertreter von Thales in Paris, wo das Unternehmen seinen Sitz hat, sagte, es gebe keine Investitionspläne. Vertreter von Thales in der Schweiz reagierten nicht auf Bitten um Stellungnahme.
Das Swiss „Chip FabLab“ wird laut einer Präsentation vom April schätzungsweise 200 Millionen Franken kosten. Statt auf Massenproduktion zielt es auf kleinere Mengen maßgeschneiderter Chips ab. Laut Lars Sommerhäuser, Wissenschaftler der am Projekt beteiligten Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, ist das Projekt auf den lokalen Produktionsbedarf zugeschnitten. Die endgültige Größe des Projekts hinge von der verfügbaren Finanzierung ab.

In dem Vorschlag erklärte das Konsortium, es plane den Bau einer 4.000 Quadratmeter großen Produktionsstätte. Sie wäre wahrscheinlich die größte des Landes.
Zu dem Konsortium gehört auch die ETH Zürich, eine führende Hochschule mit technisch-naturwissenschaftlichem Fokus. „Die ETH arbeitet vor allem an Sicherheitsthemen“, sagte Jürg Leuthold, ein ETH-Professor, der am Chip-Projekt mitarbeitet. „Das könnte natürlich für Rüstungsunternehmen interessant sein.“
Eine Finanzierungsoption, die das „Chip FabLab“ diskutiert hat, ist laut zwei beteiligten Personen der Abschluss von Offset-Beschaffungsvereinbarungen mit der Schweizer Rüstungsbehörde Armasuisse.

Eine Sprecherin von Armasuisse sagte, diese Finanzierungsoption sei „möglich“, aber die Agentur sei derzeit nicht am „Chip FabLab“ beteiligt. „Aus Sicht von Armasuisse kann dieses Vorhaben einen Beitrag zur Sicherheit der Schweiz leisten“, erklärte die Sprecherin in einer E-Mail.
https://www.diepresse.com/19952774/ein- ... nwendungen


Gelungener Informationsanlass zum geplanten «Swiss Chip FabLab» (28. April 2025)

https://www.swissmem.ch/de/engagement/i ... ablab.html
theoderich
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Re: Schweiz: Weiterentwicklung der Armee

Beitrag von theoderich »

Zwei Interviews mit dem Leiter von armasuisse (NZZ, Blick):

https://de.linkedin.com/posts/armasuiss ... 56064-5d_v
theoderich
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Re: Schweiz: Weiterentwicklung der Armee

Beitrag von theoderich »

theoderich
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Re: Schweiz: Weiterentwicklung der Armee

Beitrag von theoderich »

Bundesrat richtet die Armee auf die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit aus
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 29. Oktober 2025 die Änderung der Verordnung über die Strukturen der Armee gutgeheissen. Ein Schwerpunkt der Revision ist die Dezentralisierung der Luftwaffe. Weitere Änderungen betreffen die Organisation der Militärpolizei, die Bildung des Kompetenzzentrums Weltraum und die Modernisierung der Bodentruppen. Die Änderungen dienen dazu, die Armee vermehrt auf die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit auszurichten. Sie tritt am 1. Januar 2026 in Kraft.
Ein Schwerpunkt der vorliegenden Revision ist die Dezentralisation der Luftwaffe. Um deren Verteidigungsfähigkeit zu stärken, muss die Luftwaffe ihre Führungsprozesse und Strukturen anpassen. Dazu werden die Flugplatzkommandos der Luftwaffe organisatorisch so ausgestaltet, dass die Kampfflugzeuge sowie die Lufttransport- und Luftaufklärungsmittel auch an dezentralisierten Standorten eingesetzt werden können.

Bildung des Kompetenzzentrums Weltraum und Modernisierung der Bodentruppen

Weitere Neuerungen betreffen die Militärpolizei. Deren Organisation soll neben dem Aufbau neuer Fähigkeiten in der Armee auch die Zusammenarbeit zwischen der Berufs- und der Milizorganisation regeln und sicherstellen. Weiter wird das Kompetenzzentrum Weltraum gebildet, um die notwendigen operationellen Fähigkeiten im Bereich des Weltraums innerhalb der Armee gemäss Zielbild aufzubauen und weiterzuentwickeln.

Zudem werden mit der vorliegenden Revision der VSA die Bodentruppen modernisiert. Mit dem leichten Infanteriebataillon 11 wird der erste Truppenkörper gemäss den neuen Kräftetypen gebildet und aufgebaut.
https://www.vbs.admin.ch/de/newnsb/6NNt ... w9RBWPxEOw


https://www.doppeladler.com/da/forum/vi ... 6338#p6338
  • Allen Optionen gemeinsam ist die Ausgestaltung der leichten Kräfte. Aufgrund ihres Leistungsprofils sind sie überwiegend mit ungeschützten Mitteln auszurüsten; sie beschaffen Nachrichten und machen bei einem unmittelbar drohenden Angriff nichtkonventioneller Kräfte von ihrer persönlichen Schusswaffen Gebrauch; ihre Führungsfähigkeit soll mit einfachen Kommunikationsmitteln gewährleistet werden. Die erforderliche Ausrüstung fällt in finanzieller Hinsicht kaum ins Gewicht.
    https://www.newsd.admin.ch/newsd/messag ... /56947.pdf
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Re: Schweiz: Weiterentwicklung der Armee

Beitrag von theoderich »

Schweizer Armee: Wie zeitgemäss sind Panzer noch?

06.11.2025

https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/vi ... ffe499e083

Ein Lieblingshobby mitteleuropäischer Journalisten: Dinge, die man nicht mag, mit dem Adjektiv "zeitgemäß" zu hinterfragen.
theoderich
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Re: Schweiz: Weiterentwicklung der Armee

Beitrag von theoderich »

«Die Schweiz kann sich nicht autonom verteidigen», sagt der abtretende Armeechef Thomas Süssli
Herr Süssli, kommt es in den nächsten fünf Jahren zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato?

Das weiss man so nicht. Es gibt aber Nachrichtendienste, die aufgrund von Hinweisen warnen: Russland bereite sich auf eine weitere Eskalation mit dem Westen vor. Europäische Verteidigungsminister und Armeechefs sprechen davon, dass Moskau etwa ab 2028 bereit sein könnte, den Krieg auszuweiten.

Beschwört man hier nicht eine Bedrohung herauf, um die nötigen Mittel zu erhalten?

Das sind keine Prophezeiungen, sondern Warnungen. Sie sollen dazu führen, dass Europa alles unternimmt, damit es gar nicht erst so weit kommt. Ich war im Oktober am Sicherheitsforum in Warschau. Dort fragte niemand mehr, ob Russland eine Bedrohung ist, sondern nur noch, wie man ihr begegnen soll.

Aber ist ein Angriff auf die Nato derzeit überhaupt realistisch? Russland ist stark gebunden im Ukraine-Krieg. Geländegewinne sind nur mit enormen Verlusten möglich.

Russland will wieder eine Grossmacht sein. Um das zu erreichen, sieht der Kreml unterschiedliche Wege. Zum Beispiel die ostslawischen Völker zusammenführen, wie Präsident Putin dies 2021 offen formuliert hat. Oder den russischen Einfluss auf die Nachbarländer auszudehnen. Dafür versucht Russland, Europa zu destabilisieren und zu spalten. Mit hybriden Angriffen, Drohnen, Sabotage oder weitreichender Desinformation.

Sehen Sie solche Angriffe auch in der Schweiz?

Ja. Cyberangriffe, Desinformation und Spionage finden heute bereits statt. Der Schweizer Nachrichtendienst sagt, dass hier über achtzig russische Staatsangehörige mit Bezug zu russischen Geheimdiensten leben.

Was ist mit Sabotage?

Nachweisbare Sabotageakte in der Schweiz gab es bisher nicht. In Europa sind aber über sechzig Fälle dokumentiert, die Russland zugeschrieben werden.

Müsste die Schweiz ihre Prioritäten angesichts dieser Angriffe nicht auf hybride Bedrohungen legen?

Sicherheit funktioniert nie eindimensional. Ein Gegner schlägt dort zu, wo wir Schwachstellen haben. Die letzten Jahre zeigen das gut: 2019 glaubten viele, Panzer und Kampfflugzeuge seien obsolet, es gehe nur noch um Cyberbedrohungen. Dann kam die Pandemie, und plötzlich fehlten Sanitätskapazitäten. Seit Februar 2022 sehen wir im Krieg in der Ukraine wieder Panzer und Artillerie zusammen mit Drohnen. Gleichzeitig greift Russland europäische Staaten mit hybriden Mitteln an. Sie sehen: Es gibt kein Entweder-oder, sondern nur ein Sowohl-als-auch.

Bei beschränkten Mitteln muss man dennoch priorisieren.

Das tun wir auch. Aber priorisieren heisst, ständig abzuwägen. Wir müssen die dringendsten Bedrohungen adressieren und gleichzeitig Systeme ersetzen, die längst am Lebensende sind. Deshalb ist im diesjährigen Rüstungsprogramm etwa ein neues Artilleriesystem enthalten. Unsere heutige Artillerie stammt noch aus der Zeit des Kalten Kriegs.

Welche Rolle kann die Armee bei Vorfällen unterhalb der Kriegsschwelle überhaupt spielen?

Die Verantwortung liegt dann bei den Kantonen. Erst wenn deren Mittel nicht mehr ausreichen, kann die Armee subsidiäre Aufträge erhalten. Wichtig zu verstehen ist: Unsere Soldatinnen und Soldaten sind die letzte Reserve. Wenn wir eingesetzt werden, kommt nachher nichts mehr.

Könnte die Armee heute die Schweiz verteidigen?

Das hängt vom Szenario ab. Auf nichtstaatliche Akteure, die Anschläge auf kritische Infrastruktur verüben, sind wir vorbereitet. Das haben wir zwanzig Jahre lang zusammen mit den zivilen Behörden geübt. Wir können auch im Cyberbereich unterstützen. Was wir nicht können: Bedrohungen aus der Distanz abwehren oder gar einen umfassenden Angriff auf unser Land.

Sie treten Ende Jahr ab. Wie frustrierend ist es für Sie, eine so schlecht ausgerüstete Armee zu hinterlassen?

In einer Demokratie bestimmt die Politik die Mittel. Das akzeptiere ich. Aber ich trage die Verantwortung für die Truppe. Es ist belastend zu wissen, dass im Ernstfall nur ein Drittel aller Soldatinnen und Soldaten vollständig ausgerüstet wäre.

Sie waren der erste Chef der Armee, der den Mangel öffentlich so klar benannt hat. Das löste irritierte Reaktionen aus. Hat Sie das überrascht?

Nein. Mir war bewusst, dass ein anderes Bild existiert. Ich erinnere mich noch genau an den 24. Februar 2022, als Russland die Ukraine angriff. Für mich war klar: Jetzt braucht es schonungslose Ehrlichkeit. Die Bevölkerung und die Politik dürfen nicht glauben, die Armee sei verteidigungsfähig, wenn sie es nicht ist.

In der Politik kam Ihre Ehrlichkeit nicht überall gut an. Haben Sie sich manchmal als einsamer Rufer gefühlt?

Zumindest als exponierter Rufer. Ich erhielt gewisse Unterstützung von Verbänden oder Einzelpersonen. Aber insgesamt habe ich nicht das Gefühl, dass seither ein Ruck durchs Land gegangen wäre.

Warum nicht?

Ich sehe drei Gründe. Erstens liegt der letzte Krieg auf Schweizer Boden fast 180 Jahre zurück. Das war der Sonderbundskrieg von 1847. Wir haben deswegen zum Glück keine kollektive Erinnerung an Kriege, anders als etwa Estland oder Polen. Zweitens wirkt der Ukraine-Krieg für viele weit weg. Tatsächlich liegen zwischen uns und der Ukraine aber nur zwei Länder: Ungarn und Österreich. Und drittens gibt es die Vorstellung, dass Neutralität automatisch schütze. Das ist aber historisch falsch. Es gibt mehrere neutrale Länder, die unbewaffnet waren und in einen Krieg hineingezogen wurden. Neutralität hat nur einen Wert, wenn sie mit Waffen verteidigt werden kann.

Gilt auch für das Parlament, dass das Bewusstsein für die Bedrohung fehlt? Hat die Armee dort zu wenig Rückhalt?

Das glaube ich nicht. Das Parlament hat letztes Jahr den Kreditrahmen um 4 Milliarden auf 29,8 Milliarden Franken erhöht und zusätzliche Mittel für die bodengestützte Luftverteidigung bewilligt. Es hat getan, was in der gegenwärtigen Finanzlage des Bundes möglich ist.

Finanzpolitik geht vor?

Es ist tatsächlich eine Herausforderung, dass wir gleichzeitig eine schlechte sicherheitspolitische Lage und das strukturelle Defizit des Bundes haben. Aber es ist wie in einem Unternehmen: Die Führung muss Wege finden, um das Problem zu lösen.

Im Parlament heisst es, die Armee könne das Geld gar nicht so schnell ausgeben, wenn sie deutlich mehr erhalten würde.

Das stimmt nicht. Das Problem ist: Alle unsere finanziellen Mittel sind bis 2028/29 gebunden. Wir können vorher gar nichts Neues bezahlen. Gleichzeitig verlängern sich die Lieferfristen. Und viele Rüstungsfirmen verlangen heute eine vollständige Anzahlung. Das heisst, man kann nur bestellen, wenn man gleich bezahlt.

Im jetzigen Tempo wäre die Schweizer Armee um das Jahr 2050 verteidigungsbereit, in über zwanzig Jahren. Das ist doch zu spät.

Wenn man erst ab 2032 oder 2035 ein Prozent des Bruttoinlandproduktes investieren will, dann dauert es so lange. Und ja: Das ist zu lang angesichts der Bedrohung.

Der Krieg in der Ukraine zeigt, der technologische Wandel auf dem Gefechtsfeld ist rasant. Ist die Schweizer Armee darauf vorbereitet?

Wir machen Fortschritte. Wir haben zum Beispiel ein Innovationssystem aufgebaut, wo Milizsoldaten ihre Ideen einbringen können. Sie müssen diese pitchen wie in der Startup-Welt, und dann wird über die Umsetzung entschieden. Das Innovationssystem ist entscheidend. Es erlaubt uns, neue Technologien rasch zur Truppe zu bringen, egal welche.
Neue Technologien beschaffen ist das eine. Sie müssen auch operationell eingebunden werden.

Ja, zwingend. Eine Neuerung muss sich bei der Truppe bewähren. Das ist in der Ukraine beeindruckend. Die Innovationszyklen zur Einführung neuer Technologien dauern dort nur noch wenige Wochen.

Wie kann das die Schweiz erreichen mit den eher schwerfälligen Prozessen bei Rüstungskäufen?

Wir gehen neue Wege. Bei den Drohnen kaufen wir zum Beispiel nicht ein bestimmtes Modell auf Vorrat. Wir suchen stattdessen technologisch interessante Hersteller, mit denen wir Rahmenverträge abschliessen. So können wir später die jeweils neuste Technologie abrufen. Oder wir schreiben nicht mehr ein klar definiertes Produkt aus, sondern umschreiben das Problem, das wir gelöst haben wollen. Dann spielt der Wettbewerb der Ideen.

Und dieser Prozess funktioniert?

Ja. Wir wollten ein System, um jedes Smartphone als Sensor für die Armee nutzen zu können. Da hat sich ein kleines Ökosystem gebildet, das eine Lösung erarbeitet hat. Heute kann jeder Soldat mit dem Handy ein Foto machen, dieses mit dem Schweizer Messenger Threema hochladen, und die Aufnahme fliesst dann direkt in das Lagebild der Armee ein. Alles mit Schweizer Firmen und Schweizer Technologie.

Sie beobachten den Ukraine-Krieg und versuchen daraus Schlüsse zu ziehen. Was lässt sich allgemein für die Kriegsführung lernen?

Der Krieg in der Ukraine hat verschiedene Phasen durchgemacht. Es war anfangs ein Jagdkampf, in dem die bewaffneten Bayraktar-Drohnen eine grosse Rolle spielten. Dann kam es zu ukrainischen Offensiven mit westlichen Waffen. Schliesslich haben die kleinen Drohnen alles verändert. Aber was am Ende gleich geblieben ist: Es ist immer noch ein Gefecht der verbundenen Waffen. Nur die Waffen sind neu.

Was heisst das?

Es geht darum, eine Lage zu erkennen, also mit Sensoren Informationen zu gewinnen und diese in einen Kontext zu stellen, um Entscheide zu fällen. Und schliesslich muss man die eigenen Effektoren, also meist die Waffen, möglichst rasch und präzise einsetzen, um eine Wirkung zu erzielen. Wir nennen diesen Ablauf den Sensoren-Nachrichten-Führung-Wirkungsverbund. Dieser ist in der Ukraine gleich geblieben. Er hat sich aber durch die Technologie massiv beschleunigt.

Die Abläufe werden schneller, die Waffensysteme komplexer. Überfordert das nicht die Miliz?

Im Gegenteil. Unser Milizsystem ist ein Vorteil, weil so viele Kompetenzen aus dem Zivilleben zusammenkommen. In einer Berufsarmee könnten wir das gar nie ausbilden.

Zum Beispiel?

Wenn wir Drohnenpiloten brauchen, fragen wir zu Beginn der RS, wer Drohnen fliegen kann. Und dann haben wir Drohnenspezialisten. Oder die Cyberspezialisten bilden wir vierzig Wochen lang aus. Dann gehen sie in die Wirtschaft, wo sie top ausgebildet bleiben. Und wenn wir sie brauchen, kommen sie mit dem neusten Kenntnisstand zurück in den Dienst. Neue Technologien sind für die Miliz keine Herausforderung.
Sie plädieren für eine unabhängige Lösung. Wegen Spionagegefahr?

Wir brauchen eine interne Cloud, die weniger stark von einem Drittland abhängig ist. Ich habe angeboten, dass sich die Armee an der Entwicklung einer solchen unabhängigen Plattform beteiligt. So hätten wir im äussersten Fall ein eigenes, schweizerisches System.

Wenn bei Microsoft die Nähe zu den USA ein Problem ist, warum ist sie es beim F-35 nicht?

Ich schreibe mit keinem Wort, dass die Nähe zu den USA ein Problem sei. Es braucht eine Open-Source-Lösung, mit der wir weniger abhängig sind, egal von welchem Land.

Aber bei Waffensystemen ist man auch abhängig, ausser man produziert selbst. Ist das kein Problem?

Doch, das ist ein Problem. Aber manchmal hat man keine Wahl.

Die Schweizer Armee ist auf internationale Kooperationen angewiesen. Dennoch gibt es deswegen immer wieder Diskussionen. Verstehen Sie die Bedenken?

Die Schweiz kann sich nicht autonom verteidigen. Deshalb müssen wir mit anderen Armeen kooperieren können und interoperabel sein, also zusammen funktionieren. Dafür braucht es eine jahrelange Vorbereitung, die bereits begonnen hat.

Die Politik gibt den rechtlichen Rahmen dafür vor. Genügt dieser aus heutiger Sicht?

Mit neuen Bedrohungen und neuen Technologien wird es Anpassungen brauchen, beispielsweise im Cyberbereich. Deswegen braucht die Schweizer Armee ihre eigene internationale Strategie, um aufzuzeigen, wo wir Handlungsbedarf sehen.
https://www.nzz.ch/schweiz/armeechef-th ... ld.1916979
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