Das Burstyn Motorgeschütz aus 1911.


das Motorgeschütz im
HGM Wien. © HGM

Vielleicht ist Ihnen im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien bereits dieses Panzermodell in der Vitrine aufgefallen. Es handelt sich hierbei um den weltweit ersten Entwurf für einen modernen Kampfpanzer - das Motorgeschütz von Günther Burstyn aus dem Jahr 1911.

Das Motorgeschütz nimmt bereits alle Eigenschaften eines modernen Kampfpanzers vorweg. Den gepanzerten Aufbau, den Kettenantrieb und eine in einem schwenkbaren Turm angebrachte Kanone. Burstyns statisch und dynamisch vollkommen berechneter Entwurf wäre allen Panzerfahrzeugen des ersten Weltkrieges überlegen gewesen und hätte das Kräftegleichgewicht der Kriegsparteien stark verschoben - wenn er realisiert worden wäre.
 

  Modellaufnahme: ein Motorgeschütz überwindet ein Drahthinderniss.
 
die Entwicklung einer Idee.



der erste Straßenpanzerwagen der Monarchie wurde von Daimler 1905 in Wr. Neustadt vorgestellt. Er gilt als fortschrittlichster Entwurf seiner Zeit. Obwohl er sich im Manöver bewährte, wurde das Programm abgebrochen - einige Pferde scheuten. Der Kaiser persönlich urteilte, dass "so etwas nicht für eine militärische Verwendung zu gebrauchen wäre."

Im Jahr 1903 unternahm Burstyn, Angehöriger der Genietruppen der k.u.k. Armee, eine Fahrt auf einem Torpedoboot. Dabei kam er auf die Idee eines "Landtorpedobootes" - ein schnelles Fahrzeug, dass durch eine Panzerung geschützt wird und eine eigene Kanone mitführen kann. Durch Prüfungsvorbereitungen abgelenkt, vergaß er den Gedanken wieder.
Im Frühjahr 1905, auf der ersten Wiener Automobilausstellung, stand Burstyn vor dem gepanzerten Automobil von Daimler. Das Fahrzeug erinnerte ihn wieder an sein "Landtorpedoboot", doch die Räder hielt er für Fahrten im Gelände ungeeignet.
Auf die Idee, an Stelle von Rädern einen Raupenantrieb (oder ein 'Gleitband', wie er sich ausdrückte) zu verwenden, kam Burstyn beim Anblick eines Holt-Traktors.
Bereits am 24.11.1904 rollte der erste Traktor mit einer "gleislegenden Kette" über kalifornische Felder. Er war eine Entwicklung von Benjamin Holt und wurde von ihm als Caterpillar bezeichnet.
Einige große landwirtschaftliche Betriebe der ungarischen Reichshälfte setzten bereits früh solche Traktoren ein. Ab etwa 1912 experimentierte auch die k.u.k. Armee mit Holt-Traktoren. In erster Linie sollten sie als Zugmaschinen für die Festungsartillerie Verwendung finden.
das erste Kettenfahrzeug der Monarchie: ein Holt-Traktor als Zugmaschine für einen
30,5cm Mörser.
Erst 1911 begann Burstyn seine Gedanken zu Papier zu bringen.
Als Oberleutnant der Genietruppen legte er noch Ende des gleichen Jahres dem k.u.k. Kriegsministerium den Entwurf für sein "Motorgeschütz" vor. Drei Monate nach der Einreichung erhielt Burstyn eine ablehnende Entscheidung. Das Kriegsministerium verwies zunächst auf den Leiter des Automobilwesens, der sich eine Erprobung auf Kosten der Heeresverwaltung nicht vorstellen konnte. Aus Kostengründen und aufgrund des Desinteresses wollte man nicht einmal einen Prototypen bauen.

Daraufhin legte Burstyn seine Entwürfe auch dem deutschen Kriegsministerium vor. Doch auch hier lehnte man die Finanzierung eines Prototypen ab.
 
das Motorgeschütz im Detail.


das Motorgeschütz im
HGM Wien. © Tögel
Aus der Patentschrift 252 815:
Panzerkraftwagen, geeignet, sich mit motorischer Eigenkraft nicht nur auf Straßen, sondern auch auf unwegsamen Gelände fortzubewegen, gekennzeichnet durch gefederte Raupenketten zur Fortbewegung, durch heb- und senkbare Räder zur Fahrt auf Straßen sowie durch Ausleger, die den Wagen befähigen, auch breite Gräben zu überschreiten.
 
Die Zeichnung zum deutschen Patent.
Die dreiköpfige Besatzung setzt sich wie folgt zusammen: vorne rechts der Kommandant und Ladeschütze; vorne links der Richtschütze. Der Fahrer sitzt interessanterweise mit dem Rücken zur Fahrtrichtung und benutzt höchst wahrscheinlich ein Periskop, das am festen Aufbau hinter dem Turm angebracht wäre - oder sollte nur durch Anweisungen des Kommandanten gefahren werden?
  Technische Daten
Entwurf Günther Burstyn, 1911
Länge 3,5 m (ohne Ausleger)
Breite 1,9 m
Höhe 1,9 m
Gefechtsgewicht etwa 7 t
Antrieb LKW-Benzinmotor mit 45 PS
Geschwindigkeit errechnet wurden: Straße: 28,8 km/h;
Gelände: 8 km/h
Panzerung Front: 8 mm; Heck- und Seitenpanzer: 4 mm; der Kampfraum zusätzlich: 3 mm
Bewaffnung 1x 37 mm Schnellfeuerkanone; 2x 7 mm Maschinengewehre (?)
Besatzung 3 Mann (Kommandant/Ladeschütze; Richtschütze; Fahrer)
ein Motorgeschütz überschreitet einen Schützengraben.
(Modell)
  das Gleitband: Anders als später die Franzosen, wollte Burstyn nicht einfach das Fahrgestell der Holt-Traktoren übernehmen. Er konstruierte seinen eigenen Raupenantrieb. Die Skizze zum späteren deutschen Patent zeigt übrigens eine deutliche Verbesserung des Fahrgestelles gegenüber den ersten Entwürfen.
  heb- und senkbare Räder: Das Motorgeschütz sollte zwei heb- und senkbare Räderpaare für die schnelle Straßenfahrt aufweisen. Die Räder der hinteren Räder wären angetrieben worden, die vorderen sollten lenkbar sein. Unklar ist, ob die Räder innerhalb oder außerhalb des Fahrzeuges angebracht werden sollten. Für interne Räder spricht, dass sie auf keiner Zeichnung abgebildet wurden. Für externe Räderpaare spricht die spätere Umsetzung einer solchen Konstruktion (Austro-Daimler, Saurer).
Mit der 'Vorrichtung für Motorfahrzeuge zum Überschreiten von Hindernissen' können nicht nur Gräben überwunden werden.
Die Animation ist den Zeichnungen in den Patenten nachempfunden.
© The Modeller

die "Vorrichtung für Motorfahrzeuge zum Überschreiten von Hindernissen" wurde in Österreich-Ungarn und Deutschland patentiert (k.u.k. Patent 53248, 25. April 1912). Die vier Ausleger mit Rollen konnten mit Motorkraft auf- und abgeschwenkt werden. Für jede gab es eine mechanische Kupplung im Kampfraum. Mit Hilfe dieser Vorrichtung hätten breite Schützengräben, Stacheldraht- oder andere Hindernisse überwunden werden können. Jedes Motorgeschütz hätte somit auch einen 'integrierten Wagenheber' mitgeführt - nützlich, wenn man im Schlamm stecken bleibt oder Reparaturen im Feld erledigen muss. Ähnliche Vorrichtung wurden später immer wieder auf anderen Fahrzeugen realisiert.
1929 wurde von der britischen Firma Vickers-Armstrong ein fast identisches Konzept eingereicht und patentiert.
 

 

Bewaffnung: Burstyns Motorgeschütz ist mit einer 37mm Schnellfeuerkanone in einem drehbaren Geschützturm bewaffnet. Englische und französische Panzer benutzten größere Kaliber in Kassemattlafetten (bis auf den Renault FT 17).
In nahezu allen Quellen ist von zwei 7 mm Maschinengewehren als Sekundärbewaffnung die Rede. Eine entsprechende Zeichnung findet man allerdings nicht. Vorstellbar ist je ein MG für den Richt- und Ladeschützen im Turm.
 

eine Bewertung.



Burstyns Motorgeschütz hätte nicht nur einen enormen Entwicklungsvorsprung bedeutet, sondern war auch ein von Grund auf äußert gelungener Entwurf. Das beweist schon die Tatsache, dass jenes Panzerfahrzeug, das dem Motorgeschütz am ähnlichsten war - der Renault FT 17 - als der beste Panzerentwurf seiner Zeit gilt und bis in den 2. Weltkrieg hinein eingesetzt wurde (siehe unten).

Das Motorgeschütz war klein und manövrierfähig. Damit konnte es beschränkt auch in Karstgebieten und im Alpenland eingesetzt werden. In Waldstücken hätten die Ausleger jedoch die Bewegung eingeschränkt. Es war sowohl auf Straßen, als auch im Gelände schneller als alle anderen Typen.
 

die österreichische Patentschrift Nr.53248
"Vorrichtung für Motorfahrzeuge zum Überschreiten von Hindernissen"
Mit der 37 mm Schnellfeuerkanone in einem schwenkbaren Turm setzte Burstyn auf ein sehr bewegliches Geschütz mit hoher Schussfolge, mit dem auch Artilleriestellungen und Panzerfahrzeuge bekämpft werden können. Der gegenüber größeren Kalibern geringere Platzbedarf der Munition ist nicht zu unterschätzen. Die Erfolge deutscher Panzerabwehrgeschütze zeigen, dass eine 37mm Kanone auch gegen britische und französische Panzerfahrzeuge eingesetzt werden konnte.
Das Motorgeschütz war zwar vergleichsweise schwach gepanzert, dafür aber schwer zu treffen.

Sowohl die zusätzlichen Räderpaare, als auch die beweglichen Ausleger waren für die damalige Zeit komplizierte Konstruktionen, deren technische Realisierbarkeit ohne Prototyp leider nicht bewiesen werden konnte. Es bleibt festzuhalten, dass das Motorgeschütz auch ohne diese Einrichtungen ein hervorragender Entwurf war.
   
Günther Burstyn.

Günther Burstyn als Oberleutnant.
Günther Burstyn wurde am 6. Juli 1879 in Bad Aussee (Steiermark) geboren.
Von seinem Vater, einem Beamten der Staatsbahnen, erbte er sein technisches Verständnis und Interesse. Er wählte die Soldatenlaufbahn und wurde nach Absolvierung der Pionierkadettenschule (Hainburg) als Fähnrich dem Eisenbahn- und Telegraphenregiment zugeteilt.
Nach kurzer Entwicklungszeit legte er als Oberleutnant der Genietruppen (Pioniertruppen) Ende 1911, dem k.u.k. Kriegsministerium und später dem deutschen Kriegsministerium einen Entwurf für ein "Motorgeschütz" vor.
In Österreich-Ungarn und Deutschland lies er sich seine "Vorrichtung für Motorfahrzeuge zum Überschreiten von Hindernissen", also nur die Ausleger des Motorgeschützes, patentieren.
Als Hauptmann trat Burstyn in den ersten Weltkrieg ein und beendete diesen als Major.
Nach zeitweiliger Pensionierung trat er 1920 dem deutsch-österreichischen Bundesheer bei.
Ein Jahr später wurde er Oberstleutnant, leitete die technohistorische Sammlung des Wiener Heeresmuseums und wechselte dann in das Bundesministerium für Landesverteidigung.
1934 wurde er als Generalbaurat aufgrund seiner zunehmender Sehschwäche in den Ruhestand versetzt. Nach einer Augenoperation befasste er sich wieder mit der Panzerwaffe und entwickelte eine "Falle für Kampfwagen" - dem Vorläufer der später weit verbreiteten Panzerhöcker - und lies sich seine Erfindung patentieren. Außerdem verfasste er mehrere Arbeiten über die Panzerwaffe, für die er 1940 von Guderian ein Anerkennungsschreiben erhielt. 1944 erhielt er von der Technischen Hochschule Wien ein Ehrendoktorat.
Günther Burstyn (links)
bei der Verleihung einer
Auszeichnung 1941.
 

Als 1945 die Rote Armee in Wien einmarschiert, fürchtete der bereits fast völlig erblindete Burstyn verschleppt zu werden und beging am 15. April in Korneuburg (Niederösterreich), im Alter von 66 Jahren, Selbstmord.
 

Das österreichische Bundesheer würdigt die Leistungen des Panzerpioniers auf seine Weise: In der Burstyn Kaserne in Zwölfaxing (Niederösterreich) befindet sich neben dem Panzerbataillon 33 (3. Panzergrenadier-brigade) auch die Panzertruppenschule.
 
in Arbeit!
das Typenblatt zum Thema.
Derzeit sind wir dabei, ein Typenblatt über das Motorgeschütz zusammenzustellen.
Darin finden Sie eine detaillierte Beschreibung des Entwurfs und eine Übersicht über den Projektverlauf.
Außerdem fertigen wir derzeit Pläne des Motorgeschützes an, die wir dem Typenblatt beilegen wollen.

Bitte um Mithilfe: Wenn Sie Material über das Motorgeschütz oder seinen Erfinder haben, würden wir uns sehr über ein Mail freuen!
Auch z.B. wenn Sie gute Fotos des HGM Modells oder von anderen Modellen haben!
 
Modellbau
  Der deutsche Kleinsereinhersteller Ritter C.B. von Krauthauser e.K. hat sich erfreulicherweise dem Motorgeschütz angenommen und wird Ende 2004 / Anfang 2005 einen H0 Bausatz (1/87) mit Figuren auf den Markt bringen. Wir halten bereits erste Exemplare in Händen.
Selbstverständlich werden wir Ihnen diesen Bausatz hier anbieten!
Es gibt auch ein Projekt für einen Bausatz im Maßstab 1/35.
      
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