Militärkommandant Kurt Wagner: "Attraktivität des Heeres ist gestiegen“
KURIER: Welche Bedeutung hat eine Heeresschau in geopolitisch bewegten Zeiten?
Kurt Wagner: In Wien gilt ja alles als Tradition, das mindestens zwei Mal stattgefunden hat. Insofern ist unsere Informations- und Leistungsschau, die wir seit 30 Jahren abhalten, wirklich traditionsreich. Sie ist wichtig, um über unsere Aufgaben, Zielsetzungen und unsere Leistungsfähigkeit zu informieren. Und der Zuspruch der Menschen ist ungebrochen.
Wir alle kennen die Bilder von Kindern, die auf Panzer kraxeln – nicht jedem gefällt das. Worin liegt aus Ihrer Sicht die Faszination am militärischen Gerät?
Gerade in Wien haben wir als Bundesheer nicht so oft die Möglichkeit, mit den Menschen in Kontakt zu treten, das unterscheidet uns von anderen Bundesländern. Umso wichtiger ist die Leistungsschau. Die Akzeptanz der Bevölkerung ist essenziell für das Heer. Nicht zuletzt, weil ein steigendes Interesse der Menschen meist in einem steigenden Interesse der Politik mündet – und das schlägt sich meist in Geld nieder. Natürlich ist diese Akzeptanz auch für jeden Soldaten und jede Soldatin wichtig.
Wie zufrieden sind Sie denn mit den jungen Männern, die da jedes Jahr zum Grundwehrdienst einrücken?
Verallgemeinerungen sind immer schlecht. Aber natürlich ist jeder Jahrgang auch ein Spiegel unserer Gesellschaft. Heute sind es viele nicht mehr gewohnt, eine Nacht im Zelt im Freien zu schlafen oder in der Dunkelheit durch einen Wald zu gehen. Zugleich sind die Jungen technisch affiner und Neuem gegenüber aufgeschlossener als früher. Positiv ist, dass wir die Entwicklung hin zum Zivildienst stoppen konnten. 55 Prozent einer Alterskohorte gehen zum Heer, das ist ein guter Wert. Wir benötigen die Grundwehrdiener. Die Erfüllung unserer Aufgaben ist nur möglich in einem Miteinander von Berufssoldaten, Milizsoldaten und Grundwehrdienern. Wir bemühen uns daher, auf die Wünsche der Jungen einzugehen.
Täuscht der Eindruck, dass sich gerade junge Männer mit Migrationshintergrund durchaus gerne fürs Heer entscheiden?
Aus dem Bauch heraus würde ich zustimmen. Aber es gibt natürlich keine Zahlen dazu. Für uns sind alle, die einrücken, junge, österreichische Staatsbürger, die ihren Dienst an der Waffe tun. Darüber sind wir froh. Aber ich merke, dass gerade für Menschen mit Migrationshintergrund die Ableistung des Grundwehrdienstes etwas Besonderes ist – ebenso wie für ihre Familien, die bei der feierlichen Angelobung oft mit besonderem Stolz erfüllt sind. Sie ist für viele ein Zeichen dafür, dass sie in der österreichischen Gesellschaft angekommen sind.
Sprechen Sie sich für eine Verlängerung des Grundwehrdienstes aus?
Ich denke, fast alle Militärs sind der Meinung, dass es zu einer Verlängerung kommen muss, wenn wir eine ausreichende Anzahl von Milizsoldaten haben wollen. Ohne verpflichtende Übungen wird das nicht gehen.
Die Verteidigungsministerin sieht Österreich bei der Drohnenabwehr „auf einem guten Weg“. Sind Sie auch so unbesorgt, was Österreichs Verteidigungsfähigkeit betrifft?
Ich will die Ministerin nicht interpretieren, aber ich hätte keine Sorglosigkeit bei ihr erkannt. Ich stimme ihr jedenfalls zu, dass wir auf einem guten Weg sind. Wir haben – so wie auch andere EU-Staaten – einen großen Aufholbedarf. Die gute Nachricht: Mit dem derzeitigen Budget sind Investitionen in die Zukunft möglich. Aber eine – auf Wienerisch – „gmahde Wiesn“ ist es nicht.
Woher rührt denn der Aufholbedarf, von dem immer alle sprechen? Wann haben wir's verschlafen?
Grundsätzlich hatte das Bundesheer immer zu wenig Budget – so lassen sich die vergangenen 70 Jahre zusammenfassen. Ein Problem liegt sicher schon in seiner Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals hat man Waffen und Ausrüstungsgegenstände der ehemaligen Besatzer übernommen‚ die sich so erspart haben, das Gerät heimzutransportieren. Das Gerät war also da – kostenlos. Und war in weitere Folge auch nicht budgetiert. Dieser Urfehler wurde lange Zeit fortgeschrieben.
Die Ministerin hat zuletzt ausgeschlossen, dass junge Männer, die zum Grundwehrdienst kommen, in den Krieg geschickt werden. Sehen Sie das auch so?
Es stimmt, dass nur Freiwillige in einen Auslandseinsatz gehen. Und auch, wenn es im Gegensatz dazu für einen Inlandseinsatz keine diesbezügliche gesetzliche Regelung gibt, so bringen wir nur voll ausgebildete Soldaten in einen Einsatz.
Interview Wehrpflicht für Frauen? „Vielleicht noch zu früh“
KURIER:Am Nationalfeiertag strömen Massen zur Heeresleistungsschau. Aber wie steht’s um die Bereitschaft, das Land zu verteidigen?
Erwin Hameseder: Das Bundesheer steht aktuell im OGM-Vertrauensindex auf Platz eins. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs hat sich das sehr ins Positive verändert. Leider nicht so positiv ist, dass nur 27 Prozent der Bevölkerung bereit wären, die Republik mit der Waffe zu verteidigen.
Ist dieser Wert anderswo höher?
Je näher man sich an der Kriegsfrontlinie oder an Russland befindet, desto höher ist die Verteidigungsbereitschaft. Die Schulung der geistigen Landesverteidigung sollte bereits in früher Jugend ansetzen.
Die Tauglichkeit sinkt, Übergewicht, Unsportlichkeit, psychische Probleme spielen eine Rolle. Haben Sie ein Rezept dagegen?
Das müssen die Gesundheitsorganisationen entwickeln. Aber es ist erschütternd, dass rund 20 Prozent der einberufenen jungen Männer für untauglich erklärt werden.
Wäre der Wehrdienst nicht eine Gelegenheit, jungen Leuten Staatsbürgerkunde und Leitwerte mitzugeben? Nach dem Heer meinen manche, dass es verlorene Zeit war.
Das wird schon seit Jahren gemacht. Das Bundesheer ist auch eine der letzten Möglichkeiten, Menschen in unsere Kultur und Gesellschaft zu integrieren. Natürlich müssen die Wehrdiener fair behandelt, aber auch gefordert werden. Darüber reden wir unter anderem in der Wehrdienstkommission. Bis Jahresende kommen Vorschläge.
Was halten Sie von Wehr- bzw. Ersatzdienstpflicht für Frauen?
Auch das diskutiert die Kommission – in Dänemark wurde diese ja gerade eingeführt. Aber man muss hierzulande einen politischen Realitätscheck machen. Ich denke, dass das jetzt vielleicht noch zu früh ist.
Drohnen sind zu einem besonders wichtigen militärischen Gerät geworden. Da sind wir in Österreich aber nicht sehr gut gerüstet.
Wir brauchen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, da sind viele Beschaffungen im Gang. Der Ukraine-Krieg war ein Gamechanger. Gerade die Drohnentechnologie interessiert übrigens die Jungen sehr.
Vielleicht sind das dann genau die Nerds, die sonst vielleicht als untauglich erklärt werden würden?
Wir werden uns tatsächlich genauer überlegen müssen, welche Tauglichkeit man für welche Funktion braucht – und die Begeisterung für diese Waffengattung steigern.
Sind Robotersoldaten die Zukunft?
Es kommt auf das Einsatzgebiet an. Bei Einsätzen wie in den Hamas-Tunnels werden oftmals Roboter vorausgeschickt. Aber Roboter können im Krieg das menschliche strategische Handeln nicht ersetzen, da Intuition und Erfahrung fehlen.
Ist Österreich gut genug für den bereits tobenden Cyberwar gerüstet?
Österreich ist im Vergleich gut auf Cyberangriffe vorbereitet. Es gibt Strategien, spezialisierte Einheiten und wachsendes Bewusstsein für Cyber-Sicherheit. Es braucht aber noch mehr Ressourcen, regelmäßige Großübungen und eine möglichst vollständige Absicherung kritischer Infrastruktur. Davon profitiert auch die Wirtschaft.
Das Waffengeschäft boomt, Österreich könnte mehr profitieren.
Wir haben noch keine optimalen Rahmenbedingungen. Die von der Industriellenvereinigung eingesetzte und von mir geleitete Taskforce zur Sicherheits- und Verteidigungsindustrie hat Vorschläge gemacht. Manches muss neu interpretiert werden: das Neutralitätsgesetz, das Waffenexportgesetz. Unternehmen, die in diese Sparte verstärkt investieren wollen, erwarten sich auch Export- und Wachstumsmöglichkeiten.
Steyr Arms wollte Gewehre an die tunesische Polizei verkaufen. Die heimische Bürokratie hat so lange für die Genehmigung gebraucht, bis das Geschäft futsch war.
Das ist ein No-Go. Unser Vorschlag ist: transparente Fristen. Wenn die Behörde diese ungenutzt verstreichen lässt, gilt das automatisch als Genehmigung. Es reicht, sich an EU-Recht anzupassen.
Wir sind allerdings neutral.
Die Neutralität gibt bei entsprechender Interpretation viel mehr Möglichkeiten, als wir nutzen.