KRAFT Reinhard:
Quo vadis, Luftstreitkräfte?, in: Unser Auftrag. Zeitschrift der Offiziersgesellschaft Wien, Bd. 302 (Juli 2023), p. 8-12
Die passive Luftraumüberwachung (auch bekannt als Goldhaube) mit ihren ortsfesten und mobilen Radarstationen, sowie den dazugehörigen Zentralen, basiert auf einem nach wie vor gültigen Konzept und bildet die Grundlage für die Luftverteidigung. Erst wenn feindliche Luftfahrzeuge erkannt worden sind, können Maßnahmen ausgelöst werden. Durch die ortsfesten Radarstationen wird dabei die Radargrundbedeckung 24/7 sichergestellt, die dabei zum Einsatz kommenden Long Range Radarsysteme entsprechen den militärischen Anforderungen und werden laufend modernisiert. Aufgrund der Topographie Österreichs ergeben sich jedoch auch sichttote Räume, welche durch mobile Radarstationen abgedeckt werden. Es gibt für Radarsysteme keine völlig „unsichtbaren“ Flugzeuge, Stealth-Flugzeuge reduzieren jedoch die Entdeckungsreichweite. Die dadurch entstehenden Lücken in der Radargrundbedeckung können ebenfalls durch mobile Radarsysteme geschlossen werden.
Exkurs
Auch die Erdkrümmung spielt hier eine wesentliche Rolle. In einer Entfernung von 30 km, ohne Hindernisse dazwischen, beträgt die Erdkrümmung bereits 70 (!) m. Dies bedeutet, dass jedes Luftfahrzeug in dieser Entfernung, welches sich unter dieser Höhe befindet, physikalisch nicht durch ein Radarsystem erfasst werden kann. Daher werden im Ukraine-Krieg Erdkampfeinsätze auch im Tiefstflug mit hohen Geschwindigkeiten durchgeführt, um die Überlebenswahrscheinlichkeit zu erhöhen.
Abhilfe schaffen hier eine größere Anzahl an Radarsystemen bzw. luftgestützten Systemen (da diese von oben nach unten blicken).
Diesen Beurteilungen zu Grunde liegend, werden auch die mobilen Radarsysteme des Österreichischen Bundesheers weiterentwickelt. Das sogenannte Aufklärungs- und Zielzuweisungsradar (Flamingo) soll daher im Aufbauplan durch mehrere Systeme unterschiedlicher Reichweiten ersetzt werden. Auch werden alle weiteren Radarsysteme in Österreich vernetzt, wie z.B. die Radargeräte der zivilen Flugsicherung (dies geschieht bereits seit Anbeginn), wie auch alle Radarsysteme der bodengebundenen Luftabwehrtruppe. Diese Radardaten werden dann zu einem Luftlagebild zusammengefasst (multi-radar-tracking), welches in weiterer Folge die Führungsgrundlage für den Frieden und Einsatz darstellt.
Die bodengebundene Luftabwehr erfährt im Aufbauplan wohl die bedeutendste Entwicklung. Entscheidend dabei ist, dass erst das Zusammenwirken mehrerer Waffensysteme kurzer (bis 15 km), mittlerer (bis 50 km) und weiter (> 50 km) Reichweite einen effektiven Schutz sicherstellen können. Dies bedeutet, dass ein System kurzer Reichweite nicht durch ein System mittlerer Reichweite ersetzt werden kann. Die dazugehörigen Planungen sind bereits seit Jahren in Bearbeitung (Vorhaben Countering Emerging Air Threats), konnten jedoch aus Gründen einer fehlenden Betroffenheit und Ressourcenverfügbarkeit nicht realisiert werden. Im Aufbauplan 2032 ist daher vorgesehen, dass die bereits in die Jahre gekommene leichte Fliegerabwehrlenkwaffe MISTRAL durch das neueste Modell ersetzt werden soll. Das System 35mm Zwillingsfliegerabwehrkanone wird einer Modifikation zur Lebensdauerverlängerung unterzogen und dabei auf den modernsten Stand der Technik nachgezogen. Darüber hinaus sollen die Waffensysteme kurzer Reichweite durch ein weiteres, noch nicht näher definiertes System ergänzt werden. Entscheidend ist, auch ein Waffensystem mit mindestens mittlerer Reichweite beschaffen zu wollen. Damit kann ein bis dato noch nie dagewesener Raum vor Bedrohungen aus der Luft geschützt werden. Des Weiteren sollte dieses System in der Lage sein auch einen Beitrag zur Raketenabwehr leisten zu können. Im Bereich der Drohnenabwehr muss die Größe der in Betracht kommenden Drohnen berücksichtigt werden. So können große Drohnen durch die klassische Fliegerabwehr (wie oben beschrieben) und Kampfflugzeuge bekämpft werden. Schwieriger wird es bei kleinen Drohnen (bis 25kg). Diese sind in der konventionellen Einsatzführung heutzutage nicht mehr wegzudenken und stellen vor allem für die Landstreitkräfte eine große Bedrohung dar. Bereits seit mehreren Jahren macht das Österreichische Bundesheer Fortschritte in diese Richtung (international anerkannt), seit letztem Jahr wird bereits intensiv mit Gerät erprobt. Entscheidend ist dabei, dass Bedrohungen überhaupt einmal erkannt und in weiterer Folge Abwehrmaßnahmen (elektronisch oder kinetisch) gesetzt werden können. Mit dem vorhandenen Wissen und den gefundenen Erkenntnissen soll zeitnah eine erste Beschaffung eingeleitet werden, zunächst einmal für den stationären Objektschutz. In weiterer Folge wird es aber auch bewegliche Abwehrsysteme für alle Kampfverbände (Ebene kleiner Verband) brauchen. Für die Landstreitkräfte ist zudem auch die Implementierung einer begleitschutzfähigen Fliegerabwehr vorgesehen, um den Schutz vor Bedrohungen aus der Luft selbstständig im Kampf der verbundenen Waffen sicherstellen zu können (Ebene großer Verband). Eine effektive Raketenabwehr ist als Einzelstaat kaum umsetzbar. Die politisch avisierte Teilnahme an der European Sky Shield Initiative (ESSI) schlägt genau in diese Kerbe und legt damit den Grundstein für einen Schutz Österreichs vor diesen bereits jetzt existierenden Bedrohungen. Da sich diese Initiative erst am Anfang befindet, bietet sich die Chance, von Beginn
an eingebunden zu sein und selbst mitgestalten zu können (Anm. Die Raketenabwehr war bereits 2007 im damaligen Konzept Luftverteidigung relevant. Dieses Konzept wurde jedoch nie verfügt, stattdessen trat das Konzept Luftsouveränität in Kraft mit deutlich herabgesetzten Ambitionen.).
http://www.ogwien.at/download/?wpdmdl=983
Bgdr Reinhard Kraft hat geschrieben:Darüber hinaus sollen die Waffensysteme kurzer Reichweite durch ein weiteres, noch nicht näher definiertes System ergänzt werden.
Was könnte das heißen? Die Begleit-FlA ist es bestimmt nicht, denn die wird im Text extra erwähnt.