Medienberichte 2022

Landesverteidigung, Einsätze & Übungen, Sicherheitspolitik, Organisation, ...
theoderich
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

Rachefeldzug gegen österreichische Elitesoldaten
Ein afghanischer Asylwerber in Spanien hatte Fotos, Namen und Daten österreichischer Jagdkommandosoldaten. Sie könnten Ziel von Vergeltungsschlägen sein.

Sie haben in Afghanistan Hunderte Männer im Kampf gegen extremistische Gruppen wie die Taliban ausgebildet, ihnen Schießen beigebracht. Einige ihrer Schüler waren allerdings Schläfer oder haben schlicht die Seiten gewechselt.

Dass sich das Jagdkommando damit auch zum Ziel für Vergeltungsschläge gemacht hat, zeigt ein brisanter Fall: Bei einem afghanischen Asylwerber in Spanien ist kürzlich ein bedenklicher Fund gemacht worden. Der Mann hatte Fotos und die persönlichen Daten von zwei Jagdkommando-Ausbildern bei sich.

Die Österreicher zeichneten in Afghanistan im Zuge der „Resolute Support Mission“ zusammen mit anderen Nationen für die Ausbildung der einheimischen Sicherheitskräfte im Krieg gegen die Taliban verantwortlich.

Auf den Fotos sind die Österreicher unmaskiert zu sehen. Ein bedauerlicher Fehler. "Die Aufnahmen sind anscheinend in Umlauf und in die falsche Hände geraten", erklärt Jagdkommando-Kommandant Philipp Ségur-Cabanac.

Geheime Akten

Mit dem hastigen Abzug der Amerikaner im Vorjahr aus Afghanistan hat das Regime vermutlich Zugang zu allen geheimen Akten des internationalen Einsatzes bekommen. Darunter auch die Daten der Österreicher, die bei der Einreise erkennungsdienstlich behandelt wurden.

Was die Fotos und Unterlagen in Spanien anbelangt, hat die Botschaft in Madrid jedenfalls umgehend die österreichischen Behörden und das Jagdkommando informiert. Wo sich der afghanische Asylwerber aktuell befindet, ist nicht bekannt. Daher sei unklar, was der Mann genau im Schilde führe und welche Gefahr von ihm ausgeht.

Wie Ségyr-Cabanac berichtet, seien Ausbilder internationaler Einheiten in Afghanistan schon mehrmals Ziel von Anschlägen geworden. "Deshalb wurde sogar die Ausbildungstaktik angepasst." Sogenannte "Guardian Angels" wurden mit dem Finger am Abzug den Trainern zur Seite gestellt. Diese Taktik habe sich bewährt: "Damit konnten überraschende Angriffe von Afghanen auf die Ausbilder verhindert werden."

Der Vorfall aus Spanien befeuert jedenfalls die Sicherheitsdebatte rund um die Soldaten. Im Zuge einer Verhandlung am Verwaltungsgericht Wien ist das Bedrohungsszenario vor wenigen Tagen erstmals öffentlich geworden. Im Verfahren kämpfen neun Angehörige der Elitetruppe darum, einen Waffenpass zu bekommen, um sich in ihrer Freizeit schützen zu können.

20.000 Schüsse im Jahr

Bisher agierten die Behörden in der Sache restriktiv (siehe Zusatzbericht). Dem Anwalt der Soldaten fehlt dafür jegliches Verständnis. "Man findet keine besser trainierten Sicherheitskräfte im Land. Ihre Ausbildung verlangt 20.000 Schussabgaben pro Jahr unter extremen Stressbedingungen. Das sind absolute Profis", erklärt der Jurist.

Ségur-Cabanac, der als Zeuge den Fall von Spanien darlegte, tritt entschieden dafür ein, dass seine Männer endlich Zugang zu einem Waffenpass bekommen. Dem Kommandanten sei bewusst, dass die Gesellschaft danach trachte, dass möglichst wenig Schusswaffen im Umlauf seien. "Wenn, dann sollten sie aber Personen haben, die damit umgehen können. Das wäre ein Mehrwert für die Sicherheit unserer Gesellschaft."
https://kurier.at/chronik/oesterreich/r ... /401935678


Kommando Türkis: Wie Tanner Heer und Ministerium umfärben soll
Bei der geplanten Reform der Bundesheerspitze sollen laut Kritikern die engsten Berater von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner mit hochrangigen Posten versorgt werden. Sogar eine "Umfärbung" des Heeres wird befürchtet

Es sollte die größte Bundesheerreform seit dreißig Jahren werden – aber die Reorganisation läuft nicht so glatt über die Bühne, wie sich das die Führungsspitze des Verteidigungsministeriums gewünscht haben dürfte.

Wie DER STANDARD vergangene Woche berichtet hat, zeigt sich etwa die Präsidentschaftskanzlei äußerst skeptisch. Thomas Starlinger, der Adjutant von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, warnte in einer E-Mail sogar vor einer "massiven Gefährdung der Einsatzfähigkeit" des Bundesheeres, sollte Ministerin Klaudia Tanner (ÖVP) die Reform durchziehen.

Aber auch intern rumort es im Heer ordentlich – aus vielerlei Gründen. Der Reformplan sieht die Schaffung dreier mächtiger Generaldirektoren vor – und deren Leitungsposition sei laut Insidern, die anonym bleiben wollen, exakt auf die drei wichtigsten Berater Tanners zugeschnitten.

Maßgeschneiderte Posten

Der wohl wichtigste Posten ist die Leitung der Generaldirektion für Landesverteidigung, der neun Direktionen unterstehen werden. Auf diese Stelle soll Rudolf Striedinger, Tanners einstiger Generalstabschef, ein Auge geworfen haben. Er leitet momentan die Gesamtstaatliche Covid-Krisenkoordination Gecko und fiel dort mit dem Tragen eines "Tarnanzugs" sowie martialischer Sprache auf. Früher war der ÖVP-nahe Generalmajor Abwehramt-Chef.

Im Verteidigungsministerium soll es in der neuen Struktur dann zwei zivile Generaldirektionen geben.

Zum einen wäre da die Generaldirektion für Präsidial- und Personalverwaltung: Hier sollte dem Vernehmen nach Tanners Generalsekretär Dieter Kandlhofer zum Zug kommen. Der Jurist arbeitete lange beim Verfassungsgerichtshof und wurde dann unter Sebastian Kurz in die Politik geholt. Der frühere Kanzler machte ihn zu seinem Generalsekretär, in dieser Funktion sei er unter anderem an der umstrittenen engeren Anbindung der Statistik Austria ans Kanzleramt beteiligt gewesen.

Vorwürfe gab es auch, weil ein Unternehmen, an dem er beteiligt war, am türkisen "Familienfest" mitverdiente, das von Ministerien bezahlt worden war. Allerdings soll der Widerstand gegen Kandlhofer, der keine militärische Erfahrung hat, so groß sein, dass das Ministerbüro nun auf der Suche nach einem ÖVP-nahen hochrangigen Militär für diese Position sei. Dafür könnte Kandlhofer in Richtung einer Position in einem Höchstgericht aufsteigen.

Reform der Reform

Im Zuge der Reform soll sich übrigens ein Problem aufgetan haben: Die angeblich für Kandlhofer geplante Stelle sei "zu gering" bewertet worden, man hätte dort also zu wenig verdient. Deshalb sei die Reform reformiert worden, sodass nun plötzlich auch nachgeordnete Stellen – denen etwa Portiere oder Reinigungskräfte zugeteilt waren – in die Direktion verschoben wurden. Plötzlich sei die Leitungsfunktion wieder so bewertet worden, dass ein fünfstelliges Gehalt möglich sei; nur müssten dafür über dreißig Paragrafen geändert werden.

Einen fünfstelligen monatlichen Betrag verdient künftig auch der Leiter der geplanten Generaldirektion für Verteidigungspolitik, für die Tanner offenbar ihren früheren Kabinettschef Arnold Kammel im Blick hat. Er war einst im ÖVP-nahen Thinktank AIES aktiv, dann Referent im Kabinett von Gernot Blümel, als dieser Kunstminister war.

Vorbild Innenministerium?

Kurzum: Im Heer und bei der Opposition fürchten einige, dass Tanner eine massive Umfärbung des Bundesheeres und des Verteidigungsministeriums plant. Für Manfred Haidinger, Präsident der Bundesheergewerkschaft, weckten die Pläne sogar Erinnerungen an den früheren Innenminister Ernst Strasser (ÖVP), der ab dem Jahr 2000 sein Ressort zur ÖVP-Bastion umbaute.

Damals in Strassers Kabinett: die heutige Verteidigungsministerin Klaudia Tanner ebenso wie der heutige Innenminister Gerhard Karner. Tanner ist auch anderweitig eng in die türkisen Strukturen eingebunden: Ihr Schwager ist Stefan Steiner, seines Zeichens Chefstratege der ÖVP und derzeit Beschuldigter in der Causa Umfragen – es gilt die Unschuldsvermutung.

Stellvertretende Kabinettschefin Tanners war Katharina Nehammer, Ehefrau des jetzigen Kanzlers. Tanner, die Nehammers und die Familie von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner waren zuletzt gemeinsam auf Skiurlaub – eine Tradition der drei Familien.

All das wird im Haus mit Argusaugen beobachtet. Personalvertreter, die der Opposition nahestehen, beklagen auch, dass erste Schritte der Reform bereits umgesetzt wurden, ohne dass dafür die rechtliche Grundlage geschaffen wurde. Das führt zu einer bizarren Situation: In der künftigen Struktur sind viele Mitarbeiter dienstrechtlich nicht mehr Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, sondern einem Generaldirektor für Landesverteidigung unterstellt. Das wird auch jetzt schon so gehandhabt, obwohl faktisch der alte Zustand herrscht. Vom Budgetplan ganz zu schweigen: Dort sind noch Stellen angeführt, die es schon jetzt gar nicht mehr gibt.

Widerstand und Ränkespiele

Die komplizierte neue Struktur kritisierte auch Starlinger, der Adjutant des Bundespräsidenten, der in der Expertenregierung Bierlein selbst Verteidigungsminister war. Er warnte vor einer "Verkomplizierung der Arbeitsbeziehungen", nun soll er laut Verteidigungsministerium in die Reform "aktiv eingebunden" werden.

Es gibt im Haus aber auch andere Stimmen, die darauf hinweisen, dass ein fließender Übergang bei einer Organisationsstruktur normal sei. Ebenso sei es zur Aufwertung mancher Bereiche gekommen; die Sanitätsangelegenheiten seien zuvor zerstreut gewesen, ebenso IKT.

Offiziell betonen Verteidigungsressort und Präsidentschaftskanzlei ohnehin, sich in konstruktiven Gesprächen zu befinden. "Das Ziel ist die Truppe zu stärken und die Verwaltung zu verschlanken", heißt es aus dem Büro von Tanner zur Reform. Man befände sich in Gesprächen mit dem BMKÖS, also dem Ministerium von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) bezüglich der konkreten Neugestaltung. Das hat ein Mitspracherecht, weil dort die Agenden für öffentliche Verwaltung angesiedelt sind.

Der Ukraine-Konflikt verschärft die Dringlichkeit der Reform allerdings deutlich. So betonte Generalstabschef Robert Brieger, der derzeit de facto die Stelle des Generaldirektors für Landesverteidigung einnimmt, aber im Juni nach Brüssel wechseln wird, dass das Heer sechs bis zehn Milliarden Euro benötige. Es gebe "keinen Bereich, der keinen Modernisierungsbedarf" habe, sagte Brieger zur Nachrichtenagentur APA. Auch Tanner hielte zehn Milliarden Euro für "sehr schön". (Fabian Schmid, 12.3.2022)
https://www.derstandard.at/story/200013 ... erben-soll


Salzburgs Militärkommandant zweifelt an der Neutralität Österreichs

https://www.sn.at/salzburg/politik/salz ... -118287589

Die Wunschliste des Bundesheeres: „Kein Bereich ohne Bedarf"

Flugzeuge, Panzer, Drohnen, Fliegerabwehr: Generalstabschef Robert Brieger zählt auf, wo das Bundesheer den dringendsten Investitionsbedarf hat. Jetzt verhandelt die Politik.


Wien. Es geht um mehr als 1,5 Milliarden Euro pro Jahr: Wegen des Krieges in der Ukraine hat sich zuletzt auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) dazu bekannt, das Verteidigungsbudget auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Derzeit sind es 0,6 Prozent oder 2,7 Milliarden pro Jahr - ein Prozent wären bis zu 4,5 Mrd. Euro. Derzeit verhandelt die türkis-grüne Koalition hinter verschlossenen Türen, wie das zusätzliche Geld investiert werden soll. Auch die Debatte über verpflichtende Milizübungen und damit eine Verlängerung der Wehrpflicht liegt wieder auf dem Tisch.

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) will die erste Budgettranche noch heuer. Die Generäle im Heer wüssten schon, wie sie zusätzliches Geld investieren würden. "Ausgeplanter kann man gar nicht sein", heißt es im Verteidigungsministerium. Generalmajor Thomas Starlinger, Verteidigungsminister der Übergangsregierung von Brigitte Bierlein und seither wieder Adjutant von Bundespräsident Alexander Van der bellen, ließ unter dem Motto "Bundeshere 2030" auflisten, was fehlt.

Unter dem Strich stand im dem Bericht Starlingers ein Nachrüstungsbedarf von mehr als 16 Mrd. Euro, aufgeteilt auf zehn Jahre. Tatsächlich wurde das Heeresbudget unter Nachfolgerin Tanner etwas aufgestockt. Statt zusätzlicher Milliarden gab es bislang aber nur einige 100 Millionen Euro.

Der Ukraine-Krieg ändret diese Aufstellung nun. Generalstabschef Robert Brieger, der am Papier Starlingers federführend mitgearbeitet hat, beziffert in einem Interview mit der Austria Presse Agentur den dringendsten Investitionsbedarf mit sechs bis zehn Mrd. Euro in den kommenden zehn Jahren. Es gebe beim Bundesheer "keinen bereich, wo es keinen Modernisierungsbedarf gibt".

Brieger zählt die Bereiche auf, in die er Geld stecken würde: "Wir brauchen Schutz und Beweglichkeit der Infanterie, eine Erneuerung der Hubschrauberflotte, die eingeleitet ist, aber noch ergänzt werden könnte."

Und weiter: Das Heer benötige dringend Drohnen und Drohnenabwehr, Fliegerabwehr mittlerer Reichweite, eine Revitalisierung oder eine Neuanschaffung der in die Jahre gekommenen Panzer sowie Investitionen in die passive und aktive Luftraumüberwachung sowie in moderne Munition. Denkbar wären auch Eurofighter-Zweisitzer, "um die Staffel komplett zu machen".

Und wenn genug Geld da wäre, mache eine Zweiflotten-Lösung Sinn. So könne man für das Training der Piloten von den teuren Eurofighter-Flugstunden wegkommen und würde "ein zweites Standbein für die Luftraumüberwachung schaffen".

Der General, der im Juni als Leiter des Militärausschusses der Europäischen Union (EUMC) nach Brüssel wechselt, fordert außerdem eine langfristige Absicherung der Finanzierung. Dies sei auch deshalb nötig, weil die Einführung komplexer Waffensysteme Zeit brauche. Sein Vorschlag wäre ein Streitkräfteentwicklungsgesetz, an das auch künftige Regierungen gebunden wären.

Wo und wie viel die Regierung in die Landesverteidigung investieren will, verhandeln ÖVP und Grüne hinter verschlossenen Türen. Nächste oder übernächste Woche soll der Ministerrat ein Konzept beschließen. Dem Grundsatz nach haben sich auch SPÖ, FPÖ und NEOS schon für ein höheres Heeresbudget ausgesprochen. Ob sie am Ende zustimmen, wird davon abhängen, was tatsächlich auf der Einkaufsliste steht (sabl, APA).
https://www.tt.com/artikel/30815198/die ... hne-bedarf
Zuletzt geändert von theoderich am So 13. Mär 2022, 21:15, insgesamt 6-mal geändert.
muck
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von muck »

theoderich hat geschrieben: Do 10. Mär 2022, 19:48"Das Gleichgewicht des Schreckens von atomaren Mächten funktioniert offensichtlich nicht mehr", fügte [Nehammer] hinzu.
Nehammer begibt sich hier in die Gesellschaft des ultralinken französischen Präsidentschaftskandidaten Mélenchon und führender deutscher Sozialdemokraten, die entweder aus ideologischen Motiven oder völliger sicherheitspolitischer Naivität einer Realitätsverweigerung unterliegen, denn gerade dies hat die russische Invasion der Ukraine nicht gezeigt.

Hätte die Ukraine nicht im Zuge des Budapester Memorandums gegen russische Sicherheitsgarantien (!) ihre Nuklearwaffen abgegeben, hätte Russland schwerlich den Angriff auf das Land wagen können. Außerdem lohnt es sich, an das Wort des deutschen Kanzlers Scholz zu denken, der sich durch Präsident Putins Handeln ins 19. Jahrhundert zurückversetzt wähnt.

Wäre dies das 19. Jahrhundert, hätten die westlichen Garantiemächte des Budapester Memorandums, Großbritannien und die Vereinigten Staaten, Russland längst angegriffen, um das Mächtegleichgewicht in Europa wiederherzustellen. Umgekehrt würde Russland diesen Staaten längst den Krieg erklärt haben, um die Ukraine von ihrer Unterstützung abzuschneiden.

Niemand gebe sich irgendwelchen Illusionen hin: Was am 24. Februar 2022 passiert ist, hätte noch vor drei Generationen direkt in den Weltkrieg gemündet. Es ist das Gleichgewicht des Schreckens, welches dies verhindert hat.

Nebenbei bemerkt: Irre ich mich, oder erkennt Kanzler Nehammer hier indirekt an, dass er Österreich unter dem Schutzschirm der Atommächte wähnte?
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

Pressestunde
ORF2
So., 13.3.2022 | 11.05 Uhr
Barbara Battisti (ORF): „Was auf jeden Fall schon Ihre Aufgabe ist, ist das Geld zur Verfügung zu stellen für die einzelnen Ressorts in der Regierung. Und da ist die Entscheidung gefallen, dass das Bundesheer aufrüsten wird. Dass wir künftig 1 % unserer Wirtschaftsleistung für das Bundesheer ausgeben. Das entspricht etwa … gut 4 Milliarden Euro.

Das ist ja wohl im Budget, das Sie übernommen haben, nicht eingepreist gewesen. Wo müssen wir dann einsparen, damit wir uns das leisten können?“

Magnus Brunner (Finanzminister, ÖVP): „Da geht’s um die nächsten Budgets. Und ja, es sind sich alle Parlamentsparteien auch einig, dass man im Bereich der Verteidigung etwas tun muss; dass wir hier das Budget anheben müssen. Da sind sich alle einig.

Und jetzt geht’s darum, konkrete Pläne zu erarbeiten, wie das stattfinden kann. In welchen Stufen das stattfinden kann.

Und man muss … man muss das schon für sich seriös halt anschauen, in welchen Zeitraum was notwendig sein wird. Und darum wird’s wahrscheinlich eine stufenweise Anhebung geben, auf die Bereiche, auf die Prozentsätze, die Sie genannt haben.“

BATTISTI: „Es ist auch im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg eine Diskussion über die Neutralität Österreichs in Gang gekommen. Wie stehen Sie da zu unserer Neutralität? Ist das etwas, das im Lichte der kriegerischen Handlungen in unserem … unserer Nachbarschaft sozusagen auf dem Prüfstand stehen sollte?“

BRUNNER: „Nein, das finde ich nicht. Also, der Bundeskanzler hat das ja auch ganz klar ausgedrückt. Wir stehen selbstverständlich zur Neutralität. Das ist die militärische Neutralität, von der wir sprechen. Wo wir nicht neutral sind, ist natürlich, wenn’s um Völkerrechtsverletzungen geht. Da sind wir natürlich nicht neutral. Und das haben wir, glaub‘ ich, auch die letzten Tage und Wochen gezeigt.“

Gerold Riedmann (Vorarlberger Nachrichten): „Aber das heißt, Sie implizieren indirekt schon auch, dass Österreich für die von uns sehr geschätzte Sicherheit in diesem europäischen, westeuropäischen Kontext, mehr ausgeben wird müssen.“

BRUNNER: „Wir werden mehr ausgeben müssen, in Österreich, aus dem Budget. Wir werden natürlich das Verteidigungsbudget aufstocken. Da sind wir uns eben im Parlament und mit allen Parteien auch einig. Das werden wir tun. Geht in Richtung die 1 % des BIP, die wir vorher besprochen haben. Das werden wir selbstverständlich tun.

Und die letzten Tage und Wochen haben uns gezeigt, in ganz Europa, aber auch in Österreich, dass das notwendig ist. Dieser Krieg ist nicht weit von Österreich entfernt. Man hat immer den Vergleich: Die Ukraine ist näher bei Wien wie Bregenz. Und das muss man sich schon vor Augen führen, wie nah das ganze ist und deswegen sind solche Erhöhungen auch im Verteidigungsbudget aus meiner Sicht notwendig.“

RIEDMANN: „Sie haben mich eben überrascht, als Sie doch erwähnt haben, eigentlich das Nulldefizit wär‘ ja eigentlich das Ziel sozusagen. Alle ÖVP-Finanzminister sind zuletzt mit den Plänen, ein Nulldefizit zu erreichen, an den Start gegangen. Ist das nicht doch ein unwahrscheinliches Ziel, im aktuellen Moment?“

BRUNNER: „Ja, selbstverständlich. Also in Krisensituationen wird das nicht möglich sein. Meine Aussage von vorher war, dass wir mittelfristig wieder versuchen müssen, auf einen ausgeglichenen Budgetpfad zurückzukommen. Das ist die Aussage. Momentan natürlich, mit der ganzen Krisenbewältigung, wird das nicht möglich sein.

Wir haben aber gesehen, dass wir einen ausgeglichenen Haushalt gehabt hätten, wenn wir Corona nicht gehabt hätten. Also: Wir waren auf gutem Weg, der Pfad hat gestimmt. Und, ja, dann kam Corona. Ohne Corona wär’s möglich gewesen bereits. Jetzt kommt die nächste Krise. Wird sicher auch nicht von heut‘ auf morgen möglich sein.

Aber der Zugang ist der, dass wir eben mittelfristig wieder zu einem nachhaltigen Budgetpfad zurückkehren. Und das in Österreich, aber auch in Europa.“
https://tvthek.orf.at/profile/Pressestu ... P/14127847




Verteidigungsministerin I Tanner: "Ich will ein wehrhafteres Österreich"
Frau Minister, Wolfgang Schüssel, damals Kanzler und ÖVP-Chef, hat vor 20 Jahren gesagt, "die alten Schablonen – Lipizzaner, Mozartkugeln oder Neutralität – greifen in der komplexen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts nicht mehr". Jetzt beschwören trotz des Krieges in der Nachbarschaft gerade alle wieder die Neutralität. Was hat sich in diesen 20 Jahren geändert?

Klaudia Tanner: Die Neutralität ist in der Verfassung festgehalten. Auch wenn sie sich durch den EU-Beitritt geändert hat. Anlässlich der Ukraine-Krise haben wir alle vom Bundespräsidenten abwärts festgehalten, dass wir neutral waren, sind und bleiben - militärisch, aber nicht politisch, wenn das Völkerrecht verletzt wird.

Ex-Armeechef Höfler meint, die Neutralität schütze Österreich nicht.

Die persönliche Meinung des Generals ist ihm unbenommen. Meine Meinung - und die der ÖVP - ist sehr klar, wie gerade gesagt.

Unter Schüssel drängte die ÖVP aber Richtung NATO. Warum hat sich das in den vergangenen zwei Jahrzehnten geändert?

Geschichtsforschung ist nicht das, was es jetzt braucht. Als Juristin weiß ich gar nicht, warum man den Beitritt zu einem Militärbündnis diskutiert, der sich schon allein durch die Verfassung nicht stellt. Auch der Zeitpunkt ist nicht besonders klug.

Warum denn nicht?

Weil wir uns durch den Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine in einer noch nie da gewesenen Situation befinden. Wir haben genug Aufgaben, für die Sicherheit zu sorgen - auch für das subjektive Sicherheitsgefühl. Kennt man die Einstellung der Österreicherinnen und Österreicher zur Neutralität, beantwortet sich diese Frage von selber.

Schweden und Finnland, ebenfalls bisher bündnisfrei, orientieren sich stark in Richtung Nato. Wo soll Österreich sich in Europa hinentwickeln?

Diese Frage stellen nicht nur wir uns, weil seit 24. Februar alles anders ist. Fast überall werden die Verteidigungsbudgets steigen; außerdem gibt es einen gemeinsamen Zugang, dass die veränderte Lage in den neuen strategischen Kompass der EU eingearbeitet werden soll. Nebenbei gibt es auch Hausaufgaben, die jeder Staat zu erledigen hat.

Österreich liefert Helme und Splitterschutzwesten an die Ukraine; wie geht das mit unserer Neutralität zusammen?

Wir haben uns das sehr genau angeschaut. Beides ist für die Zivilbevölkerung gedacht; sollte etwas anderswo hinkommen, müssten wir das neu bewerten.

Was könnte das Bundesheer noch in die Ukraine liefern?

Wir prüfen die Lieferung von Lebensmittelkonserven. Der ukrainische Botschafter hat mich bei unserem letzten Gespräch darum gebeten.

Deutschland nimmt ein "Sondervermögen" von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr in die Hand. Werden sich die Staaten abstimmen, wie viel sie wofür ausgeben?

Man muss vorsichtig sein, Beträge oder die Prozentsätze der Verteidigungsbudgets am BIP zu vergleichen. Fakt ist: Es gibt einen parteiübergreifenden Beschluss im Nationalen Sicherheitsrat, dass das Bundesheer gut ausgestattet wird. Der Bundeskanzler hat hier die Richtschnur von einem Prozent des BIP ausgegeben. Wichtig ist, Planungssicherheit zu haben. Aber das Budget ist nur ein Aspekt - man muss auch schauen, dass wir die Mannesstärke und die Fähigkeit haben, um es zu nutzen. Mein Ziel ist eine spürbare Steigerung noch in diesem Jahr.

Wir verhandeln noch - aber ich gehe davon aus, dass das recht zügig gehen wird. Das Thema ist ja nicht erst über Nacht aufgetaucht; seit meinem Amtsantritt ist klar, welchen Investitionsrückstau es gibt. Wir haben die Pakete ausgearbeitet und verhandeln jetzt, was wann umgesetzt wird. Mein Auftrag an den Generalstab war, jetzt auch noch die geänderte sicherheitspolitische Lage zu berücksichtigen.

Man hat in den vergangenen 20 Jahren der sozialen Sicherheit den Vorrang gegenüber der militärischen Sicherheit eingeräumt - nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen europäischen Staaten. Jetzt hat man erkannt - auch durch die zweite große Krise, den Kampf gegen die Pandemie -, wie wichtig ein Bundesheer ist, das in Budget und Mannstärke gut ausgestattet ist.

Ja, die Prioritätenreihung ist durch die neue Lage völlig neu bewertet worden, auch was schwere Waffensysteme angeht. In unsere Panzer wurde seit den 90er Jahren nichts mehr investiert - wir werden hier wieder mehr Geld in die Hand nehmen.

Luftstreitkräfte

Auch das gilt es neu zu bewerten. Das Vordringlichste sind aber nicht die Eurofighter, die fliegen noch bis 2035. Aktueller ist die Frage des Lufttransportes - das Hercules-System läuft 2035 aus.

Ich hätte mir ein Konzept für die Panzer erwartet. Da hieß es lang "wir haben kein Geld dafür". Jetzt hätte ich das Geld und komme drauf, es gibt gar kein Konzept.

Ich kann das ehrlicherweise nicht sagen. Wir müssen uns aber darum kümmern, wie die Österreicher im europäischen Vergleich zur Frage der Wehrhaftigkeit aufgestellt sind. Bei der letzten Umfrage zu dem Thema im Jahr 2015 waren nur 22 Prozent bereit, ihr Land mit der Waffe zu verteidigen. In Schweden oder Finnland lag diese Quote dreimal so hoch. Damit müssen wir uns beschäftigen - und ob sich das seit damals verändert hat.

Ja, das wünsche ich mir. Das zeigt ja auch die Bereitschaft, ins Bundesheer einzutreten. Nur das Budget zu erhöhen alleine wird nicht reichen.
https://www.kleinezeitung.at/politik/in ... esterreich
Zuletzt geändert von theoderich am Mi 16. Mär 2022, 20:03, insgesamt 2-mal geändert.
innsbronx
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von innsbronx »

Diese Person ist einfach dermaßen inkompetent - sie ist offenbar nur auf dem Ministerposten, um anderen Parteigünstlingen aus Niederösterreich einflussreiche Leitungsposten zu verschaffen.
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

Historischer Unsinn
Neutralität: Wo Kanzler, Kickl & Co. falschliegen

https://www.krone.at/2652615
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

Mehr Geld für Bundesheer I Kunasek zweifelt an Strategie vom Bund und fordert konkrete Planung fürs Heer

https://www.kleinezeitung.at/steiermark ... e-vom-Bund

kurier.at hat geschrieben:03/13/2022

Vier Milliarden Euro: Wo das Bundesheer aufrüsten wird

Österreichs Wehrbudget soll noch heuer von 2,7 auf mehr als vier Milliarden Euro anwachsen. Was soll die Armee mit dem Geld machen?

von Christian Böhmer

Viele Monate vor der Pandemie, in einer Zeit, in der es noch absurd erschien, dass ein europäisches Land militärisch überfallen wird, da wurde im Bundesheer eine Analyse erstellt, an der nur eines harmlos war: ihr Name.

„Unser Heer 2030“ hieß der Bericht, in dem der damalige Verteidigungsminister nachgerade Unerhörtes festhielt. Denn Thomas Starlinger schrieb, dass „der Schutz der Bevölkerung schon heute nur sehr eingeschränkt gewährleistet werden kann“. Und in der Tonart ging es weiter: Quartiere seien baufällig, die Ausrüstung antiquiert, ganze Waffensysteme wie die alten Saab-Jets seien de facto ein Fall fürs Museum.

Am maroden Zustand der Armee hat sich seit 2019 nichts Fundamentales geändert. Doch seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine ist die Haltung zum Heer eine andere.

Deutschland will zusätzliche 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr investieren, und Österreich zieht nach: Die Regierung hat einen beispiellosen Anstieg des Wehrbudgets in Aussicht gestellt. „Um alle Herausforderungen zu erfüllen, brauchen wir ab heuer ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts“, sagte am Freitag Verteidigungsministerin Klaudia Tanner. Das wären, je nach wirtschaftlicher Entwicklung, zwischen 4,3 und 4,5 Milliarden Euro – und damit um zumindest 1,6 Milliarden Euro mehr als jetzt.


Was kann, was soll mit diesem Geld geschehen? Woran hapert es in der Armee? Die schlechte Nachricht lautet: an allem. „Es gibt im Bundesheer keinen Bereich, in dem kein Modernisierungsbedarf besteht“, sagt Österreichs ranghöchster Soldat, Generalstabschef Robert Brieger.

Russlands Angriffskrieg zeigt eindrücklich: Kriege werden weiterhin auch „konventionell“, also mit Flugzeugen, Panzern und Soldaten bestritten. „Der Krieg in der Ukraine führt uns vor Augen, dass beispielsweise die Bedrohung aus der Luft eine reale ist. Deshalb brauchen wir eine funktionierende Drohnen- und Fliegerabwehr – die wir nicht haben“, sagt Günter Höfler. Der Generalleutnant war Kommandant des Streitkräfteführungskommandos und bis 2017 Leiter der Militärvertretung in Brüssel.

Zweisitzer

Vereinfacht gesagt zeigt der Ukraine-Konflikt auf der ukrainischen Seite, was Österreichs Armee können müsste. Die Lufthoheit ist das eine. Sie erfordert moderne Radar-Systeme, zeitgemäße Fliegerabwehr-Kanonen und Jets in ausreichender Zahl und Qualität. All das ist in Österreich nur bedingt gegeben. „Wir haben 15 Eurofighter ohne Selbstschutz oder leistungsfähige Raketen“, sagt Höfler. „Wir sind in der Lage zu sichten, aber nicht zu sichern.“

Generalstabschef Brieger würde zudem die Hubschrauberflotte erneuern und einen Eurofighter mit zwei Sitzen beschaffen – damit Österreich selbst Piloten ausbilden kann und nicht auf fremde Staaten angewiesen ist.

Veraltete Systeme

Mit der Luft ist es aber nicht getan: Zu ebener Erde müssen die Soldaten sicher und schnell unterwegs sein können. Das bedeutet: Sie brauchen gepanzerte Fahrzeuge. Und: Sie benötigen moderne Waffensysteme, um sich verteidigen zu können – etwa gegen herannahende Panzer. „Wir haben da ein schwedisches Waffensystem, BILL genannt“, sagt Höfler. „Allerdings ist das veraltet und auch nicht in der nötigen Stückzahl vorhanden.“ Ähnliches gilt für Mistral, eine Flugabwehr-Rakete. „Auch dieses System ist veraltet.“

Der akute Bedarfskatalog lässt sich um hunderte Posten verlängern: Da finden sich Nachtsichtgeräte, damit Soldaten auch nachts bewachen und kämpfen können; da fehlen schneetaugliche Fahrzeuge für die Aufklärer und technische Upgrades für die alten Leopard-Panzer. Allein die EDV für die Cybersoldaten braucht Investitionen über eine dreiviertel Milliarde.

Aus Sicht der Militärs ist das Budget nicht das einzige Problem. Die Zeit ist beim Kauf von Waffen und Gerät ein erheblicher Faktor. Ausschreibung, Produktion, Auslieferung und Ausbildung: All das braucht zum Teil viele Jahre. Zeit, die Österreich nur bedingt hat. Noch einmal Generalleutnant Höfler: „Die Schweden und die Finnen sind hochgerüstet, wir nicht. Es ist Zeit zu handeln. Konzepte gibt es bereits genug.“
Zuletzt geändert von theoderich am So 13. Mär 2022, 21:14, insgesamt 1-mal geändert.
muck
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von muck »

innsbronx hat geschrieben: So 13. Mär 2022, 16:47 Diese Person ist einfach dermaßen inkompetent - sie ist offenbar nur auf dem Ministerposten, um anderen Parteigünstlingen aus Niederösterreich einflussreiche Leitungsposten zu verschaffen.
Wobei der letzte von ihr angesprochene Punkt gar nicht mal so dumm ist. Zwar lautete die Fragestellung bei der erwähnten Umfrage meines Wissens nach, ob der Befragte für sein Land zu kämpfen bereit sei - ein Unterschied, wenn man etwa an Auslandseinsätze denkt -, auch könnte ich mir vorstellen, dass das Ergebnis seit dem 24. Februar ein wenig anders aussieht. Trotzdem haben Österreich und ganz Westeuropa ein großes Problem, was die geistige Wehrfähigkeit angeht. Wir werden als Europäer nicht umhinkommen, auf Rezepte von vor 1990 zu blicken.
theoderich
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

Nehammer: NATO-Länder in EU würden Österreich schützen

https://orf.at/#/stories/3253175/
Österreichs Regierungschef spricht von einem Wendepunkt in der europäischen Sicherheitspolitik. Beim EU-Gipfel verständigte man sich auf den Beistand für alle Mitglieder.

Zwei Tage haben sich die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in Versailles über den Krieg in der Ukraine beraten. Die Hoffnung war nicht sehr groß, dass es gelingen könnte, Russlands Präsident Wladimir Putin vom Krieg abzubringen, erklärte Bundeskanzler Karl Nehammer dem STANDARD unmittelbar nach Ende des Treffens. Wo 1919 nach dem ersten Weltkrieg der Friedensvertrag von Versailles verkündet wurde, vereinbarten die EU-Chefs, zügig eine stärkere EU-Militärpolitik umzusetzen.

Für die Neutralität sei das kein Problem, sagt Nehammer, Österreich werde sich sicherheitspolitisch mehr engagieren, das Bundesheer zur EU ausrichten. Bemerkenswert: Jene EU-Staaten, die zugleich der Nato angehören, hätten deutlich gemacht, dass die Neutralen und Bündnisfreien wegen der EU-Beistandspflicht indirekt auch von der Nato geschützt werden. Das gilt als Warnung an Moskau, das Finnland gedroht hat. Österreich profitiere davon, erklärt Kanzler Nehammer.

DER STANDARD: Sie haben sich beim EU-Gipfel an einem ganz besonderen Ort zwei Tage lang mit den EU-Regierungschefs über den Ukraine-Krieg beraten. Wie war die Stimmung, wie ist Ihre Einschätzung der Lage?

Nehammer: Präsident Emmanuel Macron hat sich gleich zu Beginn an Olaf Scholz gewandt und daran erinnert, wie geschichtsträchtig dieser Ort für ihre beiden Länder ist, für Frankreich und Deutschland. Und er hat darauf hingewiesen, dass hier aber auch die Grundlage geschaffen wurde für den nächsten Krieg.

Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Friedensvertrag von Versailles 1919. Hat er das so formuliert?

Nehammer: Genau so. Es waren sich alle Regierungschefs sehr bewusst, in welcher besonderen Zeit wir sind, an einem besonderen Ort, und wie sorgsam wir mit unseren Entscheidungen umgehen müssen.

An Historie mangelt es im Schloss nicht. Es ist wie eine Gemäldegalerie europäischer Kriege über Jahrhunderte. Auf dem Fahnenmast über dem Hauptportal waren die französische und die europäische Fahne vereint aufgezogen.

Nehammer: Man spürt das totale Engagement Frankreichs für Europa, die Sichtbarkeit ist besonders ausgeprägt. Was man jetzt im Ukraine-Konflikt merkt, ist, dass Deutschland und Frankreich eine besonders wichtige Rolle spielen.

Man könnte manchmal meinen, die Großmachtpolitik aus Zeiten des Völkerbunds ist zurückgekehrt. Die Uno, die OSZE kommen in der Krisenbewältigung zur Ukraine kaum vor.

Nehammer: Ich versuche es aus der Sicht kleinerer Staaten einmal positiv auszudrücken. Es ist schon sinnvoll, wenn gerade bei einem so großen Konflikt eine stringente Kommunikation gegeben ist. Das bietet sich mit Frankreich und Deutschland an. Aber es wurde in den Sitzungen schon deutlich, dass mit den kleineren Staaten viel gesprochen wird, vor allem den besonders Betroffenen wie im Baltikum zum Beispiel. Deutschland hat eine sehr enge Verbindung zu den Niederlanden. Wir bringen unsere Verbindungen zu den östlichen Nachbarstaaten ein und unterstützen die OSZE. Jeder übernimmt seine Rolle, je nach nachbarschaftlichen, historischen Beziehungen.

Wie groß ist die Sorge, dass dieser Krieg für ganz Europa zur Gefahr wird?

Nehammer: Dass Russland gegen die Ukraine Krieg führt, ist ganz klar eine Frage von Täter und Opfer. Das wird sichtbar. Und es gibt unterschiedliche Betroffenheitslagen. Die kleinen Staaten an der Grenze zur Russischen Föderation trifft der Krieg in einem besonderen Ausmaß. Den großen EU-Staaten kommt eine besondere Verantwortung zu. Man merkt aber, dass wir sehr fokussiert sind auf diesen Konflikt. Die einzelnen Befindlichkeiten und Interessen, die sonst auch bei allen möglichen EU-Themen auftauchen, die gibt es freilich auch bei diesem Thema.

Wie wird das weitergehen in der Ukraine?

Nehammer: Die Einschätzungen, die jene, die mit Putin regelmäßig sprechen, uns gegeben haben, sind sehr ernst, nicht sehr optimistisch. Man ist froh, dass man eine Gesprächsfähigkeit zu Putin aufrechterhält. Man geht davon aus, dass der Konflikt noch härter wird. Der Verteidigungswille der Ukrainer fordert die Kampfbereitschaft der Russen derzeit extrem heraus.

Was bedeutet das?

Nehammer: Die Moral der Truppe ist auf der ukrainischen Seite höher als auf der russischen, was wiederum dazu führt, dass immer härtere Waffen eingesetzt werden.

Also ist die Hoffnung auf einen baldigen Waffenstillstand gering?

Nehammer: Es wird hinter den Kulissen alles versucht, das zu erreichen. Aber am Ende hängt es davon ab, ob der Stärkere sein Ziel erreicht, das ist die russische Seite. Wenn die Russische Föderation ihrem Ziel nahekommt, wird es immer schwieriger, zu Friedensverhandlungen zu kommen oder in einem Zwischenschritt auch nur zu einem Waffenstillstand.

Für uns Beobachter stellt sich die Sache so dar, dass weder die Nato noch die EU, auch nicht einzelne Länder, irgendwie bereit sind, in den Krieg einzugreifen, obwohl es immer öfter zu Kriegsverbrechen kommt, wie die Uno sagt. Ist das so?

Nehammer: Es ist im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich, dass aus diesem Krieg ein Weltkrieg werden kann. Dem ist die Tatsache geschuldet, dass Europa wie die USA rein zivil reagieren auf diese militärische Auseinandersetzung, dass die Nato oder die USA militärisch eben nicht eingreifen. In dem Moment, wenn das passiert, haben wir einen Konflikt in einer viel größeren Dimension. Und die Russische Föderation würde das zur Rechtfertigung nützen, diesen Konflikt noch weiter zu eskalieren.

Dritter Weltkrieg ist ein großer Begriff, entmutigend. Ist diese Gefahr real oder nur eine Taktik Moskaus, damit zu drohen? Gibt es nicht eine Zwischenstufe des Eingreifens?

Nehammer: Wenn wir in die Geschichte zurückschauen, erkennt man, dass die Dynamiken eines Kriegs oft irrational sind. Der Erste Weltkrieg ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Nach der Kriegserklärung der Habsburgermonarchie an das Königreich Serbien führte das aufgrund der Bündnisverpflichtungen anderer zu diesem furchtbaren Ersten Weltkrieg. Das ist atemberaubend schnell gegangen.

Wenn man ausgerechnet in Versailles sitzt wie wir gerade, ist das eine bedrückende Vorstellung.

Nehammer: Das stimmt. Die Wahrheit ist, dass man derzeit präzise gar nichts sagen kann. Aber allein das Risiko, dass dieser Fall eintreten könnte, ist so hoch, dass es gut ist, wenn keiner in die Nähe dieses Risikos kommt.

Wenn Putin nicht stehenbleibt, wird Europa dann zuschauen, wie die Ukraine ganz eingenommen wird? Wie wurde darüber geredet?

Nehammer: Zunächst einmal extrem betroffen, weil das ja schrecklich ist, was gerade passiert. Auch während wir hier reden, sterben in der Ukraine Menschen. Die Ukraine ist ein direkter Nachbarstaat der EU. Die Nähe des Kriegs ist im Grunde unerträglich.

Mit welchen Konsequenzen?

Nehammer: Der Druck auf uns, die Belastung ist groß. Man sieht ja schon aufgrund der Tatsache, welche Masse an russischer Armee ins Land eingedrungen ist, dass Wladimir Putin damit schon einige Gebietsansprüche verwirklicht hat und die Städte belagert. Das Leid wird täglich größer, nicht kleiner.

Rechnet man damit, dass Putin auf die besetzten Gebiete nicht mehr verzichten und auch Kiew einnehmen wird?

Nehammer: Dazu gibt es verschiedene Spekulationen. War es eine Intervention, um in der Ukraine in seinem Sinne die politischen Verhältnisse neu zu ordnen? Oder ist es mehr das, was er in seinen Aufsätzen geschrieben hat, dass er das "Neue Russland" wieder auferstehen lassen möchte? Das scheint für jene, die mit Putin zuletzt gesprochen haben, nicht zu erkennen zu sein. Er scheint aber total entschlossen, den ukrainischen Widerstand zu brechen.

Also geht man davon aus, dass Putin das Land erobern und die Regierung absetzen will, was immer er anschließend daraus machen wird?

Nehammer: Alles, was er bis jetzt getan hat, lässt darauf schließen, auch dass er bereits damit begonnen hat, Kiew einzuschließen.

Wie schnell kann das gehen?

Nehammer: Das lässt sich nicht abschätzen, auch weil viele überrascht waren, wie stark der Widerstandswille der Ukrainer ist. Und dass die Russische Föderation in der Offensive große Probleme hat, die Armee neu formieren, neu ausstatten muss. Da passieren jetzt gerade viele Dinge gleichzeitig, sodass die Einschätzungen immer schwieriger werden.

Muss man davon ausgehen, dass Europa die Ukraine an Russland verliert?

Nehammer: Ich bitte um Verständnis, dass ich diese Frage nicht so beantworten kann, wie Sie sich das vielleicht erwarten. Das gehört auch zum Respekt für die, die in der Ukraine gerade den Widerstand leisten. Die leben unter anderem auch davon, dass Europa an die freie Ukraine glaubt. Würde man jetzt ein Urteil fällen, wäre das so, wie wenn man sagt: "Das ist abgeschrieben."

Klingt nach Prinzip Hoffnung?

Nehammer: Ich habe gerade mit dem Bürgermeister von Kiew telefoniert, Witali Klitschko, der auch einen unglaublichen Widerstandswillen hat. Er ist ein wohlhabender Boxchampion, er könnte längst woanders sein, sein Leben in Sicherheit bringen. Aber er bleibt in seinem Land. Dieser Widerstandsgeist, die dramatischen Bilder, die auch die russische Öffentlichkeit nicht unberührt lassen werden, wie ich glaube, die vielen gefallenen russischen Soldaten, das macht eine Beurteilung schwer, welche Dynamik das alles noch in Russland selbst auslösen könnte. Die Soldatenmütter haben immer auch eine große Welle der Betroffenheit ausgelöst, bis in den Kreml hinein.

Es gibt drei Möglichkeiten für die Europäer, in den Konflikt einzugreifen, diplomatisch, wirtschaftlich mit Sanktionen und militärisch. Habe ich es richtig verstanden, an direkte militärische Intervention denkt niemand?

Nehammer: Ja.

Man wird es also weiter nur diplomatisch und wirtschaftlich versuchen?

Nehammer: Ja. Man muss auch dazusagen, dass die Europäische Union auch einen völlig neuen Schritt gegangen ist. Sie liefert Waffen und Munition an die Ukraine. Das sind Waffen für den Defensiveinsatz, um die russische Föderation nicht zu provozieren, was bei Aggressionswaffen gegeben wäre.

Panzerabwehrkanonen gibt es?

Nehammer: Das ist eine Defensivwaffe, so wie Fliegerabwehrwaffen, die Stinger-Raketen. Alles das, was der Selbstverteidigung dient, wird über die Grenzen geliefert.

Die EU finanzierte das bisher mit 500 Millionen Euro aus dem gemeinsamen Budget, das wurde in Versailles nun auf eine Milliarde verdoppelt.

Nehammer: Das ist auch ein Paradigmenwechsel, das hat es so noch nicht gegeben.

Also gibt es schon eine Art militärische Intervention, zumindest indirekt.

Nehammer: Es gibt eine sehr klare Unterstützung für einen der Kriegsteilnehmer, um es so zu sagen.

Ist das für Österreich wegen der Neutralität nicht ein Problem?

Nehammer: Wir haben nicht explizit zugestimmt, sondern als neutrales Land die sogenannte konstruktive Enthaltung angewandt. Das bedeutet in der Praxis, dass man sich der Stimme enthält und so einen Beschluss der anderen Staaten möglich macht, konkret der Nato-Staaten in der EU. Das haben andere EU-Staaten auch so gemacht, wie Irland oder Malta.

In Österreich glauben viele Menschen, dass Neutrale sich da ganz heraushalten können, ist das also ein Irrtum? Wir zahlen die Militärhilfe über das EU-Budget ja mit.

Nehammer: Es ist so geregelt seit dem EU-Beitritt, dass auf unsere Neutralität Rücksicht genommen wird, wobei der EU-Vertrag von Lissabon in Bezug auf die solidarische Hilfe in der Union wichtig ist.

Welche Konsequenzen zeichnen sich aus dem Ukraine-Krieg für Europa ab? Wie war da die Stimmung unter Ihren Kolleginnen und Kollegen im Spiegelsaal von Versailles? Geht die Europäische Union danach in eine neue Epoche, in eine neue Dimension?

Nehammer: Das hat nicht nur eine oder einer gesagt, das haben sehr viele Regierungschefs gesagt. Es ist ein Paradigmenwechsel. Wir haben die Grundlagen für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik im Grunde schon seit 2009 gestärkt, mit dem Lissabon-Vertrag. Die ist dann ein bisschen in einen Dornröschenschlaf verfallen. Jetzt ist sie stark präsent. Die ganze Sanktionspolitik läuft unter diesem Titel. Das ist für uns als neutrales Land sehr wichtig, denn es ist uns dann erlaubt, solche gemeinsamen Schritte zuzulassen und mitzutragen. Wir dürfen dann handeln, wenn es einen internationalen Beschluss gibt. Durch internationale Beschlüsse wie in der EU oder der Uno oder der OSZE sind wir legitimiert, können solidarisch sein.

Was wird sich für die EU militärisch ändern, wird man enger zusammenrücken?

Nehammer: Es hat sich ein Zeitfenster geöffnet. Uns wurde dramatisch vorgeführt, wie wichtig die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ist und was das für die Verteidigungspolitik bedeutet. Die sind in allen EU-Staaten sträflich vernachlässigt worden. Wenn Deutschland sagt, es richte einen 100-Milliarden-Euro-Fonds ein, zusätzlich zu einem Wehrbudget von 50 Milliarden pro Jahr, dann sieht man, mit welcher Ernsthaftigkeit die Bundesrepublik das angeht.

In der Schlusserklärung von Versailles ist viel die Rede davon, dass diese nationalen Investitionen vor allem darauf ausgerichtet sein sollen, eine künftige europäische Militärunion zu stärken, abgestimmte Systeme, von der Forschung bis zur Rüstungsindustrie. Was bedeutet das?

Nehammer: Es geht darum, die Interoperabilität zu stärken. Wenn wir betrachten, wie viele Luftabwehrsysteme es gibt, kommt man drauf, dass die EU-Länder, die Union, viel mehr Systeme haben als die USA, die eines hat. Aber jenes der USA ist viel effizienter. Der Grundgedanke ist nun, sich daran zu orientieren, was die anderen Partner machen, was sie beschaffen, wie sie investieren, damit die Systeme dann miteinander gut kommunizieren.

Das gilt nun also auch für die nationale Planung?

Nehammer: Ich würde sagen, es wird stärker, das ist ein Entwicklungsprozess. Man merkte aber bei den Regierungschefs, dass der Wille und die Zustimmung ganz anders sind als noch vor drei Jahren.

Wie ist das in Österreich? Sie haben angekündigt, dass das Heeresbudget auf ein Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung steigen soll, von derzeit 0,6 Prozent. Das ist sehr viel. Wie soll es investiert werden? Kompatibel mit einer künftigen EU-Armee?

Nehammer: Da kann ich einiges klarstellen. Was es nicht geben wird, ist eine EU-Armee. Dazu gibt es derzeit kein Bestreben, nirgendwo. Warum? Weil die gesamte politische Willensbildung dazu noch nicht abgeschlossen ist, um einen militärischen Einsatz einer EU-Armee auch tatsächlich auf den Boden zu bringen.

Und weil 21 von 27 EU-Staaten, alle großen, ohnehin Nato-Mitglieder sind?

Nehammer: Die EU-Armee ist kein Thema. Was aber seit 2009 ein großes Thema ist, ist die Interoperabilität, auch bei der Beschaffung. Das sind Fragen wie "Wie kann man miteinander besser kommunizieren? Wie geht der Informationsaustausch?" Das läuft bereits.

Sie haben vor ein paar Tagen eine Neutralitätsdebatte für beendet erklärt. Aber müsste man nicht umso mehr eine Sicherheitsdiskussion führen, gerade weil sich Europa da jetzt verändern wird? Und was das für Österreich bedeutet? Damit die Bevölkerung das versteht?

Nehammer: Ich finde es grundsätzlich immer wichtig, die Bevölkerung zu informieren und zu diskutieren. Aber es braucht den richtigen Zeitpunkt, das ist das Entscheidende. Man sollte gerade in einer Krisenzeit daraus kein Schauspiel machen, wenn wir in einem Nachbarland einen Krieg haben. Das wäre der falsche Moment, um über grundlegende Dinge der sicherheitspolitischen Ausrichtung eines Landes zu diskutieren.

Hier in Versailles wurde eine gemeinsame Verteidigungsunion zur Priorität erklärt, mit Ihrer Stimme.

Nehammer: Jetzt braucht es Klarheit. Wir waren neutral, wir sind neutral, und wir werden es auch bleiben. Die Neutralität hat sich für Österreich und für die Menschen im Land immer als nützlich erwiesen. Sie hat uns noch nie geschadet, hat uns immer geholfen. Wegen dieser Positionierung, dass wir noch immer ein konstruktiver Verhandlungspartner sein können für Drittstaaten außerhalb der EU, aber andererseits internationale Solidarität leben können in der EU oder der Uno, gibt es überhaupt keine Veranlassung, die Neutralität infrage zu stellen. Das würde die Menschen nur verunsichern und bringt überhaupt nichts.

Aber müsste man nicht drüber reden, dass ein Überfall auf ein EU-Land plötzlich möglich scheint – und dass es eine EU-Beistandspflicht gibt, die auch für Österreich gilt?

Nehammer: Auch da muss man präzise sein. Wir sind bereits Teil eines europäischen Sicherheitssystems, wir haben Soldaten in Battlegroups. Wir sind solidarisch. Was für mich in Versailles interessant war, ist, was dort von Vertretern großer Nato-Staaten gesagt wurde. Die Bündnisverpflichtung des Nato-Vertrags, der berühmte Artikel 5, sei unbestritten gültig. Jedem Nato-Land, das angegriffen wird, dem wird von der Nato geholfen. Es wurde aber der Zusatz gebracht, und es steht auch in der Erklärung von Versailles, dass darüber hinaus Artikel 42 (7) gilt für die EU-Mitgliedstaaten. Davon profitieren jene EU-Länder, die nicht Mitglied der Nato sind. Das betrifft Malta, Irland, Zypern und Österreich, aber auch Finnland und Schweden. Das war in dieser Klarheit bemerkenswert.

Was heißt das nun konkret? Wenn Finnland oder ein baltisches Land von Russland oder Belarus angegriffen wird, würde auch Österreich dem Land dann militärisch beistehen oder nicht?

Nehammer: Finnland ist paktfrei, das würde den europäischen Solidaritätsmechanismus auslösen. Dann würde jeder Staat für sich entscheiden, wie er am besten helfen kann, auch wir. Das kann man nicht theoretisch beantworten.

Sie als Bundeskanzler, wie würden Sie das beantworten, wo wollen Sie Österreich sicherheitspolitisch hinführen?

Nehammer: Das europapolitische Ziel muss ein klares Bekenntnis sein, dass Probleme gemeinsam europäisch gelöst werden sollen, aber immer unter der Vorgabe der Subsidiarität. Nur die großen Probleme, die auf den unteren, nationalen Ebenen nicht gelöst werden können, sollen von der Union entschieden werden. Und es braucht bei sensiblen Fragen immer die nationalstaatliche Tangente, die Einzelfallprüfung. Das ist übrigens in der Nato auch so beim Artikel 5.

Es mehrt sich die Kritik, dass Österreich in den vergangenen Jahren einen viel zu Putin-freundlichen Kurs gefahren ist, politisch wie in der Wirtschaft. Wie sehen Sie das?

Nehammer: Österreich ist traditionell immer schon ein Ort für Dialog zwischen Ost und West gewesen sowie ein Brückenbauer. Die Iran-Atomverhandlungen sind nur eines von vielen Beispielen dafür. Unsere Wirtschaft hat von Anfang an stark in Russland investiert, auch vom Gedanken getragen, dass wirtschaftlicher Austausch immer auch ein Stück weit das Land für den Westen öffnet und eine wichtige Grundlage ist für friedliche zwischenstaatliche Beziehungen. Der Angriffskrieg auf die Ukraine ändert nun alles. Die EU hat mit scharfen wirtschaftlichen Sanktionen reagiert, und auch viele westliche Unternehmen, darunter auch österreichische, ziehen sich ganz aus Russland zurück.

Besonders heftig wird diskutiert, wie sich der damalige Präsident der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl, und Ex-Präsident Heinz Fischer noch kurz nach der russischen Annexion der Krim kumpelhaft gegenüber dem russischen Präsidenten Putin gegeben haben.

Stichwort "Gute Diktatur". Vizekanzler Werner Kogler sprach von einer Schleimspur auf dem roten Teppich. Wäre es nicht höchste Zeit, Fehler einzuräumen, solche peinlichen Auftritte heute öffentlich zu bedauern?


Nehammer: Ich finde es generell nicht sehr sinnvoll, anderen Politikern öffentlich etwas auszurichten. Ich sehe ehrlich gesagt aktuell auch wenig Sinn in dieser Debatte.

Was sind Ihre persönlichen europapolitischen Ziele für das nächste Jahrzehnt? Die Innenpolitik in Österreich ist seit Jahren geprägt durch Polarisierung, harten Umgangston, durch ständige Regierungskrisen, Skandale in Ihrer Partei. Wo wollen Sie in Europa hin?

Nehammer: Das europapolitische Ziel muss ein starkes Bekenntnis zum gemeinsamen Lösen von Problemen sein, auch in Sicherheitsfragen. Das ist das Wichtigste. Es braucht ein Verständnis für die EU-Ebene wie gleichzeitig eine ausreichende Kompetenz für die Nationalstaaten und Regionen, um Probleme vor Ort gut zu lösen. Das ist bereits Realität. Es gibt das Prinzip der Subsidiarität.
https://www.derstandard.at/story/200013 ... n-der-nato
chuckw
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von chuckw »

Bis auf Nehammers Interview gibt es bis dato keinerlei Aussagen und Artikel zu diesem s.g. "einseitigen Commitment" der NATO. Es würde im Übrigen den Neutralitätsstatus aller neutralen Staaten fundamental in Frage stellen...nicht umsonst ist die EU-Beistandsplicht ein "zahnloser" Unterstützungsmechanismus ohne Verpflichtung für militärische Hilfe.

Überdies sind solche Behauptungen und Aussagen angesicht der aktuellen Geschehnisse mit Vorsicht zu werten. Es ist wohl ein "Signal" an Finnland, mehr wohl nicht. Das Budapester Memorandum z.B. ist ja auch das Papier nicht Wert.
Alles läßt sich durch Standhaftigkeit und feste Entschlossenheit erreichen. (Prinz Eugen v. Savoyen)
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