Re: Deutschland: "Taktisches Luftverteidigungssystem"
Verfasst: Mo 19. Dez 2022, 17:27
Teilnahme an einer europäischen Raketenabwehr (12721/J)
1. Aus welchen rechtlichen Gründen kann sich Österreich nach der Rechtsauffassung der Ministerin bzw. des BMLV nicht an einer europäischen Luftraumverteidigungslösung beteiligen?
2. Welche Verpflichtungen hat Österreich unter der GSVP im Hinblick auf ein europäisches Verteidigungsprojekt, das auch auf österreichischen Luftraum und Daten zugreifen müsste?
3. Ein gemeinsames Raketenverteidigungssystem zur Verteidigung der europäischen Außengrenzen muss von allen entlang eines zu verteidigenden Sektors gelegenen Staaten mitgetragen und mit Daten versorgt werden.
Ist Österreich gemäß den Vorgaben der Maastricht-Verträge und der GSVP in der Lage, einen notwendigen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung durch die Bereitstellung von z.B. Radardaten zu verweigern?
4. Wenn sich Österreich aus Neutralitätsgründen an einer gemeinsamen Luftraumüberwachung nicht beteiligen kann, welche gemeinsamen Beschaffungsvorgänge sind für das BMLV möglich?
5. In welche Art der Vertiefung von europäischen Verteidigungskooperationen kann sich Österreich in der von "bipolarer Systemkonfrontation" (Ministerin Tanner in Ziele, Perspektiven und Chancen für Österreich) dominierten Welt rechtlich einbringen?
6. Die Bundesministerin hat öffentlich erklärt, dass nach Erstellung des obengenannten Rechtsgutachtens Gespräche mit Drittstaaten geführt werden, um die Möglichkeit gemeinsamer Luftraumüberwachung und Verteidigung auszuloten. Welche spezifischen, neutralitätsrelevanten Unterschiede bestehen zwischen einer Beteiligung an derartigen Kooperationsprojekten und der Beteiligung an einem europäischen Luftraumverteidigungsprojekt?
7. Österreich ist von EU-Staaten, die allesamt in der NATO sind, und der Schweiz und Liechtenstein umgeben. Daraus ergibt sich, wie das BMLV bereits wiederholt festgestellt hat, dass konventionelle Kriege an der österreichischen Grenze innerhalb eines Planungshorizonts nicht mehr realistisch sind. Österreich kann entweder eine gut ausgerüstete Genarmarie für Inlands-Schutzeinsätze und Assistenzeinsätze unterhalten und den Schutz Europas den uns umgebenden Staaten überlassen, oder eine Armee, deren Aufgabe in der Verteidigung Europas besteht, in eine europäische Verteidigungsstruktur eingliedern. Für welche dieser alternativen Wege plant das BMLV, und welche Waffensysteme und Budgets sind dafür notwendig?
- Zu 1 bis 7:
Art. 79 Abs. 1 B-VG normiert, dass die „militärische Landesverteidigung“ ausschließlich dem Bundesheer (und keiner anderen in- oder ausländischen Institution) obliegt. Eine Übertragung von Aufgaben der militärischen Landesverteidigung an andere Organe als solche des Bundesheeres würde diesem „Exklusivitätsgebot“ grundsätzlich widersprechen. Im Sinne der Steigerung der Effizienz, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit gilt es allfällige Kooperationen im Hinblick auf verfassungsrechtliche Aspekte zu prüfen. Als konkretes Beispiel wäre an dieser Stelle die europäische Initiative „Sky Shield“ anzuführen.
8. Bundeskanzler Nehammer hat bei seinem Israel-Besuch die Beschaffung eines Raketenabwehrsystems befürwortet. Gibt es ein Budget für eine theater missile defense?
a. Wenn ja, wie wäre ein derartiges lokales System im Vergleich zu einem europäischen in Hinblick auf Kosten und Leistungsfähigkeit vergleichbar?
- Zu 8:
Für eine Beschaffung des angesprochenen Systems der Luftabwehr hoher Reichweite (Terminal High Altitude Area Defence, THAAD) sind derzeit keine Budgetmittel vorgesehen. Der im Aufbauplan ÖBH 2032+ berücksichtigte Fähigkeitsaufbau beschränkt sich auf die Implementierung eines Systems zur bodengebundenen Luftabwehr mittlerer Reichweite.
Die Projekte STH, Taktisches Luftverteidigungssystem (TLVS), MGCS und FCAS befinden sich vor oder in einem laufenden Vergabeverfahren.
Wesentliche Änderung seit der letzten Berichterstattung
Der Abbruch von TLVS zugunsten einer Weiterentwicklung des bestehenden Waffensystems PATRIOT wird
derzeit erwogen.
Gesamtbewertung
1. Stand und Entwicklung des Projektes
Das Projekt TLVS wird in seiner derzeitigen Form voraussichtlich nicht weiter fortgeführt. Stattdessen könnte das
bestehende Waffensystem PATRIOT modernisiert und auch zukünftig als Fähigkeitsträger für die
bodengebundene Luftverteidigung eingesetzt werden.
2. Gesamtplanerische Einordnung
Mit der Auswahlentscheidung für das TLVS sollte der Grundstein für die zukünftigen Fähigkeiten in der weitreichenden Luftverteidigung und Flugkörperabwehr in der unteren Abfangschicht gelegt und eine potenzielle Nachfolgeplanung für das Waffensystem PATRIOT eingeleitet werden.
Die mit TLVS angestrebte qualitative Leistungssteigerung ist mittlerweile durch Weiterentwicklungen des bereits in Nutzung befindlichen Waffensystems PATRIOT erreichbar.
Aufgrund der Kostensteigerung im Projekt TLVS wäre ein quantitativ gleichwertiger Ersatz - auch in Hinblick auf die NATO-Planungsziele - der abzulösenden PATRIOT-Feuereinheit
voraussichtlich nicht erreichbar. Aus gesamtplanerischer Sicht ist darum die Weiternutzung eines weiterentwickelten PATRIOT-Systems gemeinsam mit den Nutzernationen bis nunmehr 2048 gegenüber dem TLVS klar vorzuziehen.
Zudem hat sich die Bedrohung aus der Luft - insbesondere mit dem Paradigmenwechsel einhergehend mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine - in den letzten Jahren stark gewandelt, so dass neue Fähigkeiten in der mobilen Flug- und Drohnenabwehr mit der Erstbefähigung des Luftverteidigungssystems für den Nah- und Nächstbereichsschutz (LVS NNbS) aufzubauen sind.