Holpriger Weg für den Wiederaufbau der Bundeswehr

Wehrtechnik & Rüstung, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
theoderich
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Re: Holpriger Weg für den Wiederaufbau der Bundeswehr

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theoderich
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Re: Holpriger Weg für den Wiederaufbau der Bundeswehr

Beitrag von theoderich »

Das Bundeswehr-Sondervermögen wird verwässert
Um die Durchführung des Bundeshaushalts 2024 zu ermöglichen, müssen zahlreiche Gesetze angepasst werden. Die Bundesregierung hat dazu – wie angekündigt – den Referentenentwurf eines Haushaltsfinanzierungsgesetzes veröffentlicht, der die aus ihrer Sicht notwendigen Gesetzesänderungen enthält.
Bundeskabinett – Ergebnisse (16. August 2023)

https://www.bundesregierung.de/breg-de/ ... se-2213154
  • Veröffentlicht wurde noch überhaupt nichts:

    https://www.bundesfinanzministerium.de/ ... haben.html


    Bearbeitungsstand: 10.08.2023 17:24

    Referentenentwurf
    der Bundesregierung

    Entwurf eines Haushaltsfinanzierungsgesetzes

    Darüber hinaus wird mit der Änderung des Bundeswehrfinanzierungs- und sondervermögensgesetzes ein flexiblerer Einsatz der Mittel des Sondervermögens Bundeswehr ermöglicht, um die materielle Ausstattung der Bundeswehr noch besser zu befördern. Daneben ist die auch gegenüber der NATO getätigte Zusage, dauerhaft jährlich mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung aufzuwenden, zu erfüllen.
    Artikel 9

    Änderung des Bundeswehrfinanzierungs- und sondervermögensgesetzes


    Das Bundeswehrfinanzierungs- und sondervermögensgesetz vom 1. Juli 2022 (BGBl. I S. 1030) wird wie folgt geändert:

    1. In § 1 Absatz 2 werden die Wörter „im mehrjährigen Durchschnitt von maximal fünf Jahren“ durch die Wörter „ab 2024 jährlich“ ersetzt.

    2. In § 1 Absatz 3 werden das Wort „die“ gestrichen, das Wort „finanziellen“ durch das Wort „finanzielle“ ersetzt und nach dem Wort „Mittel“ die Wörter „in Höhe von jährlich mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts“ eingefügt.

    3. In § 2 Satz 2 wird das Wort „Ausrüstungsvorhaben“ durch das Wort „Vorhaben“ ersetzt.

    4. In § 5 Absatz 2 werden die Sätze 1 und 2 aufgehoben.
    Gegenstand des vorliegenden Haushaltsfinanzierungsgesetzes sind die im Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2024 und Finanzplan bis 2027 berücksichtigten Änderungen beim Elterngeld, im Bereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch II (SGB II), des Dritten Buches Sozialgesetzbuch III (SGB III), des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch VI (SGB VI), des Elften Buches Sozialgesetzbuch XI (SGB XI), die Änderungen der Festpreise im nationalen Brennstoffemissionshandel, die Auflösung des Sondervermögens „Digitale Infrastruktur“ sowie Änderungen bei den Sondervermögen Klima- und Transformationsfonds und dem Sondervermögen Bundeswehr.
    II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

    [...]

    Mit der Änderung des Bundeswehrfinanzierungs- und sondervermögensgesetzes soll ein flexiblerer Einsatz der Mittel des Sondervermögens Bundeswehr ermöglicht werden, um die materielle Ausstattung der Bundeswehr noch besser zu befördern. Zudem sollen die in den zu ändernden Paragraphen des Bundeswehrsondervermögensgesetzes enthaltenen Beschränkungen zur Umsetzung der nationalen Zielvorgabe und der international getätigten Zusagen, dauerhaft mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung aufzuwenden, angepasst werden.
    https://berliner-zeitung.de/blz-public/ ... 1407ba.pdf
Im Errichtungsgesetz für das Sondervermögen Bundeswehr sollen substanzielle Änderungen vorgenommen werden, die mit dem Entwurf des Haushalts 2024 nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehen.

Durch die Neuformulierung von § 1 Abs (2) werden die Jahre 2022 und 2023 aus der Berechnung für das Erreichen des Ziels, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben aufzuwenden, herausgenommen. Damit fehlen die in den Jahren nicht bereitgestellten Mittel für die Ausrüstung der Bundeswehr dauerhaft. Die der NATO gegenüber eingegangene Verpflichtung wird also erst ab 2024 mit Hilfe des Sondervermögens erfüllt. Sobald das Sondervermögen aufgebraucht ist, werden aus dem Bundeshaushalt weiterhin finanzielle Mittel in Höhe von jährlich mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bereitgestellt, heißt es im Absatz (3). Nach Berechnung von Experten ist das ab 2027 der Fall, wird also Aufgabe der Regierung nach der nächsten Bundestagswahl.

Der neuformulierte § 2 des Errichtungsgesetzes soll die Finanzierung von bedeutsamen Vorhaben und nicht mehr nur Ausrüstungsvorhaben zulassen. Das würde die ursprünglich geplante enge Zweckbindung erheblich erweitern. Forschung könnte aus dem Sondervermögen finanziert und z.B. die Auffüllung logistischer Vorräte mit Munition.

Im § 5, der u.a. den Wirtschaftsplan regelt, sollen die Einzelveranschlagung der Vorhaben und die feste Zuordnung von Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen zu den bestimmten Vorhaben aufgehoben werden. Es können also jederzeit Haushaltsmittel umgewidmet werden. Die ursprünglich vorgesehene Transparenz geht damit verloren.

Mit den geplanten Änderungen geht die klare Linie des Sondervermögens Bundeswehr verloren. Ziel war die Finanzierung „bedeutsamer Ausrüstungsvorhaben der Bundeswehr, insbesondere komplexer überjähriger Maßnahmen“. So war es mit der Opposition abgestimmt, deren Stimmen man für die Grundgesetzänderung brauchte, um das Sondervermögen errichten zu können.

Schwerer wiegt, dass die Bundesregierung das Zwei-Prozent-Ziel nur vordergründig und für kurze Zeit erreichen will. Durch das Herausnehmen der Jahre 2022 und 2023 aus der Berechnung fehlen bereits rund 20 Milliarden Euro für die Ausrüstung der Bundeswehr. Durch das Festschreiben des Verteidigungshaushalts in der mittelfristigen Finanzplanung auf 51,8 Milliarden Euro ist nicht erkennbar, dass die Regierung für den Einzelplan 14 des Verteidigungsministeriums einen Weg aufzeigen will, wie nach Aufbrauchen des Sondervermögens der Verteidigungshaushalt auszustatten ist, damit dass Zwei-Prozent-Ziel dauerhaft erfüllt wird.

Einen „Wortbruch der Bundesregierung beim Sondervermögen Bundeswehr“ nennt der Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion für den Einzelplan 14 im Haushaltsausschuss, Ingo Gädechens, das Vorgehen. „Erst führt die Bundesregierung die Öffentlichkeit und unsere Verbündeten mit dem angeblichen Erreichen des 2%-Ziels im kommenden Jahr hinters Licht. In Wahrheit erreichen wir dieses Ziel nämlich gar nicht – denn es wird alles nur schön gerechnet. Jetzt kommt der nächste Schlag: Mit der geplanten Änderung beim Sondervermögen Bundeswehr bricht die Bundesregierung nicht nur die damaligen Zusagen, ohne die die Union niemals dem Vorhaben zugestimmt hätte – sondern macht einmal mehr offenbar, was hier in Wahrheit vor sich geht.“

Schon vor einer Woche hatte Gädechens dargelegt, dass für das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels neben dem Kernhaushalt und dem Sondervermögen auch die immer stärker wachsenden „Verteidigungsausgaben“ anderer Ressorts herangezogen werden. Auf seine Nachfrage konnte die Bundesregierung diese Aufwendungen nicht spezifizieren.
https://esut.de/2023/08/fachbeitraege/4 ... rwaessert/
theoderich
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Re: Holpriger Weg für den Wiederaufbau der Bundeswehr

Beitrag von theoderich »

Die Wunschliste der neuen Präsidentin des Beschaffungsamts

https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ ... 08968.html


Bundeswehr-Flop: Ampel scheitert am fixen Nato-Ziel - wegen Baerbock?
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs ist Aufrüstung in vielen Ländern wieder Thema. Im Fall der Bundeswehr geht es jedoch weniger um Auf- als vielmehr um die grundlegende Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten. Deshalb und wegen des Drucks der Verbündeten wollte die Bundesregierung das Zwei-Prozent-Ziel der Nato gesetzlich verankern. Davon hat die Koalition jetzt aber wieder Abstand genommen.

Das Bundeskabinett verabschiedete am Mittwoch (16. August) einen Entwurf zum Haushaltsfinanzierungsgesetz. In dem fehlt allerdings die Selbstverpflichtung, jedes Jahr zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Darüber berichteten zunächst die Süddeutsche Zeitung und die Nachrichtenagentur Reuters. Auf der Bundespressekonferenz bestätigte ein Sprecher den Vorgang schließlich offiziell.

Ampel-Zoff um Bundeswehr: Baerbocks Ministerium wohl gegen Verankerung des Zwei-Prozent-Ziels

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung brachte das Auswärtige Amt die Wende. Das Haus von Annalena Baerbock (Grüne) habe sich dagegen gewandt, das Zwei-Prozent-Ziel ab 2024 gesetzlich festzulegen - wie es Boris Pistorius‘ Verteidigungsministerium eigentlich wollte. Entsprechend sei dieser Passus wieder gestrichen worden. Das Auswärtige Amt hält die geltende Rechtslage demnach für ausreichend. Zudem sei die gesetzliche Festlegung auf eine genaue Prozent­angabe problematisch, weil sich die Nato-Vorgaben ändern könnten, so die Begründung.

Nun ist das jährliche Einhalten der Nato-Quote rechtlich weiterhin nicht bindend. Stattdessen muss das Ziel lediglich im mehrjährigen Durchschnitt eingehalten werden, wie es auch im Gesetz zum Sondervermögen für die Bundeswehr heißt. Die Verteidigungsausgaben können also mal über und mal unter zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen.
https://www.merkur.de/politik/ampel-bun ... 65454.html
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Doppeladler
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Re: Holpriger Weg für den Wiederaufbau der Bundeswehr

Beitrag von Doppeladler »

Stattdessen muss das Ziel lediglich im mehrjährigen Durchschnitt eingehalten werden
Wobei das eine äußerst sinnvolle Vorgehensweise ist. Niemand kann jedes Jahr einen genauen %-Satz erreichen.
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muck
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Re: Holpriger Weg für den Wiederaufbau der Bundeswehr

Beitrag von muck »

Der "holprige Weg" ist gestern noch um Einiges holpriger geworden.

Das oberste deutsche Gericht hat den ersten Haushalt der Regierung Scholz für verfassungswidrig erklärt, welcher – unter Missachtung der Gewaltenteilung, denn die Finanzhoheit liegt beim Parlament – Gelder zur Abfederung der wirtschaftlichen Schäden der Corona-Epidemie für den Klimaschutz zweckentfremden wollte.

Damit klafft ein €60 Mrd. großes Loch im Bundeshaushalt, das, realistisch betrachtet, nicht gestopft werden kann.

SPD und Grüne werden niemals die Verteidigung über soziale Belange oder den Klimaschutz stellen, und die FDP, die als ideologischer Fremdkörper in der Koalition von einer Wahlniederlage zur nächsten eilt und nach gegenwärtigem Stand im nächsten Bundestag nicht vertreten sein wird, wird niemals ihr eigenes Todesurteil unterzeichnen und der Abschaffung der Neuverschuldungsbremse zustimmen. Damit stehen die Zeichen auf Austerität.

Im besten Falle hält die Regierung, wie bereits beschlossen, daran fest, den Verteidigungsetat nicht zu verändern, was freilich aufgrund der Inflation eine Verminderung des Etats bedeutet. Im schlimmsten Falle kommt es zu Kürzungen oder Umwidmungen im Verteidigungshaushalt selbst (die Grünen verstehen unter Sicherheitspolitik bspw. auch Klimaschutz).
theoderich
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Re: Holpriger Weg für den Wiederaufbau der Bundeswehr

Beitrag von theoderich »

Bundeswehr-Gerät für die Ukraine: Ersatz künftig aus dem Sondervermögen
Die Bundeswehr muss künftig Material, das sie an die Ukraine abgibt, aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr ersetzen. Diese Neuregelung ist, so weit bisher bekannt, die gravierendste Auswirkung der Beschlüsse der Koalitionsspitzen zum Haushalt 2024 auf die Mittel, die dem Verteidigungsministerium zur Verfügung stehen. Für das kommende Jahr wirkt sich das voraussichtlich mit einer halben Milliarde Euro aus.

Die Aussage, über die zuvor der Spiegel berichtet hatte, ist in einer Übersicht aus Kreisen des Bundesfinanzministeriums zur Haushalts-Einigung am (gestrigen) Mittwoch enthalten. Darin heißt es unter der Überschrift Wir senken Ausgaben strukturell:

Die Ausgaben für die Wiederbeschaffung aus Ertüchtigung werden künftig vom Sondervermögen Bundeswehr getragen (0,52 Mrd. in 2024).


Bislang waren die Kosten für die Ersatzbeschaffung von Waffensystemen und Ausrüstung, die die Bundeswehr aus ihren Beständen an die Ukraine abgegeben hatte, aus einem anderen Etat, der so genannten Allgemeinen Finanzverwaltung im Einzelplan 60 des Haushalts, finanziert worden. Das galt zum Beispiel für die Panzerhaubitzen oder die 18 Leopard-Kampfpanzer, die direkt von den deutschen Streitkräften geliefert wurden.
https://augengeradeaus.net/2023/12/bund ... vermoegen/


Einigung zum Bundeshaushalt 2024

https://www.handelsblatt.com/downloads/ ... t-2024.pdf


Nein zu Munitionsfabriken in der Provinz: Deutschland ist unfähig zur Zeitenwende (4. Dezember 2023)
In der vergangenen Woche zeigte sich wie unter dem Brennglas, warum Deutschland auch mittelfristig weder verteidigungsfähig noch die führende europäische Militärmacht sein kann. Es erwies sich, dass es nicht nur Berliner Politiker sind, die die Sicherheit der Bundesrepublik gefährden, sondern auch Kommunalpolitiker. Auch sie haben offenkundig nicht verstanden, dass in der Ukraine gerade ein Kampf um die Freiheit Europas stattfindet. Aber der Reihe nach.

Am Dienstag voriger Woche trat im rheinländischen Troisdorf der Stadtrat zusammen. In dem 25 Kilometer südlich von Köln gelegenen Ort werden seit mehr als hundert Jahren Sprengstoff und andere Vorprodukte für die Herstellung von Munition produziert. In einem Gewerbegebiet hat unter anderem die Firma Dynitec mit mehreren Produktionsanlagen ihren Sitz. Dynitec gehört dem deutschen Rüstungsunternehmen Diehl Defence aus Überlingen am Bodensee.
Troisdorf will keine Erweiterung des Sprengstoffwerks

Für die Herstellung dieser Raketen ist das Dynitec-Werk in Troisdorf nach Auskunft von Diehl unerlässlich. Es würden dort Explosivstoffe hergestellt, die über Iris-T hinaus auch für Artilleriegranaten benötigt würden. Auch an diesen Granaten besteht ein gewaltiger Bedarf. Erst vor kurzem hat der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius einräumen müssen, dass die EU ihre Zusage, der Ukraine bis zum Frühjahr eine Million Artilleriegeschosse zu liefern, nicht einhalten kann. Ein Grund: Es fehlen die Produktionskapazitäten.

Deshalb wollte Dynitec sein Werk in Troisdorf ausbauen, um die Produktion hochzufahren. Es sollte, so heisst es bei Diehl, die doppelte bis dreifache Menge an Explosivstoffen hergestellt werden. Dazu beabsichtigte Diehl, bisher nur gemietete Flächen in dem Gewerbegebiet zu kaufen. Doch die Stadt Troisdorf machte Diehl nun einen Strich durch diese Rechnung. Am vergangenen Dienstag beschloss der Stadtrat unter anderem mit den Stimmen der Christlichdemokraten und der Grünen, ein Vorkaufsrecht für die von Diehl benötigten Flächen zu erlassen. Das bedeutet, wenn das Grundstück zum Verkauf steht, hat die Stadt ein Vorkaufsrecht.

Ausgerechnet Christlichdemokraten und Grüne: Sie stehen in der Berliner Bundespolitik fest an der Seite der Ukraine. Politiker beider Parteien fordern von Bundeskanzler Olaf Scholz immer wieder, die Militärhilfe für die Ukraine auszuweiten. Jetzt sind es ihre eigenen Kommunalvertreter in einer rheinländischen Kleinstadt, die diese Forderung ad absurdum führen. Überwiegen kommunale Interessen die sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands?

So jedenfalls lässt sich die Begründung der Stadt Troisdorf für die Entscheidung lesen. Die Mehrheit im Stadtrat wolle mit der Vorkaufssatzung verhindern, dass Dynitec die Sprengstoffproduktion so ausweite, dass weitere, riesige Abstandsflächen nötig würden, teilte die Stadtverwaltung am Montag mit. Solche Flächen sind bei der Herstellung von Spreng- und Kampfmitteln erforderlich, um im Fall von Explosionen auf dem Betriebsgelände die umliegenden Wohngebiete nicht zu gefährden. Eine Vergrösserung des Produktionsstandorts würde zu langfristig grossen Brachflächen führen, die für andere Nutzungen wie Unternehmensansiedlungen oder Wohnungsbau nicht mehr zur Verfügung stünden, heisst es von der Stadt weiter.

In Sachsen wollen sie keine Pulverfabrik

Der Vorgang liesse sich als Provinzposse einstufen, wenn seine Auswirkungen nicht so erheblich wären. Nicht nur Diehl braucht dringend mehr Sprengstoff, sondern auch andere deutsche Munitionshersteller wie Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann und Nammo. Rheinmetall etwa produziert Explosivstoffe in Ungarn und in Aschau am Inn. Doch auch diese Standorte sind bald an ihrer Kapazitätsgrenze. Deshalb will Rheinmetall seit längerem schon eine neue Pulverfabrik bauen.

Doch auch hier zeigt sich, wie schwer sich Deutschland mit der sicherheitspolitischen Zeitenwende tut. Anfang dieses Jahres sickerte durch, dass Rheinmetall erwäge, die Pulverfabrik in Sachsen zu bauen. Dazu sollte eine Gewerbefläche auf einem ehemaligen Militärflugplatz der Stadt Grossenhain nördlich von Dresden (Landkreis Meissen) bebaut werden. Als diese Pläne bekanntwurden, entwickelte sich ein Schwarzpeterspiel: Jeder gab dem anderen die Schuld, weshalb er dagegen ist.

Stadtverordnete und Bürger von Grossenhain klagten, die Landesregierung in Dresden würde nicht ausreichend über die Pläne informieren. Die Linkspartei rief zur Unterschriftenaktion gegen die Pulverfabrik auf. 16 von 22 Stadträten sprachen sich in einem offenen Brief an Ministerpräsident Michael Kretschmer von den Christlichdemokraten gegen die Pulverfabrik aus. Kretschmer, der im kommenden Jahr eine Landtagswahl zu bestehen hat, schlug deshalb einen Bürgerentscheid vor. Es dürfe keine Ansiedlungspolitik gegen den Willen der Einwohner betrieben werden, sagte er. In weiten Teilen Sachsens kommt die AfD bei Umfragen derzeit auf mehr als 30 Prozent Zustimmung.

Doch offenkundig trug auch das Verhalten des deutschen Verteidigungsministeriums und der Firma Rheinmetall nicht gerade dazu bei, das Zutrauen der Bürger vor Ort zu gewinnen. Abgeordnete des Bundestags berichten, das Verteidigungsministerium präferiere Sachsen als Standort für die Fabrik, wolle aber weder eine Anschubfinanzierung noch Abnahmemengen garantieren. Dies wiederum sei eine Forderung von Rheinmetall gewesen, was das Unternehmen aber weder bestätigt noch dementiert.

Partikularinteressen der deutschen Provinz

Im Sommer schliesslich beendete der Rheinmetall-Chef Armin Papperger das Theater. Er erklärte, die Fabrikpläne in Sachsen vorerst nicht weiterverfolgen zu wollen. Stattdessen sollten die Kapazitäten in Aschau am Inn erweitert werden. Das gehe schneller, decke aber, so heisst es, den wachsenden Bedarf an Pulver dennoch nicht. Ein Fabrikneubau sei unabdingbar, nicht primär wegen des derzeitigen akuten Mangels der ukrainischen Streitkräfte, sondern wegen des mittel- und langfristigen Bedarfs der Bundeswehr und anderer Nato-Streitkräfte. Wie es heisst, soll Rheinmetall nun auch Standorte im Ausland ins Auge fassen.

Der Ukraine droht in ihrem Kampf gegen die russischen Invasoren die Munition auszugehen. Sie ist auf westliche Unterstützung angewiesen. Zugleich verzeichnet die Bundeswehr einen massiven Munitionsmangel. Verteidigungsminister Pistorius hat im Sommer erklärt, Deutschland wolle bis 2031 mehr als 20 Milliarden Euro in die Munitionsbeschaffung investieren. Doch wenn es dann konkret wird, wenn es darum geht, diese gewaltigen Mengen möglichst schnell zu produzieren, dann scheitert es an Partikularinteressen in der bundesdeutschen Provinz.

Das ist auch deshalb dramatisch, weil es neben Deutschland in Mittel- und Westeuropa mit Spanien und Frankreich nur noch zwei weitere Länder mit signifikanten Produktionskapazitäten für Munition, Explosivstoffe und Pulver gibt. Rheinmetall plant inzwischen den Bau einer Munitionsfabrik in Ungarn, was nicht zu verwechseln ist mit der Pulverfabrik. Zudem hatte der Düsseldorfer Konzern im vorigen Jahr den spanischen Munitionsproduzenten Expal übernommen. Gemäss dem Konzernchef Papperger soll sich mit den nun entstehenden Kapazitäten immerhin die Hälfte des Munitionsbedarfs der Ukraine decken lassen.
In verteidigungspolitischen Kreisen in Berlin heisst es, Rheinmetall wolle einen grossen Rahmenvertrag für gut eine Million Artilleriegranaten, davon für mehrere hunderttausend eine feste Abnahmezusage. Dies könne das deutsche Verteidigungsministerium aber nicht zusichern. Das Ministerium wolle vielmehr, dass Rheinmetall in Vorleistung gehe.

Die deutsche Munitionsbeschaffung dreht sich im Kreis. Wie sehr, das offenbarte sich in der Vorwoche an der Berliner Sicherheitskonferenz. Während die Industrie über fehlende Planungssicherheit klagte, warf dort der Abteilungsleiter für Ausrüstung im Verteidigungsministerium, Carsten Stawitzki, der Rüstungsindustrie vor, trotz gut dotierten Aufträgen ihre Produktionskapazitäten nicht schnell genug hochzufahren.

Wenn man, sagte er, mit Autokratien wie Russland, China oder Nordkorea bei der Waffen- und Munitionsproduktion mithalten wolle, stelle sich eine entscheidende Frage. Sie laute kurzgefasst: Wie viel Marktwirtschaft ist in diesen Zeiten noch akzeptabel oder wie viel Planwirtschaft ist nötig, um die Produktionskapazitäten hochzufahren?
https://www.nzz.ch/international/nein-z ... ld.1768786
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Re: Holpriger Weg für den Wiederaufbau der Bundeswehr

Beitrag von muck »

theoderich hat geschrieben: Do 14. Dez 2023, 22:04 Bundeswehr-Gerät für die Ukraine: Ersatz künftig aus dem Sondervermögen
Die deutsche Regierung ist drauf und dran, sich mit diesem Taschenspielertrick die nächste blutige Nase vor dem Verfassungsgericht zu holen. Das Sondervermögen ist ausdrücklich zweckgebunden. Art 87a (1a) GG besagt: "Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen für die Bundeswehr mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten." Die (jetzt gekippte) Zuweisung von Mitteln zur Refinanzierung der Ukrainehilfen aus dem Einzelplan 60, der nichts mit Verteidigung zu tun hat, geschah jedoch nicht ohne Grund, denn teleologisch ist Art 87a (1a) GG unzweideutig: Das Geld soll zur Stärkung der Bundeswehr verwendet werden. Nicht zur Refinanzierung von Kosten, die zur Stärkung der Streitkräfte der Ukraine entstanden sind – einer außenpolitischen Maßnahme.
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Re: Holpriger Weg für den Wiederaufbau der Bundeswehr

Beitrag von theoderich »

muck
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Re: Holpriger Weg für den Wiederaufbau der Bundeswehr

Beitrag von muck »

In Deutschland wird erwogen, das Wehrpflicht-Moratorium zu beenden. Bundesverteidigungsminister Pistorius (SPD) hat vorgeschlagen, sich an den Streitkräften Schwedens zu orientieren und ein (in Friedenszeiten) primär auf Freiwilligkeit basierendes System einzuführen. Darunter würden alle Männer und Frauen mit achtzehn Jahren gemustert und könnten auf Basis ihrer Eignung und Wünsche ein Verwendungsangebot erhalten. Doch nur diejenigen Gemusterten, die daraufhin in die Bundeswehr eintreten wollen, würden auch wirklich eingezogen. Während Pistorius' Partei und die Opposition den Plan begrüßen, lehnt der liberale Koalitionspartner FDP ihn bislang entschieden ab. (Quelle mit weiterführenden Informationen)

Hoffentlich setzt Pistorius sich durch. Dieses Modell wäre ein guter Kompromiss zwischen Freiheit und Notwendigkeit. Vor 2011 war die Wehrpflicht ein wichtiger Pullfaktor, zeitweise war jeder zweite Zeitsoldat zuvor Wehrpflichtiger.

Störend fällt mir auf, dass die FDP rundheraus eine militärische Bedrohung Deutschlands zu verneinen scheint und obendrein das Modell falsch darstellt. Es geht gerade nicht um einen Dienstzwang, jedenfalls im Frieden nicht.
theoderich
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Re: Holpriger Weg für den Wiederaufbau der Bundeswehr

Beitrag von theoderich »

1,5 Jahre nach dem Sondervermögen
„Zu Beginn des Angriffs war die Bundeswehr blank. Heute ist sie blanker“

https://www.focus.de/politik/deutschlan ... 09823.html


Warnung vom Heeresinspekteur: Litauen-Brigade verschärft Materialprobleme des Heeres

https://augengeradeaus.net/2023/12/warn ... es-heeres/
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