Armin Wolf: „Jetzt die österreichische Position zur Ukraine ist ja recht komplex. Sie haben’s vorher schon betont, nämlich immer wieder unsere Neutralität. Aber gleichzeitig auch unsere volle Solidarität mit der Ukraine – also mit einer Partei im Konflikt.
Wir beteiligen uns nicht direkt an der Finanzierung von Waffenlieferungen. Wir liefern auch keine Waffen! Aber Waffentransporte an die Ukraine dürfen sehr wohl durch das neutrale Österreich durch. Ist das konsequent?“
Karl Nehammer: „Es ist im vollen Umfang unserer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Österreich ist ja Mitglied der Europäischen Union, hat sich damals 1995 bei den Beitrittsverhandlungen eben auch zu dieser Solidarität verpflichtet. Dazu hat’s dann sogar einen Zusatzartikel gegeben in der Bundesverfassung, damit es auch verfassungskonform ist.
Unsere Neutralität ist tatsächlich eine militärische. Da wo die Neutralität für Österreich eine enorme Bedeutung gewinnt, ist nicht innerhalb der Union, aber, wenn Österreich nach außen auftritt, außerhalb der Unionsgrenzen, sind wir eben zum Beispiel interessante Ansprechpartner für große Länder wie Indien, China oder auch Brasilien, die eher misstrauisch dem NATO-Bündnis gegenüberstehen, aber es interessant finden, mit einem EU-Mitglied zu sprechen, das eben neutral ist und nicht Teil eines Militärbündnisses.“
WOLF: „Gut, das ist bis jetzt nicht passiert. Ich würd‘ gern noch zu meinem vorherigen Punkt kommen: Sie sagen, wir nützen unsere Neutralität da voll aus, innerhalb der EU. Tun wir nicht: Also wir bilden zum Beispiel keine ukrainischen Soldaten in Österreich aus – obwohl das das nämlich genauso dürften. Aber wir lassen Waffentransporte durch. Wie passt das zusammen?“
NEHAMMER: „Na, das ist unterschiedlich: Also Soldaten ausbilden ist noch eine zusätzliche Eskalationsstufe [WOLF: „Ginge aber! Sagen Völkerrechtler.“] Wir sind solidarisch innerhalb der EU-Staaten, die um Waffentransporte ansuchen. Die müssen genau genehmigt werden, die müssen auch abgesegnet werden vom Außenministerium, das ist ein eigener Prozess.
Und nur ein kleiner Nachtrag zu vorher: Wir sprechen natürlich – und vor allem spricht Brasilien mit uns! Es gab ein großes Treffen mit der Europäischen Union mit Lateinamerika. Es gab ein bilaterales Treffen mit mir und dem Präsidenten Lula. Und wir sind im engen Austausch, wie man eben neue Verhandlungslösungen finden kann. Brasilien hat damals eine Friedensinitiative eben so gestartet und ist leider noch nicht durchgekommen.“
WOLF: „Jetzt, die EU-Mitglieder Schweden und Finnland haben nach dem russischen Überfall auf die Ukraine eine grundlegende Debatte über ihre Neutralität geführt. Die war sehr intensiv, nicht sehr lang und hat damit geendet, dass beide Staaten, nach langer, langer Bündnisfreiheit, der NATO beigetreten sind.
Sie haben diese Debatte in Österreich sofort für beendet erklärt. Wär’s eigentlich nicht verantwortungsvolle Politik, trotz der großen Popularität der Neutralität, ernsthaft darüber zu diskutieren, wie sinnvoll die Neutralität heute noch ist, wenn wir innerhalb der EU sowieso nicht mehr neutral sind.“
NEHAMMER: „Also, ich denke wir stellen uns in der Sicherheitsarchitektur immer die Frage: Wie können wir bestmöglich Österreich schützen? Und Österreich hat, im Gegensatz zu Finnland und Schweden, eine besondere Geschichte mit der Neutralität. Wir sind das einzige Land, das die Sowjetunion jemals freigegeben hat. Und … der Beitrittsprozess zur NATO hat sich tatsächlich in Finnland ganz anders zugetragen als die Diskussion in Österreich.
Wieso sag‘ ich das? Ich war ja tatsächlich dabei bei den Krisensitzungen, 24. 2. – Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine. Und da war die finnische Premierministerin damals noch immer sehr zurückhaltend und skeptisch und war immer drauf bedacht auch die finnische Paktfreiheit zu betonen. Was ist in Finnland passiert? Durch die Nähe zu Russland, durch die über tausend Kilometer lange Grenze, kam von den Menschen in Finnland selbst der Druck auf die politische Führung, den Zugang zu dem Thema Paktfreiheit neu zu denken.
Davon sind wir in Österreich weit entfernt. In Österreich ist die Zustimmung zur Neutralität bei 80 %. Einer Diskussion an sich, sicherheitspolitisch, verweigere ich mich nie. Es ist aber Faktum, dass uns derzeit die Neutralität mehr nutzt.“
WOLF: „Aber ,politische Führung‘ könnte ja auch heißen, zu führen! Und dass die Neutralität Österreich ,schützt‘, das glaubt, außer Politikern, niemand – und ich glaube auch Sie glauben das nicht! [NEHAMMER: „Ich hab‘ grade gesagt, …“] Jedenfalls kein …“
NEHAMMER: „… ,nützt‘ uns.“
WOLF: „Nein, Sie haben vorher gesagt sie ,schützt uns‘!“
NEHAMMER: „Nein: ,Nützt‘, hab‘ ich gesagt.“
WOLF: „Drei Sätze davor haben Sie gesagt, sie schützt uns, weil wir auch so ein besonderes Verhältnis zur Neutralität haben, besondere Geschichte. [NEHAMMER: „Ja, ja.“] Niemand glaubt, dass uns die Neutralität ,schützt‘. Die NATO-Länder rund um uns herum schützen uns.“
NEHAMMER: „Es braucht eine Kombination aus vielen Faktoren. Also ja, wir sind Mitglied der Europäischen Union. Das ist schon ein … ein Schutz mit, weil wir Teil einer großen Staatenorganisation sind und damit Teil einer großen Wirtschaftsmacht. Wir sind international verflochten, wir haben über 52 internationale Organisationen in Österreich ansässig. Wir sind UN-Sitz. Das heißt, uns nützt die Neutralität. Schützen tut die Neutralität das Österreichische Bundesheer, die militärische Landesverteidigung, die sträflicherweise jetzt viel zu lange vernachlässigt wird, wird von uns wieder nachgerüstet, ernst genommen. Und dazu gehört auch – und dafür bin ich Ihnen dankbar, dass Sie’s ansprechen, die Geistige Landesverteidigung. Es ist wichtig, dass wir uns wieder Gedanken machen: Warum ist es sinnvoll, eine Demokratie zu verteidigen? Warum ist es sinnvoll wehrhaft zu sein? Wie ist es wichtig gegen Desinformationskampagnen zu kämpfen? Die ja in großer Zahl, seit dem russischen Angriffskrieg im Besonderen, auch in Österreich stattfinden.“
WOLF: „Und trotzdem führen Sie die Milizübungen nicht wieder ein, obwohl wirklich alle Menschen, die sich mit Militär beschäftigen, - und Sie sind selber Milizoffizier! – sagen: Man braucht die ganz dringend! Eine Miliz ohne regelmäßige Übungen kann nicht funktionieren.“
NEHAMMER: „Ja, wir haben derzeit ein zweigliedriges System im Heer: Das heißt, wir haben einerseits die Allgemeine Wehrpflicht, darüber hinaus haben wir sogenannte Kaderpräsenzeinheiten. Das heißt, wir haben zeitverpflichtete Soldaten, die sich zur Verfügung stehen, auch ins Ausland zu gehen, wenn es notwendig ist. Und wir haben die freiwillige Meldung zu Milizübungen.
Die Milizübungen wurden ausgesetzt schon vor längerer Zeit. [WOLF: „Von einem ÖVP-Verteidigungsminister!“] Ob das eine gute Entscheidung war … Ja, ich scheue mich nicht, auch unser Vorgehen selbst auch immer wieder zu hinterfragen, als Volkspartei.
Ich war damals nicht in der Entscheidungsstruktur. Ich war damals Milizsoldat, mein Jägerbataillon 43 - war ein begeisterter Infanteriesoldat - [WOLF: „Gut, aber Sie können es … sie können es …“] ist aufgelöst worden.“
WOLF: „… wieder einführen! Jederzeit!“
NEHAMMER: „Ja. Aber das kann man zwar, aber es muss in Summe einen Sinn ergeben. Und darf vor allem eines nicht tun: Es darf uns auch nicht wieder zusätzlich destabilisieren.
Warum sag‘ ich das? Kann Ihnen Beispiele nennen: Wie gesagt, ich bin Milizoffizier, hab‘ einen Jägerzug geführt und später eine Jägerkompanie als stellvertretender Kompaniekommandant. Und wenn wir groß geübt haben, war die regionale Wirtschaft davon massiv betroffen, weil natürlich die Arbeitskräfte im Übungsdienst waren.
Wir haben jetzt eine angespannte Situation am Arbeitsmarkt: Was haben wir also entschieden? Wir rüsten unser Heer schrittweise nach. Das heißt, wir werden einen neuen Technologieschritt gehen, wir werden in die Hochtechnologie investieren. Wir werden in den Raketenschutzschirm ,Sky Shield‘ beitreten, der tatsächlich mehr Schutz bietet [WOLF: „Gut, dafür haben wir jetzt keine Zeit!“] als je zuvor. Ich sag’s dazu! Ich wollt’s nur … weil ich finde man muss es immer gesamthaft sehen! Also ,Sky Shield‘, Raketenschutzschirm, Nachrüstung des Heeres in vielen waffentechnischen Bereichen – dadurch bessere Ausbildung – hohe Motivation der Soldaten – dadurch auch eine höhere Bereitschaft zur Verpflichtung einerseits Berufssoldat zu werden oder -soldatin. Oder eben Milizsoldat und Milizsoldatin. Es muss immer ein schrittweiser Prozess sein.
Das wäre ein zu großer Schritt, der vor allem auch nachteilige Wirkungen hätte.“
WOLF: „Gut, Ihr Milizbeauftragter glaubt nicht an dieses System. Der glaubt, man braucht Milizübungen. Wir wollen aber noch ganz kurz … [NEHAMMER: „Also Übungen gibt es ja! Vorsicht!“] Ja, aber verpflichtende. Verpflichtende, regelmäßige Übungen!“
NEHAMMER: „Also es gibt ja die freiwillige Verpflichtung zur Miliz. Und wenn ich das dann tue, hab‘ ich regelmäßig auch Übungen.“
Davon konnten frühere Verteidigungsminister nur träumen. Beinahe im Wochentakt unterzeichnet Ressortchefin Klaudia Tanner millionenschwere Kaufverträge, stellt neues Militärgerät vor oder nimmt Spatenstiche für Kasernenbauten vor. Die Zeitenwende, die Deutschland nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ausgerufen hat, findet in Österreich tatsächlich statt. Ein Überblick über die laufenden oder geplanten Beschaffungen.
Panzer
Das Bundesheer investiert 560 Millionen Euro in die Modernisierung seiner 58 Kampfpanzer Leopard und seiner 112 Schützenpanzer Ulan. Die ersten Leopard-Panzer wurden im Vorjahr nach Deutschland geschickt, um sie vor allem elektronisch auf den neuesten Stand der Technik zu bringen.
Radpanzer
Erst vor wenigen Tagen orderte das Bundesheer 225 neue gepanzerte Mannschaftstransporter Pandur Evolution. Kaufpreis: 1,8 Milliarden Euro. Der in Wien-Simmering produzierte Radpanzer soll in zwölf verschiedenen Varianten geliefert werden - vom Sanitätsfahrzeug bis zu einer Variante mit einem 120-mm-Mörserkampfsystem.
Luftabwehr
Für den Pandur Evolution wurden ebenfalls erst vor wenigen Tagen 36 mobile Luftabwehrsysteme vom Typ Skyranger bestellt. Die Neuentwicklung des deutschen Rheinmetall-Konzerns kann unter anderem die Fliegerabwehrlenkwaffen Mistral 3 abschießen. Kostenpunkt der 36 Systeme: ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag.
Kanonen
690 Millionen Euro werden in die Modernisierung der 35-mm-Luftabwehrsysteme investiert. Sie bestehen aus je zwei Zwillingsfliegerabwehrkanonen und dem Feuerleitsystem Skyguard. Die Modernisierung erfolgt in Deutschland und umfasst unter anderem den Einbau einer Fernsteuerung. Die Kanonen werden in Zukunft auch gegen Drohnen einsetzbar sein.
Eurofighter
Um die 15 Eurofighter bis 2030 oder 2035 betreiben zu können, müssen sie eine technische Verbesserung (Upgrade) erhalten. Zudem sollen sie nun die Ausstattungen bekommen, die seinerzeit aus Kostengründen abbestellt wurden. Es geht um Investitionen in die Nachtsichtfähigkeit und um eine bessere Bewaffnung mit Raketen. Überlegt wurde auch die Beschaffung zusätzlicher zweisitziger Eurofighter für die Pilotenausbildung. Dieser Plan dürfte aber nicht weiterverfolgt werden.
Trainingsjets
Die 2020 ersatzlos ausgemusterten Trainingsjets Saab 105 werden nun doch ersetzt. Das Bundesheer hat bei drei Herstellern Angebote eingeholt, Favorit ist der italienische Hersteller Leonardo mit dem Jet M-346. Die Typenentscheidung soll heuer fallen. Die zweisitzigen Jets sollen einerseits der Pilotenausbildung dienen, andererseits einen Teil der Luftraumüberwachung übernehmen können. Mindestens zwölf Jets sollen angeschafft werden.
Hubschrauber
Kräftig investiert wird in die Hubschrauberflotte. Um 870 Millionen Euro wurden 36 Mehrzweckhubschrauber AW-169 vom italienischen Hersteller Leonardo bestellt. Die ersten fünf Hubschrauber wurden bereits in Dienst gestellt, heuer sollen vier weitere dazukommen. Die Hubschrauber sind militärisch wie auch im Katastrophenfall einsetzbar. Deutlich erweitert wird die Flotte an größeren Hubschraubern vom Typ Black Hawk. Derzeit hat das Bundesheer neun Maschinen, die gerade modernisiert werden. Für 60 Millionen Euro sollen heuer drei weitere Black Hawks geliefert werden. Überlegt wird auch, eine weitere Staffel von zwölf Maschinen zu ordern.
Fahrzeuge
Beträchtliche Mittel fließen in die Mobilität auf der Straße. Im Vorjahr wurden unter anderem 350 Mitsubishi L200, 80 VW Golf, 25 VW ID.4, 40 VW T6 und zehn MAN-Großraumbusse gekauft. An größeren Fahrzeugen wurden Schlittenanhänger für das Hakenladesystem, Bergefahrzeuge und Löschcontainer beschafft. Heuer sollen unter anderem leichte Gefechtsfahrzeuge für das Jagdkommando, 27 neue gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Dingo 2 und sechs Schwerlasttransportsysteme 80 Tonnen gekauft werden. Als Ersatz für die Pinzgauer werden Mehrzweckfahrzeuge Iveco mit unterschiedlichen Aufbauten der Tiroler Firma EMPL beschafft.
Transportflugzeuge
Als Nachfolge für die alten Hercules-Transportmaschinen hat sich das Heer für den Kauf von vier neuen Maschinen des brasilianischen Typs Embraer C-390 entschieden. Der Stückpreis liegt bei 130 bis 150 Millionen Euro. Die Vertragsunterzeichnung steht noch aus.
Drohnen
Noch heuer wird das Bundesheer ins Drohnenzeitalter einsteigen. Derzeit werden diverse Kleindrohnen zur Aufklärung erprobt und sogenannte Militärdrohnenbediener ausgebildet. In einem ersten Schritt sollen dann 300 Kleindrohnen beschafft werden. Auch der Kauf großer bewaffneter Drohnen wird diskutiert. Eventuell werden dafür weniger Trainingsjets angeschafft.
Raketenabwehr
Im Rahmen des europäischen Raketenabwehrsystems Sky Shield will das Bundesheer Fliegerabwehrsysteme mittlerer Reichweite mit Boden-Luft-Raketen anschaffen. Die Typenentscheidung soll heuer fallen. Geplant ist dabei eine Kooperation mit der deutschen Bundeswehr. Auch Langstreckenraketen will Verteidigungsministerin Klaudia Tanner kaufen, was eine Milliardeninvestition darstellt.
Sturmgewehr
Das seit den 70er-Jahren beim Bundesheer eingesetzte Sturmgewehr StG 77 wird modernisiert. Die neue Variante weist ein aufgewertetes Gehäuse und eine neue Visiereinrichtung auf. Die Ausgabe des modifizierten StG 77 A1 MOD an die Truppe läuft seit dem Vorjahr. Auch der Kauf zusätzlicher Schießsimulatoren ist vorgesehen.
Ausrüstung
Ein Schwerpunkt der Beschaffungen ist die Verbesserung der Ausrüstung der Soldaten. Im Vorjahr wurden 40.000 ABC-Schutzmasken, 1600 Nachtsichtbrillen sowie Funkgeräte gekauft. Die Ausgabe des neuen gesprenkelten Tarnanzugs wird heuer fortgesetzt, ebenso die Aufstockung des Bestands an ballistischen Schutzwesten.
Kampfstiefel
Ein Sonderprojekt bei der Ausrüstung der Soldaten ist die Beschaffung neuer Kampfstiefel. Für die Jahre 2023 bis 2025 hat das Bundesheer bei der österreichischen Firma Rukapol insgesamt 35.000 Paar neue Kampfstiefel um rund 4,8 Millionen Euro bestellt. 15.000 Paar wurden bereits ausgeliefert.
Übungen
Investiert wird auch in einen verstärkten Übungsbetrieb. Im Juni wird unter dem Titel "Schutzschild 24" in Niederösterreich, dem Burgenland, der Steiermark und Kärnten die größte Bundesheerübung seit Jahren stattfinden. 6000 Soldaten werden daran teilnehmen.
Kasernen
Ein großer Ausgabeposten sind die Investitionen in Kasernen, Magazine und Fliegerwerften. In Wien entsteht beispielsweise ein neues Stellungsgebäude, in Villach ist eine neue Großkaserne geplant. Andere Standorte wie die Schwarzenbergkaserne in Salzburg werden saniert.