[Intro] Martin Thür: "Herzlich willkommen zur Zeit im Bild 2.
Die Regierung will eine neue Sicherheitsstrategie ausarbeiten. [Nationalrat; Überschrift: "Sicher Stellung"] Sicher-Stellung: Noch in dieser Legislaturperiode soll Österreich neue [Soldaten des Akademikerbataillons, die bei einer Übung auf einen gelandeten "Black Hawk" zulaufen] Leitlinien für Bundesheer, Polizei, aber auch die wirtschaftliche [Österreichische Flagge] Abwehrkraft des Landes erhalten. Im Studio diskutieren der frühere Verteidigungsminister Norbert Darabos und Militärexperte Franz Stefan Gady. [...]"
[Hintergrundfoto: Angetretene Soldaten bei einer Angelobung am Heldenplatz] THÜR: "Nach zehn Jahren soll Österreich eine neue Sicherheitsstrategie bekommen. Sie definiert Interessen, politische Leitlinien und Ziele, nicht nur für das Bundesheer, sondern auch für die Polizei und viele andere Bereiche des öffentlichen Lebens. Rechtlich bindend ist sie aber nicht.
Dennoch stellen sich große Fragen, die die Regierung noch bis Ende nächsten Jahres beantworten will. [Hintergrundfoto: Ukrainischer Soldat, im Hintergrund eine feuernde PzH2000] Wie soll das Land auf die veränderte Bedrohungslage in Europa reagieren? Wo fehlt es an Knowhow und an Personal? Und natürlich: Wie umgehen mit der Neutralität?
Diese eine Frage beantwortet [Hintergrundfoto: BK Nehammer und VK Kogler bei einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt] die Regierung aber schon jetzt: Die Neutralität bleibe wesentlicher Bestandteil - solle aber weiterentwickelt werden. Die Zeitenwende, die der deutsche Bundeskanzler schon kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ausgerufen hat, sie ist nun also in Österreich angekommen. Harald Jungreuthmayer mit einem Überblick."
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[Zerstörte Wohnhäuser in einer Stadt in der Ukraine] Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die [Kampfpanzer im Gefecht, im Hintergrund MG-Feuer hörbar] sicherheitspolitische Lage in Europa dramatisch verändert. [Soldaten der Bundeswehr, mit Kampfhelm und G36, während der Ausbildung, beim Kriechen unter einer Drahtbarriere] Deutschland will die Bundeswehr mit einhundert [Waffenträger "Wiesel" und Bv206 im Konvoi auf einem Truppenübungsplatz] Milliarden Euro aufrüsten. [Wehende schwedische und finnische Flaggen in Stockholm] Schweden und Finnland, [Screenshot von Twitter: "Swedish Ministry of Foreign Affairs: Congratulations Finland and thank you for the ratification of Sweden membership"] traditionell bündnisfrei, haben sich im Eiltempo für eine [Gebäude des Ulkoministeriö/Außenministeriums in Helsinki, im Hintergrund die Insel Tervasaari und der Hafen von Helsinki] NATO-Mitgliedschaft entschieden. Finnland ist [NATO-Flagge vor dem Ulkoministeriö] seit Dienstag NATO-Mitglied.
[Wehende österreichische Flagge] Und Österreich? Da kündigen Kanzler und Vizekanzler, [BK Nehammer und VK Kogler bei der Pressekonferenz im Parlament] ebenfalls am Dienstag, nach einer mehr als einjährigen Schrecksekunde, eine neue Sicherheitsstrategie an - auf Basis der Neutralität.
Karl Nehammer (Bundeskanzler, ÖVP) [Einblendung: 4.4.2023]: "[...] Die Bedrohungslagen sind hybrider geworden, vielfältig. Das heißt, wir brauchen auch eine starke militärische Landesverteidigung. Es geht aber auch um die Frage der inneren Sicherheit, es geht um die Frage der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit [...]"
[BM Schallenberg im Europa-Gebäude in Brüssel] Außen- [BM Karner mit Polizisten bei einer Presseveranstaltung an einem Grenzübergang] und Innenminister sowie die Verteidigungsministerin [BM Tanner mit MilKdt Jawurek bei einer Presseveranstaltung, dahinter ein MTPz Pandur EVO] sollen die neue Sicherheitsstrategie federführend ausarbeiten. [Nationalratssitzung] Vor der nächsten Nationalratswahl soll sie beschlossen werden. Dass die geltende [Titelblatt der ÖSS] zehn Jahre alte Sicherheitsstrategie überarbeitet werden muss, darüber herrscht Einigkeit.
[Seite aus der ÖSS - markiert: "Russland, als strategischen Partnern"] Russland wird darin nicht als Bedrohung, sondern als Partner gesehen, [Seite aus der ÖSS - markiert: "Konventionelle Angriffe gegen Österreich sind auf absehbare Zeit unwahrscheinlich geworden."] konventionelle Angriffe auf Österreich kurzerhand als "unwahrscheinlich" abgehakt.
[Website "OFFENER BRIEF An den Bundespräsidenten, die Bundesregierung, den Nationalrat und die Bevölkerung Österreichs"] Für eine Gruppe von Sicherheitsexpertinnen, Ex-Politikern und Vertreterinnen der Zivilgesellschaft greift der Ansatz der Bundesregierung zu kurz. Schon im Mai vergangenen Jahres hatten sie in einem Offenen Brief eine Debatte ohne Scheuklappen gefordert.
[Website "OFFENER BRIEF An den Bundespräsidenten, die Bundesregierung, den Nationalrat und die Bevölkerung Österreichs" I "Uns eint die Überzeugung, dass der Status quo unserer Sicherheitspolitik nicht nur unhaltbar, sondern gefährlich für unser Land ist." (Text: OFFENER BRIEF ZUR SICHERHEITSPOLITIK 8. Mai 2022)] Uns eint die Überzeugung, dass der Status quo unserer Sicherheitspolitik nicht nur unhaltbar, sondern gefährlich für unser Land ist.
[Soldaten in der Kaserne Güssing bei der Ausbildung mit dem StG77] Ob Österreich weiter neutral, stärker in die EU-Verteidigungspolitik eingebunden [MTPz Pandur A1] oder gleich NATO-Mitglied sein soll, darüber sind die UnterzeichnerInnen [Rekruten bei einer Angelobung] durchaus unterschiedlicher Ansicht. [Website "OFFENER BRIEF An den Bundespräsidenten, die Bundesregierung, den Nationalrat und die Bevölkerung Österreichs"] Was sie fordern, ist eine unvoreingenommene Analyse der aktuellen Bedrohungen und daraus abgeleitet eine Diskussion, in der alles auf den Prüfstand gestellt wird - auch die Neutralität.
Gustav Gustenau (Militärstratege, ZIB Nacht, 16. 5. 2022): "Niemand fragt, ob wir die ganzen alten Mythen auf die denn unser Selbstverständnis baut - also, dass wir alle das erste Opfer waren, dass Figl's Leber uns die Neutralität geschenkt hat, dass die Neutralität uns im Kalten Krieg aus dem heißen Krieg rausgehalten hat und dass wir jetzt gefragte Brückenbauer sind in Europa, weil wir neutral sind. Alle diese Mythen werden ja nicht hinterfragt."
[BK Nehammer bei einem Pressestatement im Bundeskanzleramt] Die Reaktion des Bundeskanzlers damals:
NEHAMMER (17. 5. 2022): "Österreich war neutral, Österreich ist neutral und Österreich bleibt neutral. [...] Und damit ist für mich die Diskussion beendet."
[Nationalratssitzung] Im Nationalrat wird ihm da kaum jemand widersprechen. Auch SPÖ und FPÖ wollen nicht an der Neutralität rütteln, fordern aber in die Entwicklung der neuen Sicherheitsstrategie eingebunden zu werden. [AbzNR Hoyos-Trauttmannsdorf bei einem Pressegespräch] Nur NEOS scheren aus.
Douglas Hoyos (Generalsekretär und Verteidigungssprecher NEOS): "Wir wollen nicht, dass - als NEOS -, dass die Neutralität automatisch abgeschafft werden soll oder mit wehenden Fahnen wir der NATO beitreten. Das ist nicht unsere Antwort darauf! Unsere Antwort darauf ist, dass all diese Fragen offen diskutiert werden sollen!"
[Nationalratssitzung] Ohne Denkverbote und mit den ExpertInnen.
Bericht: Harald Jungreuthmayer
Mitarbeit: M. Biegler/J. Paschinger
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THÜR: „Und live bei mir im Studio begrüße ich nun den Militärexperten Franz-Stefan Gady vom Londoner Internationalen Institut für Strategische Studien. Schönen guten Abend!“
Franz-Stefan Gady: „Guten Abend.“
THÜR: „Und den früheren Verteidigungsminister Norbert Darabos von der SPÖ, der nun Präsident des Austrian Center for Peace auf der Burg Schlaining ist. Schönen guten Abend!“
Norbert Darabos (Präsident Austrian Center for Peace): „Guten Abend.“
THÜR: „Wir wollen es jetzt diskutieren. Herr Darabos, Sie waren bis wenige Monate vor dem Beschluss dieses Papieres, der letzten jetzt gültigen Österreichischen Sicherheitsstrategie, 2013 Verteidigungsminister. Man diesem Papier maßgeblich mitgewirkt. Das war damals zirka ein Jahr vor dem russi … vor der russischen Annexion der Krim. Damals hat man Russland noch einen ,strategischen Partner‘ genannt. Wie viel muss man denn an diesem Papier ändern?“
DARABOS: „Ja, es sind sehr viele Dinge in diesem Papier, die eigentlich fast visionär waren und vorausschauend sind, wie zum Beispiel da steht sogar ,Pandemiebekämpfung‘ drinnen, Bekämpfung des internationalen Terrorismus … Bekämpfung der organisierten Kriminalität, die Bekämpfung der Bedrohung der Infrastruktur und so weiter. Also das sind eigentlich Punkte, die heute nach wie vor Gültigkeit haben.
Aber diesen von Ihnen angesprochenen Punkt muss man natürlich korrigieren, weil damals noch nicht absehbar war, dass erstens Russland schon in Richtung Ukraine, Krim usw. vorgehen wird und dann jetzt natürlich mit diesem Angriffskrieg Russlands ist dieses Papier neu zu bewerten. Da bin ich durchaus mit dem Bundeskanzler einer Meinung.“
THÜR: „Aber sehr viel wollen Sie offenbar nicht ändern.“
DARABOS: „Also die Eckpunkte sind, aus meiner Sicht, nach wie vor gültig. Wenn man sich das Papier genau durchliest und durchschaut, dann sind diese Eckpunkte … ja, wie gesagt, noch einmal gesagt, fast hellseherisch gewesen – unter Anführungszeichen. Pandemiebekämpfung usw. Hat damals ja auch niemand wissen können, dass diese Pandemie einmal kommt.
Aber grundsätzlich halt‘ ich diese Eckpunkte dieses Papiers für gut. Man muss hier noch bedenken, dass ja dieses Papier damals in einer schwarz-roten oder rot-schwarzen Regierung beschlossen worden ist – mit den Stimmen der FPÖ übrigens! [THÜR: „Und des Team Stronach.“] Und des Team Stronach. Und ich glaube, dass das eine gute Grundlage ist, auch einige Verbesserungen jetzt noch durchzuführen.“
THÜR: „Gut, dann wollen wir inhaltlich werden: Der Herr Darabos nannte das Papier ,visionär‘ und findet jetzt gar nicht so viele Punkte, die man daran ändern muss. Würden Sie ihm da widersprechen?“
GADY: „Ich glaube ich würde widersprechen insofern, weil ich der Meinung bin, dass wir doch eine sehr ernste und offene und vor allem langfristige Debatte brauchen, was diese neue Sicherheitsstrategie wirklich beinhaltet und ohne Scheuklappen eben. Deshalb habe ich auch diesen Brief unterschrieben. Ich hab‘ diesen Brief unterschrieben, weil ich mir eine neue Sicherheitsstrategie gewünscht habe, wo aber im Vornherein mal diskutiert wird auch: Wie schaut es aus mit unseren Mythen, wie der Neutralität?
Die österreichische Interpretation zum Beispiel der Neutralität, ist eine Neutralität der Wehr-losigkeit und nicht der Wehr-haftigkeit. Und das ist für mich das fundamentale Problem an dieser gesamten Debatte, weil es wird seit Jahrzehnten innerhalb Elementen der politischen Klasse dieses Landes verwendet als Vorwand, das Bundesheer ausbluten zu lassen, finanziell. Und die Streitkräfte einfach nicht nachzurüsten.“
THÜR: „Herr Darabos, da sind Sie angesprochen. Das Verteidigungsbudget – das will ich nur gern anfügen – ist auch in Ihrer Amtszeit als Verteidigungsminister nicht dort gewesen, wo es die Militärs haben wollten. Also ,Ausbluten des Bundesheeres‘?“
DARABOS: „Nein, das seh‘ ich anders. Ich möchte auch … ich schätze Sie sehr, aber der Begriff ,Mythos Neutralität‘, dem … den halte ich für falsch. Das ist auch in dem Beitrag gekommen. Das ist kein Mythos. Die österreichische Souveränität ist auf der Neutralität aufgebaut. Da kann man nicht von einem Mythos sprechen! Österreich wäre nicht wieder erstanden, wenn wir nicht diese immerwährende Neutralität akzeptiert hätten.
Wir haben auch hineingeschrieben in das Neutralitätsgesetz: ,Aus freien Stücken‘ … Da bin ich mir nicht ganz so sicher. Also, wenn es nicht so gekommen wär … Natürlich war’s aus freien Stücken, aber dann hätte Russland beispielsweise damals dem Staatsvertrag nicht zugestimmt. [THÜR: „Gut, aber das ist jetzt einige Jahrzehnte her!“] Und das ist kein Mythos. Ja … ja, ja. Na, das muss man … Trotzdem: Ich halte diese Diskussion, was die Neutralität betrifft … da bin ich, noch einmal, mit dem Bundeskanzler einer Meinung! Die Diskussion ist erlaubt, natürlich! Aber … also ich sage vehement und hab‘ die Mehrheit der Bevölkerung da nicht nur hinter mir, sondern … insgesamt hinter der Strategie, dass die Neutralität beibehalten werden muss!
Zweite Frage, die Sie angesprochen haben: Bei mir hat’s ein Heeresbudget von 0,7 Prozent des BIP gegeben. Zu wenig. Wir haben eigentlich 1 Prozent herausverhandeln wollen. Der Druck war groß, von beiden Regierungspartnern, SPÖ, ÖVP, damals zu sparen. Es waren völlig andere Voraussetzungen. Und ich gratuliere auch der Ministerin jetzt, dass sie dieses Fenster jetzt nutzen kann, um hier auch finanzielle Ressourcen abzurufen. Ich hoffe nur, dass sie auch richtig eingesetzt werden.“
THÜR: „Herr Gady, warum muss man denn so unbedingt über die Neutralität diskutieren? Österreich ist ja nicht schlecht gefahren, in den letzten Jahrzehnten, damit.“
GADY: „Ich glaube der Hauptpunkt hier und warum ich es als Mythos bezeichne, ist, weil es oft genannt wird als ein Faktor, der uns sicherer macht. Die Neutralität, in der Hinsicht, macht uns nicht sicherer. Ich glaub‘ die Neutralität langfristig, so wie sie bei uns hier gelebt wird, weil wir eben zu wenig in unser Bundesheer, in unsere Verteidigung investieren, macht uns unsicherer.
Und wenn es geht um Mythen, glaub‘ ich, ist der Mythos der Fähigkeit des Österreichischen Bundesheers militärische Landesverteidigung zu betreiben vielleicht der größte Mythos, den es seit den 1950er-Jahren gibt in diesem Land. Und ein weiterer Punkt Mythos ad Neutralität, die uns angeblich sicherer … sicher macht: Die Idee, warum Bruno Kreisky diese aktive Neutralitätspolitik in den 70er-Jahren ins Leben gerufen hat – dass dadurch ist ja eigentlich dieser Mythos in gewisser Weise entstanden; dadurch ist ja entstanden, dass es eine Art Identität für Österreich wurde – ist auf eine einfache Prämisse quasi passiert, die wie folgt: Das heißt, wir bauen ein diplomatisches Zentrum auf in Wien. Aus diesem Grund werden weder die Amerikaner und die NATO, noch der Warschauer Pakt, im Ernstfall, wenn es zum Kriegsfall kommt, Atomwaffen in Österreich einsetzen. Nach Ende des Kalten Krieges haben herausgefunden: Nein, beide Staaten – also die NATO – beide Päkte hätten wahrscheinlich Österreich angegriffen und beide – die Vereinigten Staaten, die NATO und auch der Warschauer Pakt – hätten taktische Nuklearwaffen in Österreich eingesetzt. Die Neutralität hat uns also nicht geschützt, während des Kalten Krieges!“
THÜR: „Aber Herr Darabos, dass ein wesentliches Argument ist ja auch, dass sich Österreich da ein bisschen bequem zurücklehnt. Wir sind umgeben de facto von NATO-Staaten, bis auf die Schweiz. Das heißt, sollte ein Aggressor nach Österreich kommen wollen, müsste er zuerst durch NATO-Staaten. Die müssten dann alle quasi auch uns verteidigen. Macht sich’s Österreich da nicht ein bisschen bequem?“
DARABOS: „Nein. Ich hab‘ diese Frage erwartet und es ist … wird ja öfters noch ein bisschen pointierter dargestellt, wir seien Trittbrettfahrer. Sind wir nicht, ja. Wir sind Mitglied der Partnerschaft für den Frieden, Partnership for Peace, mit der NATO. Ich war selbst bei einigen Sitzungen und Treffen dabei. Wir sind auch Mitglied in der Europäischen …. im Sicherheits… Politik und Strategie der Europäischen Union eingebunden [THÜR: „Was bleibt …“] beispielsweise …“
THÜR: „… über dann noch, wenn wir bei [DARABOS: „Über …“] der NATO dabei sind? Und …“
DARABOS: „Nein [THÜR: „… auch …“], wir sind nicht dabei!“
THÜR: „… bei der Partnerschaft für den Frieden [DARABOS: „Ja.“] dabei sind? Bei Europäischen [DARABOS: „Das …“] Außen- und Sicherheitspolitik mit dabei sind, wie lässt sich das [DARABOS: „Das widerspricht dem Neutralitätsstatus …“] dann …“
DARABOS: „… Österreichs überhaupt nicht. Wir sind auch bei den EU Battle Groups dabei; wir haben 2012 diese auch beschickt! Allerdings nur, wenn die UNO ein Mandat hergibt.
Und wir sind ja als Österreich – und auf das bin ich auch stolz – dass wir diese Friedensmissionen im Kosovo, in Bosnien … früher in … in Syrien. Übrigens: Wär‘ ich damals noch Verteidigungsminister gewesen, wär‘ ich … hätte ich das nicht abgedreht! Ganz im Gegenteil. Weil da geht’s ja nicht um den Krieg in Syrien, sondern da geht’s um die Frage des Friedensprozesses zwischen Syrien und Israel. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wir haben sehr viel … ich hab‘ … zu meiner Zeit waren 1600 Soldaten im Auslandseinsatz. Jetzt haben wir 780. Übrigens steht das in der Sicherheitsstrategie drinnen, dass wir das ausbauen sollen. Wir haben’s aber zurückgefahren.
Also, ich glaube, dass Österreich hier einen großen Beitrag leistet und dass damit unsere Neutralität auch abgesichert ist. Und dass wir aber nicht uns drücken vor gewissen Herausforderungen, die in der Europäischen Union oder in der UNO auch auf uns zukommen.“
THÜR: „Herr Gady, in der noch gültigen Sicherheitsstrategie steht drinnen: ,Konventionelle Angriffe gegen Österreich sind auf absehbare Zeit unwahrscheinlich geworden‘. Ist das heute auch noch so?“
GADY: „Die Chancen sind mit Sicherheit gestiegen, dass konventionelle Angriffe stattfinden, aber ich glaube die größere Debatte ist: Was wird Europa - Verzeihung! - was wird Österreich machen, wenn ein EU-Land konventionell angegriffen wird? Was wird Österreich machen? Gibt es eine militärische Antwort? Sollte zum Beispiel eines der baltischen Staaten von Russland in zehn Jahren angegriffen werden.
Das Problem – und das sehe ich auch jetzt in der Ukraine; ich komm‘ ja grad aus der Ukraine wieder zurück – ist, das was Waffenlieferungen betrifft – Waffenlieferungen sind zum Beispiel nicht alles, militärische Unterstützung ist nicht alles im Kriegsfall, aber ohne Waffenlieferungen und militärische Unterstützung ist alles nichts! Wenn man kein Land mehr hat, braucht man auch keine wirtschaftliche Hilfe zum Wiederaufbau.
Und darf ich nur einen Satz sagen zum sicher … zum Trittbrettfahrer: Das Problem für mich ist, dass Österreich ein struktureller Trittbrettfahrer ist. Aus dem einfachen Grund: Wir haben unsere konventionelle Landesverteidigung quasi ausgelagert an die NATO. Wir erwarten, dass die NATO uns quasi verteidigt, wir aber selbst nicht gewillt sind, andere Länder, inklusive NATO-Länder, zu verteidigen. Das müssen wir revidieren, glaube ich. Das ist nämlich dann für mich die Definition eines Trittbrettfahrers.
Aber ich bin auch optimistisch: Wir haben einen guten Ansatz innerhalb des Verteidigungsministeriums. Wir sind dabei jetzt da nachzurüsten. Und ich bin optimistisch, dass wir das auch schaffen, dass wir die militärische Landesverteidigung langfristig vielleicht wieder herstellen können.“
DARABOS: „Aber genau das ist ja der Punkt. Sie haben … was Sie jetzt skizziert haben, wäre die Aufgabe der Neutralität. Und da … [GADY: „Deshalb will ich ja …] ist [GADY: „… ich will eine wehrhafte Neutralität! …“] ist [GADY: „… Keine wehrlose Neutralität!“] da ist im österreichischen Parlament erstens hoff… Gottseidank keine Mehrheit zu erwarten und zweitens glaub‘ ich, dass das der falsche Ansatz wäre.“
THÜR: „Etwas, das auch in Ihre Zeit fällt, war die Volksbefragung zur Wehrpflicht. [DARABOS: „Mhm.“] Die SPÖ hat damals ihre Meinung 180 Grad geändert, vor dem … vor der Wien-Wahl und sich für ein Berufsheer ausgesprochen. Die Bevölkerung sah das dann anders und hat sich für 60 … mit 60 Prozent für die Wehrpflicht ausgesprochen [DARABOS: „Ja.“]. Sollte man darüber jetzt auch noch einmal diskutieren? Jetzt sind zehn Jahre ins Land gezogen, sind die Gemüter vielleicht etwas abgekühlt …“
DARABOS: „Also, es ist ja kein Geheimnis, dass ich ein Vertreter der Wehrpflicht war. Und dann … ja … nach Argumenten, die gekommen sind aus verschiedenen Seiten … hier einen anderen Ansatz gewählt habe. Ich glaube, dass es auch gut gewesen wäre, ein Berufsheer zu haben. Und ich glaube, bei dieser Herausforderung, die wir jetzt haben, wäre das auch eine Möglichkeit. Aber ich seh‘ da keine Chance, dass es hier eine Mehrheit geben würde und das ist …. das Volk hat damals entscheiden. Und das ist auch so zu respektieren. Und ich glaube nicht, dass das jetzt noch veränderbar ist.“
THÜR: „Ganz generell geht’s natürlich schon um die Organisation des Bundesheeres. Sie sagen Wehrpflicht und Milizsystem, wie es Österreich hat, noch zeitgemäß?“
GADY: „Glaub‘ ich schon, ja. Das große Problem ist, dass wir einfach nicht genug Zeit haben, um die Grundwehrdiener, die zum Bundesheer kommen, ausbilden. Wir müssen darüber wirklich ernsthaft debattieren, ob wir nicht wieder zwei Monate zusätzlich dranhängen an den sechs Monaten, um die Soldaten voll und ganz ausbilden zu können, um sie einberufen zu können für Übungen. Es geht nicht nur um die Ausrüstung. Es geht nicht nur um die Militärdoktrin oder um die Sicherheitsstrategie. Es geht vor allem auch um die Ausbildung der Soldaten, die eben langfristig die Einsatzfähigkeit des Österreichischen Bundesheers steigern wird. Daher müssen wir ernsthaft das debattieren, glaub‘ ich auch.“
THÜR: „Herr Darabos, noch ganz kurz eine Frage an Sie, als jemand, der den politischen Betrieb ganz gut kennt: Die letzte Sicherheitsstrategie hat mehrere Jahre zu verhandeln gedauert. Die Regierung verspricht jetzt eine fertige Sicherheitsstrategie noch in dieser Legislaturperiode, also spätestens bis zum Herbst nächsten Jahres. Kann sich das ausgehen?“
DARABOS: „Ich glaub‘ schon, dass sich das ausgehen kann. Man muss halt – aus meiner Sicht – und es wäre die Regierung sehr gut beraten, alle Partner hier im Parlament auch stark einzubinden und einen transparenten Prozess hier auch voranzutreiben. Aber ich glaube es wäre möglich, das auch in dieser Periode noch abzuschließen. Ich glaube nicht, dass es sehr viele unterschiedliche Meinungen auch auf politischer Ebene geben wird. Außer vielleicht, dass die FPÖ eine andere Einschätzung dieses Angriffskriegs Russlands hier einnehmen könnte. Hoffe ich nicht, aber möglich ist es ja, nach den Aussagen, die man in den letzten Tagen so gehört hat. Aber grundsätzlich glaub‘ ich, dass das schon möglich ist. Und … ich mein‘ ich bin jetzt nicht mehr aktiver Politiker, aber die … die Sozialdemokratie ist sicherlich bereit, hier an dieser Strategie auch mitzuarbeiten.“
THÜR: „Herr Darabos, Herr Gady, vielen Dank für den Besuch im Studio!“