Medienberichte 2022

Landesverteidigung, Einsätze & Übungen, Sicherheitspolitik, Organisation, ...
chuckw
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von chuckw »

Danke für die Erläuterung theoderich.
Alles läßt sich durch Standhaftigkeit und feste Entschlossenheit erreichen. (Prinz Eugen v. Savoyen)
theoderich
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

"Das Bundesheer schaut aus wie ein Militär, ist aber keines"
Mit Zahlen wird längst jongliert. Eineinhalb Prozent des BIP sollen künftig jährlich in das Bundesheer investiert werden, forderten zuletzt Vertreter der ÖVP. Politisch einig ist man sich aber noch nicht.

Während nun um die konkreten Zahlen gefeilscht wird, geht in der Debatte unter, was mit der Aufrüstung bezweckt werden und welche Szenarien das Heer künftig bewältigen soll. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) blieb dazu bisher vage. Im "Presse"-Interview nannte sie als Beispiele für ihre konkreten Ziele, 100 Kasernen autark machen und in den Bereich Mobilität sowie die Ausrüstung der Soldaten investieren zu wollen. Es gebe im Ressort viele Konzepte, "wo sich das Bundesheer hinentwickeln" soll: "Wir haben ein Risikobild, bis 2030 wollen wir in der Lage sein, den Herausforderungen, die dort abgebildet sind, auch entsprechend begegnen zu können."

Tanner bezieht sich auf das Risikobild 2030, das auf 63 Seiten die Bedrohungen für Österreichs Sicherheit bis zum Jahr 2030 auflistet. Es bewertet dutzende von Risiken, die von Blackouts über Terroranschläge bis hin zu einem Angriff mit Massenvernichtungswaffen reichen - die "Wiener Zeitung" berichtete. Gemeinsam mit anderen Berichten und Dokumenten gibt es Einblicke, was mit einer Aufrüstung aus Sicht des Bundesheeres bezweckt werden könnte.
Der Bericht ist mit 15. Jänner 2021 datiert, der Ukraine-Krieg ist darin also nicht berücksichtigt. Maßgeblich an der Erstellung des Berichts und anderer Strategiepapiere war Brigadier Gustav Gustenau beteiligt. Er ist mittlerweile pensioniert. An der Einschätzung dieses Risikos habe sich durch den Ukraine-Krieg nichts geändert, sagt er zur "Wiener Zeitung". Dass Russlands Streitkräfte Österreich auf konventionellem Weg angreifen, sei höchst unwahrscheinlich: "Das wäre nur bei einem Zerfall von EU und Nato denkbar." Auch Brigadier Philipp Eder, Leiter der Abteilung Militärstrategie, sieht dieses Risiko durch den Ukraine-Krieg nicht erhöht.

Im Zustandsbericht "Unser Heer 2030" von Ex-Verteidigungsminister Thomas Starlinger aus dem Jahr 2019 wird ebenfalls nicht mit einem konventionell angreifenden Gegner gerechnet. Damit das Militär eine Abwehroperation führen könne, bräuchte es eine langfristige Erhöhung der Militärausgaben auf zwei Prozent des BIP. Nötig wären vor allem eine höhere Anzahl an Truppen und Aufwendungen für eine Luftverteidigung.

Dieses Zwei-Prozent-Ziel wird in dem Bericht als budgetär unrealistisch eingeschätzt. Zugleich wird aber festgehalten, dass die Fähigkeit zu Abwehroperationen "im Kern" erhalten bleiben müsse: "Diese Fähigkeiten vollständig aufzugeben, wäre mit den Pflichten Österreichs als neutraler Staat nicht vereinbar." Das bedeute, dass das Heer gegenüber konventionellen Gegnern zumindest eine gewisse abschreckende Wirkung haben müsse, sagt Eder.

Maßstab der Schutzoperation

Wenn nicht die umfassende Abwehr eines konventionellen Angriffs das Ziel der Aufrüstung ist, was dann? Gustenau hat anhand des Risikobildes im Herbst 2020 ein Papier zu "verteidigungspolitischen Optionen" erarbeitet.

Darin finden sich Varianten, wohin sich das Bundesheer entwickeln könnte und welche Schritte dafür gesetzt werden müssen. Sie reichen von einer vollumfänglichen Landesverteidigung nach dem Vorbild der Schweiz bis hin zu einem "bewaffneten Zivilschutz", wie Gustenau es nennt - ein Bundesheer, das primär für Assistenzeinsätze zur Hilfe der Exekutive eingesetzt wird. Zwischen diesen Extremen finden sich Zwischenstufen, die ein mehr oder weniger starkes Leistungsspektrum des Heeres vorsehen.

Anhand dieser Optionen wurden im Generalstab sechs Profile für die Entwicklung der Streitkräfte ausgearbeitet. Tanner wählte im März 2021 das Profil "Unser Heer" aus. Das Bundesheer soll primär auf die Abwehr nicht-konventioneller und hybrider Angriffe irregulärer, aber auch regulärer Gegner im Rahmen einer Schutzoperation reagieren können. Weiters soll die Gemeinsame Europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik gestärkt werden.

Die Schutzoperation wurde bereits in Starlingers Zustandsbericht als Entwicklungsziel genannt. Es handelt sich dabei um eine eigenständige Operation des Militärs und nicht um einen Assistenzeinsatz zur Unterstützung der Polizei. Beispiele sind koordinierte Terroranschläge, landesweite Angriffe eines Gegners auf kritische Infrastrukturen oder ein Einsatz zur Grenzsicherung wie während des Jugoslawien-Krieges.

"Relevanz dramatisch gestiegen"

Ein weiteres Szenario für eine Operation ist die "neutralitätswidrige Nutzung österreichischen Staatsgebietes", wie es im Risikobild heißt. Dabei geht es darum, dass Truppen einer Kriegspartei am Boden oder zu Luft Österreich durchqueren wollen, um rasch einen Kriegsschauplatz in anderen Teilen Europas zu erreichen.

Das dürfte das neutrale Österreich nicht zulassen, so Gustenau. Sollte es das dennoch tun, könnte eine andere Kriegspartei das als einen Verstoß gegen die Neutralität und feindlichen Akt werten und Sabotagehandlungen wie das Zerstören von Brücken setzen.

Solche Szenarien für Schutzoperationen seien durch den Ukraine-Krieg weit realistischer geworden, sagt Gustenau. "Die Relevanz von Schutzoperationen ist dramatisch gestiegen. Wir müssen das jetzt wirklich ernst nehmen." Denn der Krieg schlage sich auch auf zahlreiche andere Risiken durch, die im Risikobild geschildert werden. So etwa auf diverse hybride Bedrohungen wie Cyber-Angriffe oder den Einsatz von Migrationsströmen zur Destabilisierung Europas.

"Wie ein Auto ohne Getriebe"

Um eine Schutzoperation zu bewältigen, müsse das Bundesheer die Fähigkeit haben, "alle militärischen Kapazitäten sowohl sehr rasch, räumlich und zeitlich begrenzt, als auch lange andauernd" einzusetzen, heißt es im Zustandsbericht. Es müsse "Präsenz zeigen und durch diese abhaltend wirken". "Patrouillen mit gepanzerten Fahrzeugen überwachen das Zwischengelände und können rasch an entstehenden Brennpunkten zusammengeführt werden, um Gefahrensituationen zu neutralisieren. Verdächtige Personen werden kontrolliert, Gefahrenräume großflächig abgesperrt. Nachtkampffähigkeit ermöglicht den Einsatz rund um die Uhr." Ziel seien die "Erhaltung und gegebenenfalls Wiederherstellung der Souveränität am Boden, in der Luft und im Cyberspace".

Für Gustenau können diese Ziele derzeit bei Weitem nicht erreicht werden. Eine Schutzoperation erfordere, dass das Bundesheer ausreichend mit allen notwendigen Waffengattungen ausgestattet sei. Das sei derzeit aber nicht der Fall. "Das Bundesheer schaut aus wie ein Militär, ist aber kein Militär. Es ist wie ein Auto, bei dem das Getriebe fehlt", so sein Befund. Interne Planungen würden zeigen, dass diverse Szenarien mit den derzeit verfügbaren Mitteln nicht ausreichend bewältigt werden könnten.

Nachgerüstet werden müsse das Bundesheer auf zahlreichen Ebenen, sagt Brigadier Eder: Etwa bei der Drohnenabwehr und Drohnenaufklärung, der bodengebundenen Luftabwehr, der Cyber-Verteidigung, der Ausrüstung von Soldaten, schweren Waffen und der aktiven Luftraumüberwachung mit Kampfflugzeugen. Allerdings werde derzeit "zu rüstungslastig gedacht", bemerkt Eder. Eine Nachrüstung würde auch deutlich mehr Übungen für die Miliz erfordern, um diese wieder schlagkräftig zu machen.

Breite politische Debatte fehlt

Als Richtschnur für die Bewältigung von Schutzoperationen wird in den Strategiepapieren ein Budget von mindestens einem Prozent des BIP für das Heer genannt. Zusätzlich erforderlich wären aber auch einmalige Sonderinvestitionen in Milliardenhöhe.

Bevor über die Zahlen und genauen Investitionen gesprochen werde, müsste in einem ersten Schritt politisch breit über all die strategischen Fragen, die Ausrichtung des Heeres, Szenarien und Pläne diskutiert werden, so Gustenau. Das passiere aber nicht. Selbst jetzt seien die Politik und Parteien völlig mit sich selbst beschäftigt. Debatten über die Zielsetzungen des Militärs, die Neutralität und die transatlantischen Beziehungen würden hierzulande überhaupt nicht stattfinden.
https://www.wienerzeitung.at/nachrichte ... eines.html


Heeresgeschichtliches Museum: Debatte über Neuausschreibung

https://orf.at/#/stories/3262865/


Aus der Zeit gefallen
Das Plakat mit dem Porträt von Adolf Hitler fällt sofort auf. Es zeigt ihn vor rotem Hintergrund, dazu der Spruch "Ein Volk - ein Reich - ein Führer!" Einige Meter weiter ist eine Büste von ihm hinter Glas zu sehen. Daneben stehen lebensgroße Figuren mit Wehrmachtsuniformen. Auf einer Litfaßsäule mitten im Raum zeigt ein Soldat mit dem Finger auf die Besucher: "Dich ruft die Waffen-SS". Von der Decke hängt das Wehrmacht-Flugzeug vom Typ "Fieseler Storch", das in der Broschüre "Ihre Sternstunde im HGM" als "Top Tipp" für jenen Saal angepriesen wird, der sich dem Thema "Republik und Diktatur (1918 - 1945)" widmet.
https://www.sueddeutsche.de/politik/oes ... duced=true

Angesichts der Autorin dieses Artikels wundert mich gar nichts mehr.


Bild
https://twitter.com/Bundesheerbauer/sta ... 7336169472

https://www.tt.com/artikel/30818960/gen ... tfahrertum
Zuletzt geändert von theoderich am Sa 30. Apr 2022, 15:10, insgesamt 1-mal geändert.
theoderich
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »



Diese Website modelt eine Zentralstellenreform zur "Bundesheerreform" um ...
Verweigerer
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von Verweigerer »

Neue Kaserne am Flughafen in Klagenfurt nun „incoming“? Der erste Schritt wurde wohl heute Abend beschlossen.

https://www.krone.at/2697377
theoderich
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

Pläne für Großkaserne in Klagenfurt "unterschriftsreif"

https://www.meinbezirk.at/klagenfurt/c- ... f_a5317876


Nach TÜPL-Brand: Grüne fordern Antworten

https://noe.orf.at/stories/3154534/
theoderich
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

Elf Bewerber für Top-Job im Bundesheer
Einen Nachfolger von Brieger gibt es am Freitag noch nicht. Denn obwohl der Wechsel Briegers nach Brüssel schon seit einem Jahr bekannt war, wurde sein Posten erst recht spät ausgeschrieben. Die Bewerbungsfrist endete am am 20. April, die Bewertungskommission hat ihre Empfehlung noch nicht abgegeben. Die Entscheidung trifft letztendlich Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen muss der Ernennung zustimmen. Wie Tanner der „Presse“ mitteilte, haben sich elf hochrangige Offiziere für den Posten beworben. Die Namen werden nicht veröffentlicht. Trotzdem ist bekannt, wer gute Chancen hat: Als klarer Favorit gilt Tanners Stabschef Rudolf Striedinger, öffentlich bekannt auch als Co-Leiter der Gecko-Kommission.
Sollte Striedinger, dem verunglückte öffentliche Auftritte vorgeworfen werden, doch nicht zu Zug kommen, wären Harald Vodosek, Leiter der Direktion Beschaffung, und Helmut Habermayer, Mastermind der neuen Strukturreform, aussichtsreiche Kandidaten. Bis die Entscheidung fällt, wird der stellvertretende Generalstabschef die Geschäfte führen. Der heißt Rudolf Striedinger.
https://www.diepresse.com/6134294/elf-b ... bundesheer


Die lautlose Aussöhnung zwischen Erdoğan und Österreich
Die Türkei hob nach sechs Jahren ihre Blockade gegen Österreich in der Nato-Partnerschaft für Frieden auf. Für den 29.Juni ist am Rande des Nato-Gipfels ein Treffen zwischen Bundeskanzler Nehammer und dem türkischen Präsidenten anvisiert.
https://www.diepresse.com/6134216/die-l ... esterreich

theoderich
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

"Es wird nicht reichen, Militärmusik und Gebirgsjäger zu schicken"
Sie haben schon im Interview zu ihrem Amtsantritt 2018 auf die große Zahl an konventionellen Waffen in Europa hingewiesen sowie auf die Gefahr, die von ihnen ausgeht. Wie viel Vorahnung steckte in der Aussage?

ROBERT BRIEGER: Ich hatte nie Zweifel, dass militärische Machtmittel auch eingesetzt werden, wenn ein politischer Wille dahintersteht und eine strategische Lage es erlaubt. Im Falle des ukrainischen Konflikts kann man davon ausgehen, dass es bis zu einem gewissen Grad auch ein Test ist, inwieweit die westliche Wertegemeinschaft es zulässt, dass ein souveräner Staat einem unprovozierten Angriff ausgesetzt ist.

Bestehen wir diesen Test?

Wir bestehen ihn durch eine differenzierte Reaktion, weil man die damit verbundenen Risiken im Auge behalten muss. Aber man darf nicht glauben, dass die Sanktionen ohne Wirkung bleiben. Und ich halte es für legitim und richtig, wenn unsere Bundesregierung zum Ausdruck bringt, dass man zwar militärisch neutral sein kann,dass aber im Fall von Verletzung von Völker- und Menschenrecht eine Position eingenommen wird.

Warum braucht es immer erst die Krise, damit Sicherheitspolitik gesamtstaatlich diskutiert wird?

Derartige strategische Krisen sind ein Katalysator, der Trends verstärkt. Hier ist es in einem ganz dramatischen Umfang geschehen, weil vielerorts nicht mehr damit gerechnet wurde, dass in Europa konventionelle Kriege führbar sind. Man hat immer vorausgesetzt, dass sich das in ein hybrides Spektrum verlagert und Auseinandersetzungen nur noch auf Cyberebene geführt werden. Ich möchte nicht als Wahrsager dastehen, der sich jetzt bestätigt fühlt, aber das war natürlich naiv.

Ein deutlich höheres Wehrbudget scheint derzeit realistisch, es geht in Richtung der lange geforderten 1 Prozent des BIP. Was wird das Bundesheer damit anfangen?

Wir haben sehr klare Vorstellungen und eine detaillierte Planung, die auch eine gewisse Flexibilität erlaubt. Es sind im Wesentlichen drei große Pakete. Das ist erstens Schutz und Wirkung der Soldaten, der zweite Punkt ist die geschützte Mobilität, die unsere Soldaten in die Lage versetzten soll, ihre Aufträge möglichst unter Splitter- bzw. Panzerschutz zu erfüllen. Und das Dritte ist Resilizenz und Autarkie, indem wir die Kasernenstandorte entsprechend entwickeln wollen um bei einem Blackout oder einer terroristischen Bedrohung über einen längeren Zeitraum handlungsfähig zu bleiben. Das alles haben wir in die einzelnen Waffengattungen heruntergebrochen. Zum Beispiel: Welche Drohnensysteme braucht das Bundesheer um die Aufklärungsfähigkeit zu verbessern, welche Wirkmittel müssen bei der Artillerie dazukommen?

Was leitet das Bundesheer aus der veränderten Situation ab?

Wir mussten eigentlich keine großen Änderungen vornehmen. Allerdings gibt es schon eine stärkere Akzentuierung der konventionellen klassischen Landesverteidigung. Das heißt, wir müssen jenen Fähigkeitskern, der noch zum Kampf der verbundenen Waffen in der Lage ist, ausbauen und modernisieren - letztlich auch, um einen glaubhaften Beitrag zur Weiterentwicklung der Europäsischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik leisten zu können. Das ist vielleicht etwas polemisch, aber es wird nicht reichen zu sagen, wir schicken nur die Militärmusik und die Gebirsgjäger, dass wir uns also nur in Nischen entwickeln. Ein Staat mit den Ressourcen Österreichs muss in der Lage sein, einen Verband für Auslandseinsätze zur Verfügung zu stellen, in letzter Konsequenz auch für eine europäische Aufgabe.

Die bisher angenommene Vorwarnzeit bei Konflikten von 8 bis 10 Jahren gilt wohl nicht mehr. Wie lange kann man sich im Herzen Europas noch auf Kriege vorbereiten?

Es gibt auch Ereignisse, für die es überhaupt keine Vorwarnzeit gibt, wie Terroranschläge. Das gilt auch für Krisen in der Nachbarschaft, wie wir jetzt feststellen mussten. Da lagen viele Analysen falsch, die von einer Drohkulisse ausgingen. Letztlich haben die amerikanischen Nachrichtendienste Recht behalten mit der Warnung vor einer konkreten Invasion. Aber auch hier betrug die Vorwarnzeit höchstens Wochen. Das illustriert die Notwendigkeit rascher Reaktionsfähigkeit, national wie auch international.

Wo sehen Sie die größte militärische Bedrohung für Österreich durch den Ukraine-Krieg?

Vorwiegend durch Auswirkungen von Krisen in der unmittelbaren Nachbarschaft. Stellen Sie sich ein Szenario vor, in dem Partnerstreitkräfte durch Österreich transitieren um an einen Konflikt an der Peripherie teilzunehmen. Dann hätten wir diese Kräfte, natürlich bei Vorliegen einer politischen Genehmigung, zu schützen. Das heißt, wir hätten Terroranschläge, Unruhen und und ähnliche krisenhafte Entwicklungen im Inland zu verhindern. Eine unmittelbare konventionelle Bedrohung ist Gott sei Dank auch aus geografischen Gesichtpunkten unwahrscheinlich.

Finnland und Schweden drängen in die Nato, hierzulande erstickt die Politik jede Diskussion schon im Ansatz. Was sagt das aus über uns?

Die Diskussion um die Neutralität kann in einer Demokratie nicht verboten werden, aber es ist möglicherweise jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Eine so tiefgreifende Veränderung erfordert gewisse Voraussetzungen. In Finnland und Schweden fordert es die Mehrheit der Bevölkerung, bei uns ist das Gegenteil der Fall. Die Neutralität hat uns auch einen erfolgreichen politischen Status in Europa verschafft, letztlich auch als diplomatischer Vermittler. Sie schützt per se aber nicht vor Kriegen, sondern sie muss selbst militärisch geschützt werden. Im Gegensatz zur Schweiz nutzen wir jedoch unsere Neutralität auch sehr extensiv für Kooperationen und sie hindert uns nicht Mitglied der EU und bei Auslandseinsätzen präsent zu sein. Wir haben einen sehr, sehr aktiven Modus gefunden, mit dieser Neutralität umzugehen.

Die Neutralität schützt uns nicht, das Bundesheer ist dazu derzeit nicht in der Lage. Wer also schützt uns dann?

Die Beistandsverpflichtung der EU ist ein sehr starkes Instrument, formalrechtlich sogar stärker als der Artikel V des Nordatlantik-Vertrags. Er ist aber mit Ausnahme des Terroranschlags in Frankreich 2016 noch nie aktiviert worden, sodass der Lackmustest dafür fehlt. Die Mehrheit der europäischen Staaten sieht natürlich in der Nato jenes Instrument, das für Landesverteidigung den größten Wert hat - mit dem Rückhalt der USA.

Ein Rückhalt, auf den sich Europa zu sehr verlässt?

Ich glaube, es hat sich letztlich durch Afghanistan und die Ukraine die Erkenntnis verfestigt, dass Europa selbstständiger werden muss. Es muss eine strategische Autonomie geben, damit nicht bei einer Krise mittleren Formats gleich ein Rückgriff auf die USA stattfindet, die ihre Interessen vielleicht schon in Richtung Indopazifik fokussieren. Das wird jetzt zwar durch die Ukraine ein wenig relativiert, aber die generelle strategische Ausrichtung Amerikas ist China und der Ferne Osten. Daher muss Europa strategisch autonom werden. Wie das dann bündnistechnisch ausgestaltet wird und Nato und EU die Aufgaben aufteilen, das sind alles Entwicklungsschritte. Fakt ist: Es gibt in Europa die überwiegende Erkenntnis, dass es militärisch stärker und reaktioinsfähiger werden muss.

Braucht es dazu auch stehende EU-Truppen?

Es sollen ja jetzt die EU-Battlegroups verstärkt werden und eine neue Bezeichnung bekommen. Diese "Rapid Reaction Capacity" mit 5000 Mann und einer Bereitstellungszeit von einem Jahr ist ein Schritt, der vernünftig und richtig ist. Man kann das aber keineswegs als europäische Armee bezeichnen. Es ist ein Nukleus, der bestenfalls in der Lage ist, mit einem Ersteinsatz in einem Krisenszenario als "entry force" zu wirken und dann das Nachführen stärkerer Kräfte zu ermöglichen. Nur sollten wir das mit Sorgfalt und mit Bedacht weiterentwickeln, auch gemeinsam üben, damit in den unterschiedlichen Streitkräften die Zusammenarbeit und auch das Bewusstsein einer gemeinsamen Aufgabe forciert wird.

Sie wechseln nun als Leiter des EU-Militärausschusses nach Brüssel, haben in vier Jahren unter drei Ressortchefs gedient. Wie beschreiben Sie ihr Verhältnis zur Politik?

Ich sehe den Generalstabschef als den obersten militärischen Berater der politischen Ressorteitung. Seine Aufgabe ist es, Empfehlungen zu geben, Notwendigkeiten aufzuzeigen, Handlungsbedarf zu artikulieren und dort, wo den Empfehlungen nicht oder nur teilweise gefolgt wird, auch das damit verbundene Risiko auszudrücken. Er darf keine Konfrontation scheuen, sondern muss die Dinge auf den Tisch bringen. Ich habe versucht, diesem hohen Anspruch gerecht zu werden. Ob mir das gelungen ist? Sicher nicht vollumfänglich. Es sind immer politische Implikationen, wenn es ums Geld und um bestimmte Ausrichtungen geht. Wenn es nun tatsächlich zur angekündigten weiteren Budgeterhöhung kommt, sehe ich für das Bundesheer eine doch sehr, sehr gute Entwicklungsphase. Wir müssen allerdings auch auf das Personal schauen. Wir haben eine riesige Pensionierungswelle vor uns und müssen als attraktiver Arbeitgeber wahrnehmbar bleiben und uns weiterentwickeln. Es muss Attraktivität und Modernität ausgestrahlt werden, damit die jungen Menschen zu uns kommen.

Sie haben sich für die Wiedereinführung der verpflichtenden Truppenübungen stark gemacht. Die Regierung hält aber nichts davon.

Ich sehe das nicht so, dass es politisch nicht gewünscht ist, aber es ist Momentan nicht Schwerpunkt der Diskussion. Wir haben jetzt für die Miliz dieses Modell "Mein Dienst für Österreich" mit sechs plus drei Monaten entwickelt, das allerdings auf Freiwilligkeit beruht. Mit verpflichtenden Truppenübungen könnte man eine kompaktere Ausbildung für die Miliz realisieren. Ich interpretiere die Frau Bundesminister aber nicht so, dass das für ewige Zeiten ad acta gelegt ist, sondern, dass man derzeit andere Prioritäten verfolgt. Die Abschaffung dieser verpflichtenden Truppenübungen 2006 kam ja auch nicht ganz von ungefähr, sondern es ist vielfach der Eindruck entstanden, dass die Intensität ein bisschen zu wünschen übrig lässt und dass die Vorbereitung und Ausgestaltung auch am Geldmangel gelitten hat. Daher muss man bei einer Wiedereinführung vor allem auf die Qualität achten.
https://www.kleinezeitung.at/politik/in ... itaermusik
theoderich
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

theoderich
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »


Trotz Neutralität
Bundesheer-Helme für Ukraine waren 35 Euro wert

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theoderich
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

Umfrage: Österreicher klar gegen NATO-Beitritt

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