https://www.sn.at/politik/innenpolitik/ ... -144429424SN: Ein Aufreger des Sommers war, dass Österreich am europäischen Raketenabwehrsystem Sky Shield teilnehmen wird. Können Sie schon sagen, was das konkret bedeutet?
Klaudia Tanner: Anfang September wird unser Luftwaffenchef erstmals Einblick in die Detailplanungen bekommen. Dann wird das Geheimnis gelüftet werden. Fest steht, dass Sky Shield für Österreich einen zusätzlichen Schutz gegen Agriffe aus der Luft bieten wird. Interessant wird die Klärung sein, welches Teilnahmerland welche Waffensysteme beschafft. Da gibt es in Deutschland ja neue Entwicklungen.
Sie meinen die Entscheidung, dass Deutschland das israelische Raketenabwehrsystem Arrow 3 kauft. Wird Österreich auch dabei mitmachen?
Ganz genau. Arrow 3 ermöglicht die Raketenabwehr in extrem großen Höhen, also schon in der Stratosphäre. Das bietet besonderen Schutz, weil man Angriffe bereits sehr frühzeitig abwehren kann. Das ist aber etwas, das ein Land allein nicht bewerkstelligen kann.
Das heißt, Österreich wird im Rahmen von Sky Shield bei Arrow 3 mitzahlen?
Was wir konkret beitragen, ist noch offen. Es gibt verschiedene Wege, wie man sich bei Sky Shield einbringen kann. Ein möglicher Beitrag Österreichs wäre auch die Bereitstellung der Luftbewegungsdaten aus unserem Radarsystem Goldhaube. Daran besteht großes Interesse der anderen Teilnehmerstaaten.
Aber ohne finanziellen Beitrag wird es nicht gehen.
Unabhängig von Sky Shield sind in unserem Bundesheer-Aufbauplan "Mission vorwärts" 2,5 Milliarden Euro für den Ausbau der bodengebundenen Luftabwehr budgetiert. Die Planungen laufen in die Richtung, dass die neuen Luftverteidigungssysteme des Bundesheeres nicht nur in Zeltweg, sondenr auch in Salzburg stationiert werden.
Die Kämpfe in der Ukraine zeigen, dass der Krieg immer digitaler und elektronischer wird. Wie weit ist das Bundesheer in diesem Bereich?
Da muss man ehrlich sagen, das steckt bei uns noch in den Kinderschuhen. Daher werden wir 300 Millionen Euro in die elektronische Kampfführung investieren, also etwa in den Schutz der eigenen Kommunikation und das Stören der gegnerischen. Diese Investitionen werden unter anderem dem Führungsunterstützungsbataillon 2 in St. Johann im Pongau zugutekommen. Das Zweite ist, dass wir im gesamten Bundesheer ein "Battle Management System" einführen: eine Art elektronische Landkarte, aus der man im Einsatz ersehen kann, wo der Gegner steht und wo sich die eigenen Kameraden befinden.
Das Parlament hat das Bundesheer durch ein Krisenlagergesetz damit beauftragt, Versorgungsgüter für künftige Krisen und Pandemien anzulegen. Was heißt das?
Das ist nichts Neues. Schon bei der Covidpandemie hatte das Bundesheer als strategische Reserve der Republik den Auftrag, die Lagerung und Logistik der benötigten Güter - Masken, Impfstoffe, Beatmungsgeräte, etc. - zu übernehmen. Und das machen wir auch weiterhin, weil wir als Einzige die notwendigen Lager dafür haben.
Aber wollten Sie derartige "Mädchen für alles"-Aufgaben nicht reduzieren?
Das tun wir auch. Die Lagerhaltung ist wie gesagt keine neue, zusätzliche Aufgabe. Sehr wohl reduziert haben wir die Botschaftsbewachungen in Wien. Und durch den Einsatz elektronischer Überwachungssysteme konnte auch die Mannstärke im Grenzeinsatz deutlich gesenkt werden. Das ist wichtig, weil die Grundwehrdiener damit für die militärische Ausbildung frei werden.
Der Wehrwille ist in Österreich laut Umfragen nur sehr schwach ausgeprägt. Was wollen Sie tun, um ihn zu heben?
Das ist die wichtigste Frage von allen. Nur ein Viertel der Österreicher wäre bereit, das Land mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Das ist im europäischen Vergleich ein sehr niedriger Wert und hat vielleicht damit zu tun, dass in den Schulen zuletzt nicht mehr über die Landesverteidigung informiert wurde. Da haben wir angesetzt: Geistige Landesverteidigung und Bundesheer wurden in den Lehrplänen schon in der Volksschule verankert. 600 Informationsoffiziere sind in den Schulen unterwegs. Zwei Offiziere wurden in die Schulbuchkommission entsandt. Aber ich bin mir bewusst: Die Hebung des Wehrwillens ist eine langfristige Aufgabe.
Die Regierung garantiert dem Bundesheer im Landesverteidigungsfinanzierungsgesetz deutlich steigende Budgets bis 2032. Woher nehmen Sie die Sicherheit, dass eine künftige Regierung das Gesetz nicht wieder aufhebt?
Einer 120-prozentige Sicherheit gibt es da nicht. Aber welche zukünftige Regierung sollte dieses Gesetz in einer so unsicheren Welt aufheben? Ich kann mir das nicht vorstellen. Zumal dieses Gesetz ein echter Meilenstein ist: Erstmals wird über die Grenzen der Legislaturperiode hinausgedacht, was uns wirklich Planungssicherheit gibt. Denn der Wiederaufbau des Bundesheeres wird viele Jahre dauern. Es wurde davor ja auch viele Jahre kaputtgespart.
Apropos Regierung: Wollen Sie auch nach der Wahl Verteidigungsministerin bleiben?
Es ist bekannt, dass das mein Traumjob ist. Ich würde sehr gern weiterhin den Aufbau des Bundesheeres leiten. Aber ein Jahr vor der Nationalratswahl ist es für diese Frage noch zu früh.
Würden Sie auch unter einem Kanzler Kickl weiter Ministerin bleiben? Mehrere ÖVP-Minister haben das ja bereits ausgeschlossen.
Ich weiß nicht, wie oft ich das schon gefragt wurde. Jede Sekunde ist mir zu schade, um mich mit dem Führer der Rechten zu beschäftigen.
https://www.facebook.com/oeog.at/posts/ ... YinJexoCzl
ORF III Aktuell
Di., 29.8.2023 | 9.30 Uhr
https://tvthek.orf.at/profile/ORF-III-A ... f/15457549Bundesheer rüstet auf
Reiner Reitsamer: „Und jetzt zum Bundesheer: Das rüstet auf. Bis zum Jahr 2032 stellt die Regierung ein Sonderbudget für das lange unterfinanzierte Heer zur Verfügung. Gestärkt wird vor allem die Luftflotte.“
[Meldungsunterschrift: „Verteidigungspläne: Weitere Black-Hawks für Österreichs Heer“; Einsatzkräfte beim Entladen einer AB-212 des Bundesheeres während des Hochwassers in Slowenien] Ein „Black Hawk“-Hubschrauber im Einsatz. Bei den schweren Unwettern Anfang August fliegt er immer wieder in [Foto: „Black Hawk“ mit Seil über einem Container schwebend; dahinter zwei deutsche CH-53G am Boden] besonders betroffene Gebiete Sloweniens. [Foto: Soldaten beim Entladen einer AB-212; Foto: Einsatzkräfte beim Verlassen einer gelandeten AB-212] Mit im Laderaum: Lebensmittel, Medikamente, [Foto: Kabine einer AB-212 mit gestapelten Schaufeln und Harken] Trinkwasser, Schaufeln und Werkzeug.
[Hochwasserführender Bach, daneben umgeknickte Telefonmasten] Auch in Kärnten war nach den Hochwassern ein „Black Hawk“ im Einsatz. Er transportiert Strommasten in abgelegene Ortschaften.
[Mehrere AB-212 im Flug] Seit 2002 fliegen neun der Schwarzen Falken über Österreich. [Entladung eines S-70 aus einer An-124, 2002] Drei weitere wurden bereits bestellt und sollen ab kommendem Jahr im Einsatz sein. [S-70 des Bundesheeres am Rollfeld eines Flughafens] Kostenpunkt: 60 Millionen Euro.
Geht es nach Verteidigungsministerin Klaudia Tanner von der ÖVP [S-70 im Flug mit Löschbehälter] kommen zwölf weitere dieser Hubschrauber dazu. Möglich werde das durch das von der Regierung beschlossene Sonderbudget. 16,6 Milliarden Euro investiert die Regierung in den nächsten neun Jahren in das Bundesheer.
Klaudia Tanner (Verteidigungsministerin, ÖVP): „Das läuft alles dann im Rahmen des Aufbauplanes bis zum Jahr 2032. Die Planungen dafür beginnen jetzt, weil’s auch immer darum geht: Finden wir auch Staaten, mit denen wir auch zusammenarbeiten können, im logistischen Weg.“
[C-130K in Hörsching] Auch die „Hercules“-Transportmaschine soll ersetzt werden. Zwei Modelle stehen in der engeren Auswahl. Bis Ende September soll eine Entscheidung fallen. [Traktor beim Verschieben einer Saab-105OE in Hörsching] Auch die ausgemusterten Saab-105 Trainingsjets will Tanner ersetzen. Eventuell kommen noch [Saab-105OE am Rollfeld; im Hintergrund startende Saab-105OE] sechs Drohnen dazu. Diese sollen vorrangig für die Luftraumüberwachung eingesetzt werden.
Bericht: Anna Kirchgatterer
REITSAMER: „Wie viel Geld braucht das Bundesheer wirklich? Und was kann es für die Landesverteidigung leisten? Darüber spreche ich jetzt mit dem Militärstrategen Walter Feichtinger. Einen schönen guten Tag!“
Walter Feichtinger (Militär- und Sicherheitsexperte): „Guten Tag!“
REITSAMER: „Jahrzehntelang wurde das Österreichische Bundesheer kaputtgespart, wie sowohl der aktuelle Bundespräsident, als auch ein damaliger Verteidigungsminister, Thomas Starlinger, gesagt haben, vor ein paar Jahren. Warum war denn das Heer für die Politik lange Zeit offenbar so unwichtig?“
FEICHTINGER: „Das war ein Ergebnis der politischen Situation insgesamt, auch der Auslandssituation, weil man gerade in Österreich gedacht hat, dass nach dem Ende des Kalten Krieges, also Anfang der 1990er-Jahre, hier keinerlei militärische Bedrohung mehr vorhanden wäre und daher das Bundesheer immer mehr eigentlich zu einem starken Technischen Hilfswerk sich entwickelt hat. Notgedrungen, weil das Geld gefehlt hat. Und die militärische Komponente, militärischen Aufgaben, standen einfach nicht mehr im Zentrum der Betrachtungen. Man hat dann das gemacht, was man sich noch leisten konnte, was man noch machen.“
REITSAMER: „So können sich die Zeiten leider dann auch wieder ändern, was militärische Bedrohungen angeht. Jetzt wird also ordentlich Geld ins Heer gesteckt. Und zwar 16,6 Milliarden Euro bis zum Jahr 2032. Was wird das bringen?“
FEICHTINGER: „Na, das wird einmal helfen, wieder militärische Kapazitäten zu haben. Wir haben hier das Beispiel der Hubschrauberflotte gesehen. Über viele Jahre, Jahrzehnte haben sich hier verschiedene Typen im Bundesheer ,breitgemacht‘ sozusagen – nicht wirklich breit, weil es waren ja nicht viele Stück. Und es ging immer um die Transportkapazität. Mit dieser neuen Flotte, mit diesen neuen zwei Typen nur mehr soll es möglich sein, bisherige Kapazitäten zu erhalten und auf ein neues Niveau zu bringen. Also, state of the art, standesgemäß, zeitgemäß zu machen.
Hubschrauber sind ein ganz ein wesentliches Element, um eben eine rasche Verlegungsfähigkeit von Truppen zu haben. Und wir sehen ja heute viele Szenarien, wo es sehr stark darauf ankommt, rasch irgendwo wirksam werden zu können. Das reicht vom Katastropheneinsatz, über den Terro … Anti-Terrorismus-Einsatz bis zu militärischen Szenarien.
Aber es mangelt ja an allen Ecken und Enden und daher ist eigentlich der Begriff ,Aufrüsten des Bundesheeres‘ ein bisschen daneben. Es geht eher darum, das Bundesheer wieder als militärischen Arm der Landesverteidigung hier zu stärken, zu etablieren und fit für die Zukunft zu machen.“
REITSAMER: „Gibt es denn bei uns überhaupt genügend Soldatinnen und Soldaten, um die neuen Flugzeuge und Hubschrauber zu bedienen?“
FEICHTINGER: „Das ist ein wesentlicher Punkt, weil sonst nützen sie ja nichts. Aber es ist so, dass in Österreich ja die Wehrpflicht beibehalten wurde. Das ist ganz ein wesentliches Element auch für die Werbung von jungen Soldaten. Das Bundesheer unternimmt auch sehr viel, um an junge Leute, sowohl Mädchen wie auch Burschen, heranzukommen, um ihnen das Bild, das mögliche Ausbildungsbild, zu zeigen. Und da gehören natürlich Hubschrauberpiloten oder auch Jetpiloten zu der obersten Kategorie. Dafür kann man sicher junge Leute interessieren. Und daher gehe ich davon aus, dass es kein Problem sein wird, hier die entsprechenden Posten und Pilotinnen und Piloten auch zu rekrutieren.“
REITSAMER: „Österreich reagiert mit dieser Finanzspritze auch auf den Ukrainekrieg, der vor über eineinhalb Jahren begonnen hat. Ist das zu spät jetzt?“
FEICHTINGER: „Na ja … Man ist nachher immer klüger. Und auch bei diesem Szenario ist man nachher klüger. Weil eigentlich hätten nach 2014, nach der Annexion der Krim und diesen Kämpfen in den Separatistengebieten, die Alarmglocken rundherum läuten müssen. Das hat es nur ein bisschen in der NATO getan. Man hat damals einen Beschluss gefasst, dass die Verteidigungsbudgets binnen zehn Jahren auf zwei Prozent des BIP anzuheben sind. In Österreich haben wir das ein bisschen verdrängt, würd‘ ich einmal meinen. Und daher ist … entsteht jetzt natürlich ein enormer Nachholbedarf und dem versucht man jetzt Genüge zu tun.“
REITSAMER: „Wir haben vorhin schon kurz über militärische Bedrohungen gesprochen. Bis jetzt hat sich Österreich – zumindest inoffiziell – in Verteidigungsfragen so ein bisschen darauf verlassen, dass uns im Ernstfall umliegende NATO-Staaten verteidigen würden. Können wir das jetzt nicht mehr?“
FEICHTINGER: „Insgeheim tun wir das natürlich nach wie vor. Allerdings ist es einerseits schon auch eine moralische Frage, sich auf die anderen zu verlassen und selber weniger zu tun. Und wir dürfen ja nicht vergessen: Österreich ist ein neutrales Land, das sich selber verschrieben hat, für seine eigene Sicherheit zu sorgen. Daher auf die anderen verlassen ist für mich kein seriöser Zugang, wenn man für die eigene Sicherheit verantwortlich ist. Und daher muss Österreich von der … vom Boden bis in die Luft alles unternehmen, um die eigene Sicherheit zu gewährleisten. Und da stellt sich die Lage heute, angesichts des Krieges in der Ukraine, ganz anders dar, als das noch vor drei Jahren der Fall gewesen ist.“
REITSAMER: „Aber ist überhaupt vorstellbar, dass sich Österreich selbst verteidigen könnte, so wie etwa die Schweiz, von der man sagt, dass sie bis an die Zähne bewaffnet ist?“
FEICHTINGER: „Im Österreichischen Bundesheer geht man davon aus, dass man gewisse Schutzaufgaben im gesamten Land bewältigen können muss. Das heißt, das ist nicht die große Panzerschlacht im Marchfeld, wie sie oft zynisch irgendwie angeführt wird – auch darauf stellt sich das Bundesheer schon lange nicht mehr ein. Das könnte es natürlich nicht. Das ist ja auch nicht erwartbar.
Aber es gibt jede Menge Szenarien, auf die sich Österreich einstellen muss. Und dafür braucht es ein bewegliches Bundesheer, ein hochmobiles Bundesheer, das natürlich mit heutigen Herausforderungen – Stichwort: Drohnen! – umgehen können muss.“
REITSAMER: „Walter Feichtinger, vielen Dank für das interessante Gespräch und Ihnen noch einen schönen Tag!“
FEICHTINGER: „Danke vielmals!“