Re: Medienberichte 2022
Verfasst: Do 22. Sep 2022, 07:52
Forum für Österreichs Militärgeschichte
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"Das blaue Barett ist ein Magnet." So beschreibt Generalmajor Martin Dorfer, ein auf mehrere Auslandseinsätze zurückblickender erfahrener Offizier und heutiger Chef der Einsätze des Bundesheers, die Rekrutierung von Soldatinnen und Soldaten für die international angesehensten Aufgaben des Bundesheers. Immer noch ist der Mythos der im direkten Auftrag der Uno stehenden "Blauhelmsoldaten" ausreichend, um Militärpersonen für den Dienst bei der Unifil im Libanon zu gewinnen. Für die seit Jahrzehnten eingespielten Einsätze in Bosnien-Herzegowina (Eufor) und im Kosovo (Kfor) unter EU- und Nato-Flagge ist das erheblich schwieriger.
Aber gerade diese Region ist für die österreichische Außen- und Sicherheitspolitik besonders wichtig – aber da ist die Bereitschaft, noch ein weiteres Mal einzurücken, deutlich geringer. Dazu kommt, dass das Bundesheer ein massives Personalproblem hat: Soldaten mit langer Erfahrung in der Miliz werden langsam alt, neue wachsen nicht nach, weil gerade in den letzten Jahren die Grundausbildung beim Bundesheer massiv gelitten hat.
Zu viele Assistenzeinsätze
Und das hat nicht nur damit zu tun, dass die Milizübungen weitgehend ausgefallen sind, sondern es ist auch eine Folge der vielen Assistenzeinsätze: Infolge der Corona-Krise und der Anforderungen des Grenzschutzes sind die meisten Grundwehrdiener schon als Rekruten schon nach sehr kurzer Ausbildung in leichte Hilfs-Einsätze geschickt worden – für eine komplette Ausbildung fehlt die Zeit, beim Abrüsten sind sie daher nicht voll feldverwendungsfähig.
Und: Infolge der demografischen Entwicklung stehen insgesamt immer weniger junge Wehrpflichtige für einen Grundwehrdienst zur Verfügung.
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) ist sich des Problems bewusst – ihre Initiative, die Grundwehrdiener besser zu entlohnen und ihnen eine Verlängerung der Dienst- beziehungsweise Ausbildungszeit schmackhaft zu machen, soll Abhilfe schaffen. Vor allem aber geht es bei den Auslandseinsätzen darum, Frauen zu entsenden.
Problemfeld Sanität
Die aktuell dringendste Sorge ist allerdings die Sanitätsversorgung – es fehlen in den österreichischen Kontingenten Ärztinnen und Ärzte, was durch internationale Kooperation ausgeglichen werden muss. Tanner: "Was den Westbalkan betrifft, haben wir verstärkte Personalrekrutierungsmaßnahmen gesetzt. Dabei steht die Sanitätsversorgung unserer Soldaten im Mittelpunkt; jedoch bleibt auch das Bundesheer vom Ärztemangel nicht verschont. Daher steht sowohl beim militärischen Gesundheitswesen wie auch beim Heerespersonalamt die Anstrengung im Mittelpunkt, Sanitätspersonal in die Einsatzräume zu bringen."
Die aktuelle Personalsituation könnte sich dadurch entspannen, dass ab Oktober das Jägerbataillon 25 – eine luftbewegliche Profitruppe, die in Klagenfurt stationiert ist – in den Kosovo verlegt wird.
https://www.derstandard.at/story/200013 ... and-sendenUnd dann stellt sich die Budgetfrage: Kann und soll sich Österreich das überhaupt alles leisten? Ja, sagt Tanner. Es herrsche in allen Parteien Übereinstimmung, dass das Bundesheerbudget massiv steigen muss.
https://www.diepresse.com/6193442/das-b ... ine-reformDie Eskalation im Ukraine-Krieg rückt auch ein innenpolitisches Thema wieder in den Vordergrund: Was wurde eigentlich aus den Bestrebungen, das Bundesheer neu aufzustellen? Wir erinnern uns: Im Frühjahr, nach dem Angriff Russlands auf das Nachbarland Ukraine, war bei allen politischen Parteien die Erkenntnis gereift, dass Österreich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die militärische Landesverteidigung sträflich vernachlässigt hatte. Plötzlich gab es auch die Bereitschaft, die notwendigen Budgetmittel dafür zur Verfügung zu stellen. Von einem, eineinhalb oder gar zwei Prozent des BIPs (statt bisher 0,6 Prozent) war da die Rede.
Was seither passiert ist? Eigentlich nicht viel. Mehr Geld für das Heer dürfte es im nächsten Budget tatsächlich geben, ist aus dem Umfeld des Verteidigungsministeriums zu hören, es soll in Richtung ein Prozent gehen. Sonst ist die kurz aufgeflammte Diskussion um die Landesverteidigung aber sanft entschlafen.
Gerade eine Debatte wäre jetzt aber notwendig, und es wäre höchst an der Zeit, angesichts des veränderten Umfelds auch Tabuthemen aufzugreifen. Das erste und wichtigste Thema ist die Frage nach dem sicherheitspolitischen Konzept: Ist die Neutralität tatsächlich die sinnvollste Lösung, oder wäre ein Nato-Beitritt nicht eine bessere Variante? Immerhin haben Schweden und Finnland diesen Weg eingeschlagen. Das zumindest breit zu diskutieren wäre sinnvoll. Einige zaghafte Versuche aus der ÖVP hat es gegeben – das wurde von Parteichef Karl Nehammer aber rasch gestoppt. Auch die anderen Parteien wollen an diesem Thema nicht rütteln, niemand wagt es, den breiten Konsens in der Bevölkerung für die Neutralität infrage zu stellen.
Die Zukunft des Heeres
Zweitens wäre eine Diskussion darüber notwendig, wie das Bundesheer in Zukunft eigentlich aufgestellt sein soll. Und da gibt es gleich das nächste Tabuthema: Der Grundwehrdienst ist im Moment in einer völlig absurden Form konzipiert. Das Bundesheer wendet einen wesentlichen Teil seiner Kapazitäten dafür auf, jährlich an die 18.000 Grundwehrdiener auszubilden, ohne einen erkennbaren Nutzen daraus zu erzielen. Die Ausbildung von Rekruten ist nämlich nur dann sinnvoll, wenn diese später auch als Milizsoldaten eingesetzt werden können – was aber nur möglich ist, wenn die Miliz regelmäßig übt. In Österreich sind die verpflichtenden Milizübungen aber abgeschafft, und die Zahl jener, die sich freiwillig dafür melden, ist mehr als überschaubar. Die Grundsatzfrage wäre daher: Wollen wir ein Milizheer – dann muss es wieder verpflichtende Übungen geben. Oder wollen wir das nicht, dann können wir uns den Grundwehrdienst sparen und auf ein Berufsheer, ergänzt um eine freiwillige Miliz, umsteigen. Der derzeitige Zustand ist eine Vergeudung von Ressourcen – jener des Bundesheers wie auch jener der jungen Männer, die zum Dienst verpflichtet werden.
Die dritte Frage lautet schließlich: Was soll das Heer eigentlich können? In den vergangenen Jahren wurde die Kernkompetenz des Bundesheers eher im nicht militärischen Bereich angesiedelt: Katastrophenschutz, Assistenzeinsatz an der Grenze, Botschaftsbewachung, Hilfsdienste in der Coronapandemie gehörten zu den Aufgaben der Soldaten. Inzwischen ist die militärische Landesverteidigung als Kernkompetenz wieder in den Mittelpunkt gerückt – aber auch da stellt sich die Frage, was genau das Bundesheer in welchem Ausmaß können soll. Den Luftraum ernsthaft sichern (auch in der Nacht)? Auf konventionelle Konflikte mit schweren Waffen vorbereitet sein? Cyberkriege führen können?
Von der Beantwortung all dieser Fragen hängt es ab, welches Budget für die Landesverteidigung tatsächlich notwendig ist und wie es eingesetzt wird. Nun gibt es dazu natürlich genügend Überlegungen und Konzepte im Bundesheer selbst. Aber eigentlich handelt es sich um politische Fragen, die auch politisch entschieden werden müssen. Und diese Debatte sollte jetzt schleunigst geführt werden – und zwar bevor die Budgets aufgestockt und große Investitionspakete um etliche Milliarden Euro geschnürt werden.
Ist das ironisch gemeint?
Das Bundesheer kann aber das Geld nicht ausgeben. Das muß die Politik, per Gesetz und einer politischen Entscheidung, wofür das Geld ausgegeben wird. Der Autor hat nicht so unrecht.Acipenser hat geschrieben: ↑Do 22. Sep 2022, 22:22 ...der hat den Zilk nicht gekannt, ist wohl zu jung, sonst würde er nicht nach einer (Grundsatz-)Debatte fürs ÖBH rufen!
Das einzige was das ÖBH seit Jahrzehnten braucht ist Geld, Geld und nochmals Geld. Nicht morgen oder Übermorgen sondern heute. Die vielen Akademiker aus WrNeustadt wissen schon wos hingehört im Interesse der Republik also dem Bundesheer!
Wie die Politik so eine Frage traditionell "anpackt", müsste der Herr Innenpolitikredakteur aber sehr gut selbst wissen:
- Die militärische Landesverteidigung muss auch in Österreich den Bedrohungen und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Dazu setzt die Bundesregierung unter Federführung des BMLV eine Reformkommission ein, die auf Basis der Bundesverfassung und der geltenden Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin die Grundlage für diese Reform bis spätestens Ende 2003 erarbeiten soll. Im Rahmen dieser Kommission sollen auch alle Fragen im Zusammenhang mit der militärischen Sicherung der österreichischen Souveränität geklärt werden.