Stefan Lenglinger: „Ja. Und darüber wie Österreich auf diese Gefahrenlage reagieren soll und muss, wollen wir heute Abend auch im Studio sprechen. Meine Gäste dazu sind der Wehrsprecher der Grünen, David Stögmüller, und zugeschalten aus Salzburg der Wehrsprecher der Freiheitlichen, Volker Reifenberger. Guten Abend an Sie beide.“
Volker Reifenberger: „Guten Abend!“
David Stögmüller: „Schönen … schönen guten Abend. Hallo.“
LENGLINGER: „Herr Stögmüller, bleiben wir gleich bei diesem Thema, wo jede Person in Österreich gleich einmal gemerkt hat, wie schnell es ernst wird. Als Russland in die Ukraine einmarschiert ist, da sind die Gaspreise bei gleich einmal doppelt so teuer geworden. So. Und die Ressource Energie ist auch etwas, was in der neuen Sicherheitsstrategie anders behandelt werden soll, nämlich wie man die besser absichert, als Österreich. Nur, dieses Dokument neue Sicherheitsstrategie gibt es noch nicht und die ÖVP sagt, das liegt daran, dass die Grünen das Konzept Energiesicherheit noch nicht fertig ausgearbeitet haben. Wo bleibt denn das?“
STÖGMÜLLER: „Das … das Konzept gibt es. Das Konzept wurde auch schon übermittelt. Für uns Grüne ist klar: Wir wollen fossile Energie rausstreichen, wir wollen nicht mehr abhängig sein von irgendwelchen Despoten. Für uns ist klar: Wir wollen eine Sicherheitsstrategie, wo Russland nicht mehr der strategische Sicherheitspartner ist.
Dass die ÖVP hier noch im fossilen Denken ist, das zeigt sich damit wieder. Für uns ist klar, wir wollen das auch weitertreiben und wir wollen, dass auch in Zukunft die Österreicherinnen und Österreicher oder für die Österreicherinnen und Österreicher klar ist, dass sie in Zukunft eine warme Wohnung haben, Energie haben und das erneuerbar und mit erneuerbaren Energien.“
LENGLINGER: „Herr Reifenberger, Russland ist ein gutes Stichwort, weil in der bislang gültigen Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2013 heißt es, dass Russland ein ,wesentlicher Partner‘ sei und Österreich diese Zusammenarbeit auch aufwerten müsse. Jetzt – trotz aller Nähe der FPÖ zu Moskau, im Laufe des vergangenen Jahrzehnts – ich gehe mal davon aus, ein solcher Satz ist auch für Sie keine Leitlinie mehr, oder?“
Volker Reifenberger: „Also, ich möchte mal diese Nähe zu Moskau von Haus aus schon mal bestreiten. Sie spielen hier auf einen Vertrag an, den es längst nicht mehr gibt und der auch nie in der Vergangenheit mit Leben erfüllt wurde.
Aber, Sie haben vollkommen recht, natürlich ist diese alte Sicherheitsstrategie, die über zehn Jahre alt ist, nicht mehr aktuell. Und das zeigt sich ganz gut in diesem Punkt. Es ist aber auch zu sagen, dass von dieser neuen Sicherheitsstrategie, die hier angeblich im Entwurf schon vorliegt, ich nicht wirklich viel dazu sagen kann, weil wir als Parlament hier noch keine Einsicht bekommen haben.“
LENGLINGER: „Allerdings, Herr Reifenberger, - also nur mal um das klarzustellen – es gab ja dieses Kooperationsabkommen mit der Partei Einiges Russland. Sie sagen, dass ist nie wirklich in Kraft getreten. Darüber woll’ma jetzt nicht groß diskutieren.
Jetzt heißt es aber auch, Sie haben nichts zu sagen über die Sicherheitsstrategie. Aber die Regierung meinte ja doch, dass man Sie auch mit einbeziehen will. Hat das nicht stattgefunden? Gab’s keine Gespräche?“
REIFENBERGER: „Also da haben Sie mich falsch verstanden. Ich sagte, wir hätten dazu nichts zu sagen. Wir werden sehr viel dazu sagen: Nämlich dann, wenn die Sicherheitsstrategie ins Parlament kommt. Und wenn wir hier ordentlich eingebunden sind.
Bisher gab es in Wahrheit nur eine sogenannte Expertenbeteiligung. Das war aber nichts anderes als eine Farce. Wir hatten jetzt bei die Möglichkeit, zwei Experten zu benennen, für die Erarbeitung der Sicherheitsstrategie. Allerdings, diesen Experten hat man keinen Einblick gegeben in die Dokumente. Die haben bis heute noch nicht den Entwurf zur Sicherheitsstrategie gesehen. Alles, was man den Experten gezeigt hat, waren allein die Überschriften.
Und wenn man hier Experten so einbindet, dann ist das nichts anderes wie ein Feigenblatt, um so zu tun als wäre das irgendwie ein Prozess, wo man hier andere Parteien und Experten hätte einbinden wollen. Aber in Wahrheit hat man’s nicht getan.“
LENGLINGER: „Herr Stögmüller, das sind jetzt schon ziemliche Vorwürfe. Sie haben ja versprochen als Bundesregierung, man wird die Opposition da auch ordentlich mit einbinden.“
STÖGMÜLLER: „Ganz klar. Wir wollten die Experten – und wir haben die Experten auch eingebunden, es hat viele Expertenrunden gegeben [REIFENBERGER schüttelt den Kopf]. Es hat auch mit den Wehrsprechern und Innensprechern entsprechende Runden gegeben im Parlament und auch im Bundeskanzleramt. Die FPÖ hat sich daran nicht beteiligt.
Weil, ganz klar, sie wollen eines: Sie wollen eigentlich, ja, eine Neutralitätspolitik, die was Isolation bedeutet. Die quasi das Anbiedern an Putin bedeutet, das … das Nähe an Orban … Das ist das, was die FPÖ will, ja. Dafür stehen wir nicht. Dafür stehen auch die andern Parteien ganz offen nicht, denn sie haben sich aktiv daran beteiligt. Und das ist auch gut so, denn die Sicherheitsdoktrin bedeutet nämlich quasi die Sicherheit von uns allen, von den ganzen Österreichern und Österreichern. Das ist wichtig, dass hier etwas weitergeht. Dass hier auch die Risiken nämlich auch besprochen werden, wohin wir steuern, was in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auch am Tableau ist, wo Gefahren herrschen. Und das muss eine große Antwort sein, ob’s die Energie ist, Umweltkrisen sind, ob’s die Gefahren im Cyberraum sind. Das sind die Gefahren, über die wir reden wollen. Und nicht einfach den Kopf in den Sand stecken, was ja die ,Festung Österreich‘ bedeutet.“
LENGLINGER: [REIFENBERGER: „So … tschuldigung, aber da muss ich den Kollegen Stögmüller …“] „Dann mach‘ ma’s nochmal konkret … ja?“
REIFENBERGER: „… insofern schon widersprechen, [LENGLINGER: „Gerne, ja.“] Wir haben uns sehr wohl an den Prozess beteiligt, so weit man es zugelassen hat. Unsere beiden Experten haben an allen Sitzungen teilgenommen [STÖGMÜLLER schüttelt den Kopf]. Nur, das Problem ist: Im Gegensatz zu den Experten der Regierungsfraktionen hat man unseren Experten keinen Einblick in diesen Entwurf der Sicherheitsstrategie gewährt. Und wie soll ich zu etwas Stellung nehmen, wenn ich den Inhalt nicht kenne und wenn mir nur Überschriften gezeigt werden. Also wir müssen schon bei der Wahrheit bleiben.“
LENGLINGER: „Gut, ich glaube das können wir festhalten.
Herr Stögmüller, jetzt mach’ ma’s aber doch einmal konkret, zu den Plänen. Österreich will ja seine Sicherheit unter anderem auch mit ,Sky Shield‘ erhöhen. Da investiert man gemeinsam mit europäischen Partnern in Luftabwehrsysteme und tauscht auch Informationen aus. Ich bin ziemlich sicher, Herr Reifenberger wird Ihnen gleich darlegen, dass das aus seiner Sicht ein grober Neutralitätsbruch ist. Wieso ist denn Österreich nicht in der Lage, den Luftraum selbst zu überwachen und zu verteidigen?“
STÖGMÜLLER: „Weil es Sinn macht, dass die Europäischen Unionen, die europäischen Staaten zusammenarbeiten. Es macht keinen Sinn, dass Österreich Milliarden, zig Milliarden – also da red‘ ma von zehn … zwanzig Milliarden Euro – in ein Luftraumüberwachung stecken können, was nur halb so gut ist. Sondern es braucht hier effiziente Zusammenarbeit mit den europäischen Staaten. Auch die neutrale Schweiz ist dabei. Und die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.
Und ganz klar ist für uns: Die Neutralität wird dabei nicht berührt. Es wird keine fremden Truppen in österreichischem Gebiet geben. Es wird keine fremden Raketen geben. Sondern ganz klar ist: Österreich wird Herr sein darüber, ob wir auf den Knopf drücken und ob Raketen abgeschossen werden oder nicht. Das ist ein Faktum.
Und dieses Geistgespen … dieses Gespenst, was die FPÖ hier irgendwo in den Raum stellt, ist genau das, was sie wollen: Die Europäische Union spalten. Dafür stehen wir nicht bereit. Sondern wir wollen eine Europäische Union, die auch Sicherheitspolitik ernst nimmt.“
LENGLINGER: „Herr Reifenberger, Sie werden kaum einen Verfassungsexperten finden, der sagt, dass Sky Shield mit der Neutralität in Österreich nicht vereinbar ist. Das ist kein Militärbündnis [REIFENBERGER schüttelt den Kopf], es gibt keine Beistandsverpflichtungen. Wieso verwehren Sie sich denn so gegen die Zusammenarbeit, wie sie Herr Stögmüller jetzt auch beschrieben hat?“
REIFENBERGER: „Das stimmt von Haus aus schon mal nicht, was Sie hier sagen. Es gibt sehr wohl Professoren, die das kritisch sehen. Ich zitiere nur meinen eigenen Völkerrechtsprofessor von der Universität Salzburg, Professor Geistlinger, der das sehr kritisch sieht. Aber es gibt auch Professoren in Innsbruck zum Beispiel, die das sehr kritisch sehen.
Und wenn wir uns das anschauen: Es ist … dieses Sky Shield ist kein EU-Projekt! Sky Shield ist ein Projekt, im Endeffekt, von NATO-Staaten. Wenn wir uns diesen Letter of Intent, den Ministerin Tanner hier im Juli letzten Jahres unterschrieben hat, ansehen, dann sehen wir hier – Das sind nur zwei Seiten und ein Deckblatt! – dass auf diesen zwei Seiten und einem Deckblatt 13-mal das Wort NATO vorkommt.
Und schon die Überschrift von diesem - ,Sky Shield‘ ist ja nur eine … eine Abkürzung – ist, dass hier drinnen steht, dass Sky Shield dient der gemeinsamen Luftabwehr des europäischen Arms der NATO-Staaten. Also das ist eindeutig ein NATO-Projekt und wenn man sich hier beteiligt, dann ist das ein Quasi-Beitritt zur NATO durch die Hintertür.
Ich verwehre mich nicht gegen einen gemeinsamen Einkauf! Also ich hab nichts gegen die Luftabwehr per se! Ich bin nur dafür, dass wir das nationalstaatlich, eigenständig betreiben. Wir können gemeinsam einkaufen – wobei ich mich schon frage, wofür ich da ,Sky Shield‘ dafür brauche? Es gibt die Europäische Verteidigungsagentur, die EDA, die genau für so was gegründet wurde, dass man hier günstiger, in einem großen Rahmen zu solchen Rüstungsgütern kommt.
Ich verwehre mich auch nicht gegen eine gemeinsame Ausbildung.
Aber wogegen ich mich verwehre, ist gegen einen gemeinsamen Betrieb eines Raketenabwehrschirms, wo wir dann österreichische Radardaten aus dem System Gold … Goldhaube hier einspeisen und damit ein … ein … ein Verbund werden – Und das ist sehr wohl ein Verteidigungsbündnis! Es ist nämlich nicht Kriterium eines Verteidigungsbündnisses, dass es eine Beistandsverpflichtung geben muss. – und dass wir hier in dieses System ,Sky Shield‘ unsere Radardaten einpflegen und damit automatisch im Konfliktfall eines Mitgliedsstaates zu einem Hochwertziel werden und dann vielleicht unsere Radaranlagen hier ins Visier kommen!
Und wenn ,Sky Shield‘ alternativlos wäre, dann frage ich mich: Sind die anderen Staaten sozusagen da alle ,auf der Nudelsupp’n daherg’schwommen‘? Italien ist nicht dabei! Spanien ist nicht mehr dabei! Polen ist nicht dabei! Und Polen ist, von der geographischen Lage her, vielleicht noch viel ausgesetzter, als es Österreich der Fall ist. Also ,Sky Shield‘ ist [LENGLINGER: „Herr Reifenberger!“] ganz sicher nicht alternativlos.“
LENGLINGER: „Ja, mit Blick auf die Zeit muss ich Sie leider da auch kurz unterbrechen. Bitte auch um kürzere Antworten, wenn das noch möglich ist.
Nur festzuhalten noch: Ich hab‘ nicht gesagt, es gibt ,keine‘ Verfassungsjuristen, die das anders sehen. Die meisten, die befragt werden nun mal – Sie haben ja jetzt auch andere genannt – ich möchte‘ dabei auch auf … [REIFENBERGER: „Dabei auch zu sagen ist, dass …“]
REIFENBERGER: „… die Verfassungsjuristen [LENGLINGER: „Ja.“] die das beurteilt haben, noch gar nicht viel wissen, wie denn ,Sky Shield‘ dann einmal ausgestaltet sein wird. Also alle … [LENGLINGER: „Genau, da gibt’s Fragen noch zu klären. Ja, aber Herr Reifenberger, …“] Wir hatten Professor Bußjäger jetzt im Landesverteidigungsausschuss, letzte Woche, …“
LENGLINGER: „… ich wollt‘ eigentlich auf eine andere Frage kommen, [REIFENBERGER: „… und der sagt auch, mit den ihm vorliegenden Informationen, die noch sehr mangelhaft sind, im Moment.“] weil es gibt noch ein wichtiges Thema. Ja?
Verzeihen Sie, wenn ich da noch mal unterbrochen hab‘, aber ich möcht‘ ein wichtiges Thema noch ansprechen, mit Ihnen beiden. Gern nochmal kurz mit Ihnen, Herr Reifenberger. Es wird möglicherweise darüber zu wenig geredet, aber auch im Risikobild ist das drinnen: Da steht, es wird mit Desinformationskampagnen zur Beeinflussung der politischen Landschaft Österreichs jetzt auch im Jahr der Nationalratswahl auf jeden Fall zu rechnen sein. Sprich: Im Internet werden gezielt Lügen und auch manipulierte Inhalte verbreitet, die unserer Gesellschaft schaden sollen. Was tut man denn da dagegen?“
REIFENBERGER: „Also, das ist jetzt zum Einen mal keine große Überraschung. Das erleben wir schon seit Jahren, dass es von verschiedensten Seiten, von mehreren Seiten ist. Was man dagegen tut, sozusagen, das ist grundsätzlich mal eher Aufgabe des Innenministeriums, als des Verteidigungsministeriums. Aber ich möcht‘ vielmehr auf die … auf die militärischen Ableitungen von diesem Risikobild hinschauen.
Unsere Aufgabe als Wehrsprecher ist es ja, auf das Bundesheer zu schauen. Und hier ist zu sagen, dass wir momentan zwar einen Aufbauplan 2032+ haben, aber – der an sich sehr gut ist! – aber die Übel liegt in der politischen Entscheidung, die dem Aufbauplan zugrunde liegt, dass hier nur auf eine reine Schutzoperation abgestellt wird und die Politik es derzeit nicht einmal versucht, eine Abwehroperation gegen konventionelle Kräfte auch leisten zu wollen.
Würde man das nämlich tun, dann müsste man sagen: 55.000 Mann Mobilmachungsrahmen ist zu wenig!
Und man müsste sagen: Man braucht wieder verpflichtende Truppenübungen, also ein Milizsystem wie’s eigentlich in der Verfassung steht, so wie’s früher mal war, es mit sechs Monate Grundwehrdienst am Stück und zwei Monate Milizübungen oder mehr. So wie das damals leider Gottes Minister Platter abgeschafft hat.“
LENGLINGER: „So, Herr Reifenberger, das ist jetzt schon eine weite Kurve gewesen: Von der Desinformation zur Miliz. Ich probier’s bei Herrn Stögmüller: Was wäre denn da Ihr Ansatz?“
STÖGMÜLLER: „Ja, also ich geb‘ Ihnen absolut recht. Also nicht nur … Medien bauen also … grade Parteimedien bauen irgendwelche Subkulturen auf an Medienlandschaften, sondern auch viel auf TikTok. Wir sehen hier ganz extrem viel Radikalisierung von jugendlichen Menschen, die durch TikTok in Sekundenschnelle durchswipen. Das ist schon ein Problem. Das ist etwas, das wir angreifen müssen. Da müss‘ma etwas tun. Das kann zum Beispiel mit einer Resilienz von jugendlichen Menschen beginnen, dass wir ihnen aufklären – und das hat auch was mit Landesverteidigungen zu tun, im weitesten Sinne; also wenn ich die Umfassende Landesverteidigung wenigstens anspreche, zum Beispiel auch die geistliche Landesverteidigung - dass wir die Menschen darauf schärfen: Was ist echt? Was ist Fake? Was ist richtig? Was ist falsch? Und das beginnt bereits bei den Jugendlichen.
Also das ist der Ansatz, den wir angehen bei diesem Thema. Und ich möcht‘s auch ganz klar benennen: Sie vorher die Frage gehabt haben und die anderen Punkte können wir gerne besprechen. Aber das ist jetzt wirklich ein großer Bogen.“
Einfluss auf Österreich
Die aus westlicher Sicht „regulierte Weltordnung“ existiert nicht mehr – das war bereits im Bergkarabach-Krieg 2020 offensichtlich, als Aserbaidschan mit Waffengewalt Grenzen verschob. Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist dies offensichtlich geworden. Generalmajor Peter Vorhofer, Leiter der Direktion Verteidigungspolitik, geht davon aus, dass diese neue Zeit der militärischen Unordnung „mindestens zwei Dekaden andauern wird“.
Diese Zunahme an Konflikten und die damit einhergehende Instabilität werde auch Einfluss auf Europa und Österreich haben – konkret nennt Vorhofer acht sicherheitspolitische Ereignisse, deren Eintrittswahrscheinlichkeit für dieses Jahr als „hoch“ bis „sehr hoch“ eingestuft wird:
Militärische Konflikte würden in Zukunft an Zahl zunehmen, immer mehr Staaten, vor allem Mittelmächte wie etwa die Türkei, würden ihre politischen Interessen militärisch durchsetzen.
Hybride Kriegsführung
Während im Ukraine-Krieg keine Seite zu Verhandlungen bereit sei, sieht Vorhofer eine Konfrontation Russlands und der EU als realistisch an. „Das bedeutet, dass wir 2024 mit einer hohen Wahrscheinlichkeit hybride Kriegsführung erleben“, sagte Vorhofer. Lehrbücher nennen vier Phasen dieser Einsatzart: Voraussetzungen für Einfluss im Zielland schaffen (etwa durch Desinformation), diesen ausüben, später Destabilisierung und schließlich das Niederringen des Gegners. Auch die aus anderen Staaten eingeflogenen Migranten, die durch Russland und Belarus an europäische Grenzen gebracht wurden, sind Teil hybrider Kriegsführung.
Eines dieser Ziele sei eine Schwächung der Europäischen Integration, also der Versuch, eine Entwicklung der EU zum sicherheits- und außenpolitischen Akteur zu verhindern. Und auch die Migrationsströme sieht Vorhofer in diesem Jahr als Risiko: „Die strukturellen Ursachen für Flucht oder Vertreibung in den Herkunftsstaaten sind immer noch dieselben“, sagte er.
Untermalt wurde sein Argument unter anderem von Afrika-Expertin Antonia Witt, die die Entwicklungen in der Sahelzone, Äthiopien und dem Sudan beleuchtete: Sie ortet in Afrika eine Zunahme politischer Gewalt, eine zunehmende Autokratisierung und immer mehr neue Akteure wie neben China und Russland etwa die Türkei und den Iran.
Ein weiteres Feld, das bereits seit Jahren immer wichtiger ist, ist der Kampf im Cyberraum: „Die Informationstechnologie ist Teil unseres tägliches Lebens und daher ein lohnendes Ziel“, sagte Vorhofer. In puncto Desinformation setzte er nach: „Es war noch nie so billig und noch nie so leicht, synthetische Inhalte zu kreieren und damit demokratische Länder und Strukturen zu unterminieren.“
Neue Sicherheitsstrategie
All diese Krisen machen eine geeignete Strategie notwendig, jedoch ortet das Risikobild auch eine „Eingeschränkte Strategiefähigkeit Österreichs“ als Ereignis mit „sehr hoher Eintrittswahrscheinlichkeit“.
Nachdem verschiedene Risiken zugleich zusammenwirken – wie etwa die Frage der europäischen Energieversorgung im Schatten des Ukraine-Kriegs – sollten Staaten und Gesellschaften die „komplexe militärische Welt sowie die komplexe zivile Welt“ stärker verbinden und eine gemeinsame Strategie entwickeln. Grundsätzlich hätte Österreich ein solches Werkzeug: Die „Umfassende Landesverteidigung“ (ULV), die auch in der Verfassung verankert ist. Diese gliedert sich in die vier Teilbereiche militärisch, zivil, geistig, wirtschaftlich.
Eigentlich im Verantwortungsbereich des Bundeskanzleramts, geriet die ULV in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr auf das Abstellgleis. Als Beispiel dafür, wie sehr militärische und wirtschaftliche Risiken miteinander verbunden sind, nannte Vorhofer die Lieferketten-Probleme infolge der Angriffe der Houthis im Roten Meer.
Derzeit ist eine neue österreichische Sicherheitsstrategie in Arbeit – doch das Papier alleine sei nicht genug, sagte Arnold Kammel, Generalsekretär des Verteidigungsministeriums: „Wir müssen diese Strategie auch entsprechend leben und umsetzen. Dafür müssen wir uns aber die Frage stellen, wo unsere Abhängigkeiten sind und wie wir diese reduzieren können.“