Medienberichte 2022

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theoderich
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

chuckw hat geschrieben: Mo 14. Mär 2022, 00:19 Bis auf Nehammers Interview gibt es bis dato keinerlei Aussagen und Artikel zu diesem s.g. "einseitigen Commitment" der NATO.
Der Standard hat geschrieben: So 13. Mär 2022, 23:03Die Bündnisverpflichtung des Nato-Vertrags, der berühmte Artikel 5, sei unbestritten gültig. Jedem Nato-Land, das angegriffen wird, dem wird von der Nato geholfen. Es wurde aber der Zusatz gebracht, und es steht auch in der Erklärung von Versailles, dass darüber hinaus Artikel 42 (7) gilt für die EU-Mitgliedstaaten. Davon profitieren jene EU-Länder, die nicht Mitglied der Nato sind.
Wenn ich das richtig interpretiere, hat Nehammer lediglich zum Ausdruck gebracht, dass Art. 42 (7) EUV, also die militärische Beistandsverpflichtung, für alle EU-Mitgliedsstaaten Gültigkeit hat. Das ist kein "indirekter Schutz durch die Nato", wie in der Einleitung fälschlicherweise angedeutet.

Informelle Tagung der Staats- und Regierungschefs in Versailles, 10./11. März 2022

https://www.consilium.europa.eu/de/meet ... /03/10-11/

Erklärung von Versailles, 10. und 11. März 2022
Eine stärkere und fähigere EU im Bereich Sicherheit und Verteidigung wird einen positiven Beitrag zur globalen und transatlantischen Sicherheit leisten und bildet eine Ergänzung zur NATO, die das Fundament der kollektiven Verteidigung ihrer Mitglieder bleibt. Die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten findet in Artikel 42 Absatz 7 EUV Ausdruck.
https://www.consilium.europa.eu/de/pres ... 1-03-2022/
muck
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von muck »

Nehammers Aussage scheint mir aber bewusst mehrdeutig formuliert. Hier soll, wie ich meine, der Eindruck erweckt werden ("es wurde aber der Zusatz gebracht"), die NATO-Staaten in der EU hätten ihre Beistandspflicht auf Österreich ausgedehnt.

Was nicht der Fall ist.

Zudem frage ich mich, ob überhaupt die politischen und rechtlichen Strukturen existieren, um eine solche Unterstützung halbwegs zeitnah zu ermöglichen? Nehmen wir beispielshalber an, russische Truppen würden aus der Ukraine in Ungarn einmarschieren und stießen nach Westen vor; nun möchte die NATO aus Deutschland und Tschechien Truppen nach Ungarn verlegen. Wie reagiert Österreich?
cliffhanger
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von cliffhanger »

muck hat geschrieben: Mo 14. Mär 2022, 06:46 .....nun möchte die NATO aus Deutschland und Tschechien Truppen nach Ungarn verlegen. Wie reagiert Österreich?
Die fahren über Slowakei, damit man Österreich nicht in die Verlegenheit bringen müsste eine Durchfahrt zu verbieten.
innsbronx
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von innsbronx »

alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung
Das inkludiert natürlich den militärischen Beistand! Und das ist keine "Kann-Bestimmung", sondern sogar verfassungsrechtlich normiert (Lissabon-Begleitnovelle des B-VG). Das wird in Österreich nur immer bewusst verschleiert, um die Scharade der "Neutralität" gegenüber der großenteils völlig unwissenden Bevölkerung aufrecht erhalten zu können. Käme es jetzt wirklich zu einem Spillover auf EU Gebiet, dann müsste Österreich Offenbarungseid leisten.
theoderich
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

KURIER hat geschrieben:Wie geht es mit der Wehrpflicht weiter?

Die ÖVP will zumindest nicht ausschließen, dass Grundwehrdiener künftig länger üben müssen.


von Christian Böhmer

Wird der Grundwehrdienst möglicherweise wieder verlängert? Mit den sogenannten verpflichtenden Milizübungen wird nun über ein Thema diskutiert, bei dem es im Kern genau darum geht: eine Verlängerung der Wehrpflicht.

Derzeit dauert der Grundwehrdienst sechs Monate, laut einschlägigen Experten die absolute Untergrenze für eine gute militärische Ausbildung.

Bis 2006 mussten Grundwehrdiener zusätzlich zu dieser Ausbildung zwei Monate lang verpflichtend üben, sprich: Sie mussten entweder direkt im Anschluss an den Grundwehrdienst an militärischen Übungen teilnehmen - oder dies im Laufe der nächsten Jahre erledigen. Die Idee dahinter war einfach: Nur wer regelmäßig (an der Waffe) übt, kann im Ernstfall auf sein Wissen zurückgreifen.

Unter Minister Günther Platter wurden die verpflichtenden Milizübungen de facto abgeschafft - sehr zum Missfallen vieler Experten. Die meisten Praktiker - vom Chef des Generalstabs, Robert BRieger, bis hin zum Milizbeauftragten Erwin Hameseder - halten das sogenannte "6 plus 2"-Modell für sinnvoll. Auch Thomas Starlinger - er ist derzeit Adjutant des Bundespräsidenten und war kurz Verteidigungsminister - hält das Aus der Pflichtübungen für "ineffizient", weil die Grundwehrdiener damit sofort nach ihrer Ausbildung abrüsten und ihre Fähigkeiten nicht erproben können.

Die derzeitige Verteidigungsministerin Klaudia Tanner will vorerst immerhin nicht ausschließen, dass es auch bei der Frage der Milizübungen zu Neuerungen kommt.

Angesichts der Ukraine-Krise müssten "alle Optionen auf den Tisch gelegt werden" - das reiche von der geplanten Aufstockung des Budgets und den nötigen Beschaffungen eben bis hin zur Übungstätigkeit der Soldaten und der Stärkung der Miliz. All das müsse angesichts des Krieges in Europa "neu gedacht werden", sagt Tanner.

Abgesehen davon, dass eine Verlängerung des Wehrdienstes bei männlichen Wählern tendenziell unpopulär wäre, hätte die ÖVP-Ressortchefin mit einer Änderung ein Problem beim Koalitionspartner. Bei einer Verlängerung des Grundwehrdienstes spiele er nicht mit, sagte der grüne Wehrsprecher David Stögmüller. Das stehe für die Grünen außer Diskussion, er sehe hier keinen Verhandlungsspielraum.
https://kurier.at/politik/inland/wie-ge ... /401936080


Streitgespräch
„Es geht jetzt um das Ende der Naivität“

https://www.profil.at/oesterreich/neutr ... /401935000
Zuletzt geändert von theoderich am Di 15. Mär 2022, 00:32, insgesamt 1-mal geändert.
innsbronx
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von innsbronx »

cliffhanger hat geschrieben: Mo 14. Mär 2022, 08:28 Die fahren über Slowakei, damit man Österreich nicht in die Verlegenheit bringen müsste eine Durchfahrt zu verbieten.
Das macht keinen Sinn. Mit welcher Begründung sollte Österreich eine Durchfahrt verbieten? Keines der genannten Länder ist an einem Krieg beteiligt.
muck
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von muck »

innsbronx hat geschrieben: Mo 14. Mär 2022, 10:49
alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung
Das inkludiert natürlich den militärischen Beistand! Und das ist keine "Kann-Bestimmung", sondern sogar verfassungsrechtlich normiert (Lissabon-Begleitnovelle des B-VG). Das wird in Österreich nur immer bewusst verschleiert, um die Scharade der "Neutralität" gegenüber der großenteils völlig unwissenden Bevölkerung aufrecht erhalten zu können. Käme es jetzt wirklich zu einem Spillover auf EU Gebiet, dann müsste Österreich Offenbarungseid leisten.
Du hast diesen Teil übersehen:
Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.
Diese Klausel hatte sich Irland ausbedungen, und sie ist auf Österreich anwendbar (militärische aber nicht politische Neutralität).

Außerdem:
[…] alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung […]
Ganz abgesehen davon, dass es genügen würde, sich aufgrund irgendwelcher Umstände (z.B. Staatsfinanzen) machtlos zu erklären, geht aus dem EU-Vertrag gerade keine militärische Beistandspflicht hervor, denn dazu müsste dieser die Mitgliedsstaaten erst einmal verpflichten, Streitkräfte zu unterhalten, um eine solche Pflicht materiell abzusichern. Davon hat man bewusst abgesehen, weil man Island in der EU haben möchte, das keine Streitkräfte unterhält.

Im Endeffekt handelt es sich in beiden Fällen um Kann-Vorschriften. Die ganz überwiegende Meinung in der Staatsrechts-Literatur (wenn auch aus deutscher Sicht) lautet aber, dass nur der Artikel 5 des Nordantlantikvertrags die Mitgliedsstaaten zu Beistand verpflichtet. Dieser stellt den Regierungen zwar auch prinzipiell die Einschätzung frei, wie auf den bewaffneten Angriff zu reagieren ist, doch ist der Entscheidungsspielraum hierbei insofern eingegrenzt, als die zu ergreifenden Schritte geeignet sein müssen, um "die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten".

Und wo es Bomben regnet, genügt dieser Klausel natürlich nur ein "Regenschirm", der vor Bomben schützt.
chris10
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von chris10 »

Vier Milliarden Euro: Wo das Bundesheer aufrüsten wird

Österreichs Wehrbudget soll noch heuer von 2,7 auf mehr als vier Milliarden Euro anwachsen. Was soll die Armee mit dem Geld machen?

Viele Monate vor der Pandemie, in einer Zeit, in der es noch absurd erschien, dass ein europäisches Land militärisch überfallen wird, da wurde im Bundesheer eine Analyse erstellt, an der nur eines harmlos war: ihr Name.

"Unser Heer 2030" hieß der Bericht, in dem der damalige Verteidigungsminister nachgerade Unerhörtes festhielt. Denn Thomas Starlinger schrieb, dass "der Schutz der Bevölkerung schon heute nur sehr eingeschränkt gewährleistet werden kann". Und in der Tonart ging es weiter: Quartiere seien baufällig, die Ausrüstung antiquiert, ganze Waffensysteme wie die alten Saab-Jets seien de facto ein Fall fürs Museum.

Am maroden Zustand der Armee hat sich seit 2019 nichts Fundamentales geändert. Doch seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine ist die Haltung zum Heer eine andere.
....


https://kurier.at/politik/inland/vier-m ... /401936077

Hat hier im Forum jemand Zugang zum ganzen Artikel?
theoderich
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

theoderich
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Re: Medienberichte 2022

Beitrag von theoderich »

Wie sehr uns die EU-Beistandspflicht wirklich schützt
Österreich habe einen Beitritt zum nordatlantischen Verteidigungspakt Nato gar nicht nötig: So lässt sich auf den Punkt bringen, was Karl Nehammer im STANDARD ausgeführt hat. Schon die Mitgliedschaft in der EU, argumentierte der Kanzler, garantiere neutralen und bündnisfreien Staaten Schutz.

Ist das so? Tatsächlich beherbergt der EU-Vertrag im Artikel 42 seit 2009 eine Beistandspflicht, die stark an den berühmten Artikel 5 der Nato erinnert. "Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung", ist in dem als Vertrag von Lissabon in die Geschichte eingegangenen Regelwerk zu lesen. Zwar heißt es im nächsten Satz, dass dies "den besonderen Charakter" der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten "unberührt" lasse. Doch der auf neutrale Länder zugeschnittene Passus, sagt der Europarechtsexperte Franz Leidenmühler, sei einseitig auszulegen – und zwar zugunsten Österreichs.

Was einen Trittbrettfahrer ausmacht

Soll heißen: Die Republik könne sich unter Berufung auf die Neutralität raushalten, sollte ein EU-Mitglied um militärische Hilfe bitten. Umgekehrt seien die anderen Staaten aber zum Beistand verpflichtet, wenn Österreich angegriffen wird. Aus rein rechtlicher Sicht sei der Ruf nach einem Nato-Beitritt deshalb unnötig, sagt Leidenmühler: "Wir sind bereits Mitglied in einem Militärbündnis."

Die einseitige Verpflichtung zum Vorteil Österreichs sei genau "das, was uns zum Trittbrettfahrer macht", ergänzt Ralph Janik, ein weiterer Fachmann in Sachen Völkerrecht. Der EU-Vertrag sei sogar noch konkreter als die Nato-Klausel, die Bündnispartner nur zu jenen Mitteln verpflichtet, die sie "für erforderlich" erachten. Zwar gibt es auch in der europäischen Vereinbarung keine Festlegung darauf, dass der Beistand militärisch erfolgen muss. Doch da die Staaten "alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung" bieten müssen, könnten zumindest größeren europäischen Mächte dieses Mittel nicht verweigern: Ein paar aufmunternde Solidaritätsbekundungen würden da nicht reichen.

Vorrang für Nato-Staaten

Als Einschränkung sieht Janik allerdings jenen Passus, der als Nato-First-Prinzip bekannt ist. Der EU-Vertrag verweist darauf, dass für die Mitglieder der Nato eben dieses Bündnis "das Fundament ihrer kollektiven Verteidigung" sei. Im Fall eines gleichzeitigen Angriffs auf Österreich und – zum Beispiel – die Slowakei, hätte der Beistand für den Nato-Partner wohl Vorrang.

Darin sieht auch Heinz Gärtner den Haken in Nehammers Argumentation. Der Politologe ist alles andere als ein Fan eines Nato-Beitritts Österreichs, schon weil er die entsprechenden Angriffsszenarien für höchst hypothetisch hält. Doch im Zweifel wäre den europäischen Nato-Staaten die Verteidigung der Bündnispartner wichtiger als das Schicksal eines neutralen Staates. Viele andere bleiben dann nicht mehr übrig. 21 von 27 EU-Staaten sind Nato-Mitglied, darunter die Führungsmächte Frankreich und Deutschland.

Kein gemeinsames EU-Kommando

Entscheidender als rechtliche Garantien seien aber ohnehin die realen Möglichkeiten, urteilt Ex-Streitkräftekommandant Günter Höfler. Die europäische Beistandspflicht sei deshalb viel weniger wert, weil die EU im Gegensatz zur seit 1949 eingespielten Nato im Ernstfall daran scheitern werde, ihre Kräfte rasch zusammenzuführen: Er könne jede Menge Schnurren erzählen, wie bei EU-Missionen vieles bereits an untauglichen Kommunikationskanälen gelitten habe, "es gibt ja nicht einmal eine gemeinsame Kommandostruktur".

Ohne den mächtigen Nato-Partner USA an der Seite mangle es den Europäern an Möglichkeiten für Logistik und strategische Aufklärung, sagt Höfler, und in letzter Konsequenz fehle ein entscheidendes Mittel zur Abschreckung: "Der atomare Schutzschirm." (Gerald John, 14.3.2022)
https://www.derstandard.at/story/200013 ... h-schuetzt
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