https://www.consilium.europa.eu/de/meet ... 025/03/06/
Ich frage mich, welchen Mehrwert solche Analysen im ORF haben?
EU will US-Rückzug in Ukraine kompensieren, in: ZIB2 (4. 3. 2025, 22:00, ORF2), Online verfügbar unter: https://on.orf.at/video/14265844/158338 ... mpensieren
Alexandra von Mersi (ORF): "800 Milliarden Euro will sie mobilisieren. Beispielsweise durch Verschieben der Schuldengrenze.
Doch es liegt nicht nur am Geld, sagt der Politologe Franz Eder."
Franz Eder (Politologe): "Europa muss als Einheit aufstehen und gemeinsam Außen- und Sicherheitspolitik betreiben. Und hier eben auch gemeinsam den Willen bezeugen und auch der Welt klar machen, dass man bereit ist, das Vakuum auszufüllen, das die USA hier hinterlassen."
MERSI: "Quertreiber, wie die Slowakei und Ungarn, die nicht die Interessen Europas vertreten, müssen in die Schranken gewiesen werden, so Eder. Mit den Fähigkeiten der EU und dem Durchhaltewillen der Ukraine könnte ein Diktatfrieden verhindert werden."
Politikwissenschaftler zum EU-Aufrüstungsplan, in: ORF III Aktuell (5.3.2025, 09:30 Uhr | ORF III), Online verfügbar unter: https://on.orf.at/video/14265992/158340 ... stungsplan
Raffaela Singer: "Und ich bin dazu jetzt mit dem Politikwissenschaftler der Universität Innsbruck, Franz Eder, verbunden. Schönen guten Tag und danke für Ihre Zeit."
Franz Eder: "Schönen Vormittag, hallo."
SINGER: "Ja, die USA hat jetzt die militärische Hilfe für die Ukraine ausgesetzt. Laut Experten kann die Ukraine damit noch sechs Monate durchhalten. Aber was passiert denn danach?"
EDER: "Klar können die USA es auszusetzen. Es ist natürlich ein ziemlicher Schlag für die Ukraine. Es ist auch militärisch ein Problem, weil - Sie haben's berichtet - die USA über 60 Milliarden bisher investiert haben in die Ukraine und hier vor allem Artillerie, Raketenwerfer und eben Luftabwehr neben der Aufklärung bereitstellen. Es ist ganz klar, dass, wenn Europa diese Lücke, die entstehen würde, wenn die USA diesen Stopp auch wirklich durchziehen, wenn Europa diese Lücke nicht auffüllt, dann wird die Ukraine militärisch nicht mehr in der Lage sein, über diese sechs Monate hinaus wirklich Widerstand zu leisten. Und sie wird sich dann einem Diktatfrieden ergeben müssen - das heißt: Der Aggressor, der Staat der einen völkerrechtswidrigen Krieg begonnen hat, würde eigentlich der Ukraine hier die Friedensbedingungen diktieren. Was für die Ukraine natürlich vollkommen inakzeptabel ist.
Und der zweite Punkt - und den find' ich fast noch bedeutender und dringlicher - ist die symbolische Konsequenz daraus: Es zeigt sich nämlich, dass die USA, die Erfinder und die Bewahrer der liberalen Weltordnung, bereit sind, die Ukraine unter den Bus zu werfen, sozusagen. Sie nicht mehr zu unterstützen. Und damit einer Weltordnung Vorschub leisten, die ganz klar nicht im Interesse Europas und der Europäischen Union sein kann. Deswegen ist es, glaub' ich, richtig und wichtig, dass sich die Europäische Union hiernach zusammentut und nach Lösungen sucht, um gemeinsam stärker zu werden und dem etwas entgegenzusetzen."
SINGER: "Aber was ist das dann für ein Zeichen auch an Vladimir Putin? Der Gustav Gressel, der Militärexperte von der Landesverteidigungsakademie, rechnet damit, dass Putin in den nächsten Jahren ein weiteres europäisches Land angreifen könnte. Halten Sie das für ... auch für realistisch?"
EDER: "Ich hab' diese Einschätzung nicht ganz verstanden, auch die Zahl - wenn man von 80 % Wahrscheinlichkeit spricht - versteh' ich nicht, wie man auf diese Zahl kommt. Ja natürlich, die Ambitionen der Russländischen Föderation sind natürlich Ambitionen den postsowjetischen Raum wieder stärker unter die eigene Kontrolle zu bringen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Russland wirklich militärisch in der Lage ist und auch politisch das wirklich umsetzen könnte, einen europäischen Staat anzugreifen. Weil wenn ich mir anschau', wie gut diese Staaten mittlerweile aufgerüstet haben - vor allem Polen -, dann kann ich mir schwer vorstellen, dass Russland, die's bis heute nicht geschafft haben, die Ukraine einzunehmen, hier einen europäischen Krieg starten wollen.
Das heißt, ich halte das nicht für ganz wahrscheinlich. Ich kann mir natürlich irren, gar keine Frage! Aber was ganz klar ist, ist, dass die USA hier Russland und auch anderen Staaten - China - ganz deutlich zeigen, dass sie für eine andere Art der Weltordnung stehen, nämlich für eine Weltordnung, wo solche großen, starken Mächte - und in den Augen der USA sind nur starke Mächte jene, die militärisch dazu in der Lage sind, Dinge umzusetzen - dass die in ihrem Einflussbereich tun und lassen können, was sie wollen. Und eben die kleineren Staaten, die schwächeren Staaten, in ihrem Umfeld das zu erdulden haben. Das ist ganz im Widerspruch zum Wesen der Europäischen Union und zum eigentlichen Wesen der liberalen Ordnung, die wir bisher kennen, und deswegen ist es ganz wichtig, dass man dem entgegenhält. Weil wir sonst am Ende des Tages in einer Welt leben, die nur noch von großen und einflussreichen Staaten dominiert wird, wo wir nur mehr von Einflusssphären sprechen und wo die Wahrscheinlichkeit für Kriege ganz generell - und da geb' ich dem Herrn Gressel durchaus recht - steigt."
SINGER: "Aber wenn Sie sagen, dass die ... die EU-Staaten quasi aufgerüstet haben, aber gilt das dann auch für die kleinen Staaten, können auch die ,abschreckend' sein? Oder ist davon auszugehen, dass die EU quasi sich so einig ist, dass man dann ein anderes kleines Land quasi gemeinsam verteidigen würde?"
EDER: "Na ja, es gibt im EU-Vertrag, Artikel 42 (7), die klare Haltung, dass es so etwas wie eine Beistandspflicht gibt. Die ist eigentlich, rein rechtlich gesehen, sogar noch stärker ist wie der Artikel 5 im NATO-Vertrag. Also das heißt: Wenn es einen Angriff auf einen Staat der Europäischen Union gibt, ist es die Aufgabe der anderen Staaten, diesem Staat zu Hilfe zu kommen. Und ich glaub' es liegt wirklich im strategischen Interesse der Europäischen Union und seiner Mitgliedsstaaten, diesen Passus auch wirklich ernst zu nehmen. Und ich glaube, er wird auch wirklich ernst genommen.
Die große Herausforderung ist jetzt, bis dorthin - sollte es wirklich zu so einem Ereignis kommen - die ... die europäischen Staaten in ihrer Gesamtheit in ein solidarisches Handeln ... zu bringen und vor allem die ... die Fähigkeiten der einzelnen Staaten, abgestimmt so stark aufzubauen, dass Russland gar nicht in die Versuchung kommt, über solche Dinge nachzudenken. Weil je stärker man ist, desto unwahrscheinlicher wird ein solcher Angriff."
SINGER: "Abschreckend für Russland war natürlich auch immer - oder ist hoffentlich noch immer - der Schutzschirm, der atomare Schutzschirm der USA. Jetzt ist noch unklar ... oder bzw. hat Donald Trump nicht gesagt, dass er den zurückziehen will, aber es gibt offensichtlich eine Befürchtung der Europäer, dass er das tun könnte. Jetzt hat Frankreichs Präsident Macron angeboten, dass Frankreich quasi so einen Schutzschirm, einen atomaren, über die EU-Länder ausbreiten könnte. Kann Frankreich den atomaren Schutzschirm der USA tatsächlich quasi diese Lücke tatsächlich füllen?"
EDER: "Das ist eine große Herausforderung. Also, ich glaub' es ist richtig, anzunehmen oder es ist die richtige Art und Weise zu argumentieren, dass wir von Trump und den USA momentan nichts erwarten können. Und selbst wenn die USA ihren Schutzschirm nicht zurückziehen, werden sie den Preis dafür sehr sehr nach stark nach oben schrauben. Das heißt, es gibt im Interesse der Europäischen Union durchaus Überlegungen, zu sagen: ,Ja, wir müssen uns hier ... auch hier in dieser Frage solidarisch verhalten.'
Frankreich wiederum hat natürlich nicht die Kapazitäten, was die Anzahl an ... an ... Nuklearwaffen und auch die unterschiedlichen Systeme, um Nuklearwaffen überhaupt transportieren zu können - landgestützt, luftgestützt und seegestützt - wie die USA. Aber es ist hier ein gewisses Potential vorhanden. Und was wir bei Frankreich natürlich wissen ist, dass die Aufrechterhaltung dieses nuklearen Drohpotentials sehr, sehr viel Geld kostet. Das heißt, ich gehe sehr stark davon aus, dass Frankreich hier auch eine Chance sieht: Nämlich durch einen europäischen Schutzschild, der von Frankreich zur Verfügung gestellt wird, auch an Mittel zu kommen, die Frankreich dringend benötigt, um diese Fähigkeit aufrecht zu erhalten, zu modernisieren und vielleicht auch auszubauen."
SINGER: "Aber wieso muss das überhaupt noch ausverhandelt werden, wenn Sie sagen, dass es im EU-Vertrag ohnehin diese Klausel gibt, dass, wenn ein EU-Land angegriffen wird, dass dann die anderen Länder einspringen? Wieso muss dann ... es gilt dann nicht sowieso automatisch der Schutzschirm, der atomare für ... von Frankreich?"
EDER: "Nicht zwangsläufig. Ich mein', das sind genau Fragen, über die wir uns bisher nicht unterhalten haben. Auch die Frage, ob dieser Artikel 42 (7) auch wirklich umgesetzt wird! Das ist etwas, das hat man reingeschrieben, wo man vielleicht der Meinung war ,Na ja, so unmittelbar steht die Frage nicht im Raum, dass wir sie wirklich ... umsetzen müssen'. Das war auch ein Punkt für Österreich zum Beispiel - Österreich hat dem ja auch zugestimmt, weil man vielleicht der Meinung war, es wird vielleicht in den nächsten Jahren, Jahrzehnten vielleicht, überhaupt nicht relevant sein. Jetzt ist es aber rele ... relevant geworden. Deswegen brauchen wir hier jetzt genau diese Diskussionen, die wir hier führen. Nämlich: Was tun wir im Notfall? Welche Fähigkeiten haben wir? Welches solidarische Handeln können wir von den EU-Partnern überhaupt erwarten? Was tragen wir selber dazu bei? Also das sind jetzt ganz wichtige Diskussionen, die geführt werden müssen, damit wir auch ein geteiltes Verständnis haben: Was steckt hinter 42 (7)? Und ist Frankreich wirklich bereit, seine Fähigkeiten im Sinne der Europäischen Union auch einzusetzen?"
SINGER: "Viel Diskussionsstoff also morgen für ... für den EU-Gipfel. Ursula Von der Leyen, die EU-Kommisisonspräsidentin, hat ja gestern auch angekündigt, dass man ein 800 Milliarden-Euro-Paket für die nächsten vier Jahre schnüren wird. Dass die EU-Mitgliedsländer auch die Defizitregeln missachten dürfen, um in Verteidigungsausgaben zu investieren. Ihrer Einschätzung nach: Würden, wenn die 800 Milliarden tatsächlich ausgeschöpft werden, würde das reichen, um abschreckend für Russland zu sein?"
EDER: "Hier geht es ja darum, um Kapazitäten überhaupt erst wieder aufzubauen. Das bedeutet ja nicht, dass die Mitgliedsstaaten generell drüber nachdenken müssen, ihre Verteidigungshaushalte generell längerfristig zu erhöhen. Richtung 1.5, 2 oder vielleicht sogar mehr Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Aber diese 800 Milliarden sind natürlich ein gewaltiger finanzieller Polster, um Fähigkeitslücken, die man momentan ganz augenscheinlich hat, wieder aufzubauen.
Aber das viel, viel wichtigere hier in dieser Frage ist einfach dieses Zeichen, das Europäische Union gibt, nämlich willens zu sein und fähig zu sein, dieses Geld wirklich in die Hand zu nehmen. Und es koordiniert - und das ist der nächste wichtige Punkt - koordiniert, gemeinsam zu investieren. Es nützt uns nämlich nichts, wenn wir in der Europäischen Union aufrüsten und diese Aufrüstung nicht in Absprache mit den anderen Staaten passiert. Dass wir hier Doppel- und Dreifachanschaffungen haben. Wo wir unterschiedliche Systeme in... investieren, die ... die sich wiederum nicht ... nicht ergänzen bzw. zusammenarbeiten können. Das heißt: Der wichtige Punkt hier ist nicht nur das Geld, sondern es ist das, einerseits, dieses symbolische Zeichen: ,Wir sind willens und fähig etwas zu tun'. Und es ist andererseits auch die ... die ... die Lösung oder der Weg hier gemeinsam drüber nachzudenken, gemeinsame Beschaffungen zu machen, gemeinsame Erhaltung, gemeinsames Training zu machen. Und generell die europäischen Armeen dahingehend auszurichten, dass sie zusammenarbeiten können. Und dass sie sich ergänzen und nicht Dinge verdoppeln und verdreifachen."
SINGER: "Aber wenn Europa jetzt so viel Geld in die Hand nimmt, mit 800 Milliarden ... Es ist ja bekannt, dass Europa der Ukraine Munition versprochen hat, die man nicht liefern konnte, eben weil nicht so viel hergestellt werden konnte. Muss die Ukraine jetzt befürchten, dass Europa jetzt in erster Linie die eigenen Armeen aufrüsten wird und die Munition und die Waffen nicht in die Ukraine mehr schickt?"
EDER: "Ich glaube hier geht es um ... Das eine schließt das andere ja nicht aus. Europa ... muss für die Aufrüstung natürlich auch die eigene Rüstungsindustrie nach oben fahren. Das hat man ja bereits auch schon getan. Und mittlerweile - das hat sich ja auch schon geändert - ist Europa durchaus in der Lage, sehr, sehr viel mehr, zum Beispiel Artillerie, zu produzieren und diese auch weiterzugeben.
Ich glaub' Europa denkt hier schon so weit, dass man weiß, dass wenn man die Ukraine am Leben erhalten muss, dass man ihr die Möglichkeiten geben muss, weiterzukämpfen wenn sie das möchte. Und diese Investition in die Ukraine auch etwas ist, was Europa direkt betrifft und direkt hilft. Und die Möglichkeit oder die Wahrscheinlichkeit, dass Russland sich von diesem Krieg erholen kann und zu einer noch größeren Gefahr für Europa wird, senkt. Das heißt, ich glaube nicht, dass man hergehen wird und investiert in Europa und die Ukraine einfach fallen lässt. Diese Dinge gehören zusammen."
SINGER: "Kann sich jetzt ein neutrales Land wie Österreich, wo man noch nicht einmal annähernd 2 % des BIP in Verteidigungsausgaben investiert ... kann sich da ein Land wie Österreich die Neutralität überhaupt noch leisten?"
EDER: "Na, im Regierungsprogramm steht ganz klar drin, dass man bis 2030, 32, diese 2 % des BIPs auch wirklich erreichen will. Es ist eine ganz klare Aussage, die man hier tätigt. Und in diese Richtung möchte man auch gehen.
Aber wir müssen generell über die Frage nachdenken: Welchen Mehrwert hat denn die Neutralität für Europa in einem solidarischen Kontext noch? Was bedeutet der Artikel 42 (7) für Europa? Sind wir bereit, unsere europäischen Partner im Kriegsfall auch militärisch zu unterstützen oder tun wir das nicht, erwarten uns im Gegenzug aber Unterstützung?
Das sind Diskussionen, wo ich weder in die eine, noch die andere Richtung tendieren würde. Aber wir müssen zumindest drüber reden, wir müssen die Bevölkerung sensibilisieren dafür. Und wir müssen abwägen: Welchen Mehrwert hat ... hat die Neutralität? Wenn sie einen Mehrwert hat - welchen genau? Wie gestalten wir sie aus? Was bedeutet das für die Solidarität?
Und wenn wir draufkommen: Nein, die Neutralität hilft uns in diesem neuen Kontext eben nicht mehr. Dann müssen wir drüber nachdenken: Was ist die Alternative dazu?
Wichtig ist mir nur, dass man drüber redet, dass man diskutiert, dass es Teil des öffentlichen Diskurses wird. Und dass wir sozusagen ein Gefühl dafür bekommen, auch in der Bevölkerung: Welchen Mehrwert hat denn die Neutralität? Wir wissen aus unserer Umfrage, die wir jedes Jahr machen, dass die österreichische Bevölkerung ganz starke Identität ... dass die Neutralität eine ganz starke identitätsstiftende Funktion für Österreich hat. Über 80 % fühlen sich ganz stark der Neutralität verpflichtet. Das heißt, hier wird es sehr, sehr schwer werden, davon wegzugehen. Und gleichzeitig glauben aber nur rund 30 % der Österreicher und Österreicherinnen, dass die un ... dass die Neutralität uns schützt! Der Großteil ist der Meinung: ,Nein, sie schützt uns überhaupt nicht!' Und genau in diesem Spannungsfeld müssen wir diskutieren. Warum sollten wir ein Konzept verfolgen, das uns nicht schützt. Aber warum sollten wir ein Konzept ablegen, das so vielen Identität gibt? Das sind schwierige Fragen. Aber über die müss' ma diskutieren. Und sie nicht anzugehen, wird einfach ... bedeutet einfach ein Problem, das auf uns zukommt, ob wir wollen oder nicht, ja?
Dieses Problem einfach unbearbeitet bleibt. Und wir müssen es bearbeiten und wir müssen es jetzt tun."
SINGER: "Viel Gesprächsstoff auch innerhalb von Österreich. Vielen Dank für diese Analyse, Franz Eder."
EDER: "Danke."
Eine Einordnung durch den Leiter der Beschaffungs-Prüfkommission im BMLV:
https://de.linkedin.com/posts/bernhard- ... 27905-8bQ-