Wien/Brüssel. Im alten Jahr noch, kurz vor Weihnachten, haben Diplomaten aus Österreich und drei weiteren neutralen Staaten ein zweiseitiges Schreiben verschickt. Der Inhalt war ein Angebot für eine engere Beziehung, der Adressat eine Organisation mit Sitz in der Avenue Leopold III. in Brüssel: die Nato. Österreich, Irland, Malta, die Schweiz haben sich an das Verteidigungsbündnis gewandt, da sie ihre Partnerschaft mit der Allianz „erweitern“ wollen. Und sie unterbreiten in dem Non-Paper auch ganz konkrete Vorschläge, wie sich die Zusammenarbeit vorantreiben ließe – von zusätzlichen gemeinsamen Übungen bis hin zum „privilegierten Zugang zu Dokumenten und Informationen“. Das Schreiben liegt der „Presse“ vor. Die Nato und das Außenministerium in Wien bestätigen, dass die vier Neutralen seit einiger Zeit verstärkt gemeinsam als WEP4 (westeuropäische Partner) den Austausch mit dem Bündnis suchen.
„Engste Wertepartner“
Die vier Neutralen bezeichnen sich als „die engsten Nato-Partner, wenn es um gemeinsame Werte geht“, und sie streichen „die wachsende Bedeutung“ der Partnerschaft mit dem Bündnis in diesen Zeiten hervor. „Russlands illegaler Angriffskrieg gegen die Ukraine betrifft uns alle“, schreiben die für die Nato zuständigen Botschafter an einer Stelle. Die Lage auf dem Kontinent habe sich substanziell verschlechtert, sie sei volatil. Auch deshalb wollen sie jetzt die Kooperation stärken.
Natürlich, informell gibt es noch weitere Gründe: Der Klub der Neutralen in Europa schrumpft. Durch die Nato-Norderweiterung um Finnland und Schweden haben die neutralen Europäer dramatisch an Stärke verloren. Auch deshalb wollen sie sich jetzt öfter als WEP4 zusammentun, um zumindest ein bisschen Gewicht auf die Waage zu bringen. Das Format gab es schon davor, die WEP5, noch mit Finnland und Schweden und ohne den Neuzugang Malta. Aber es spielte nur eine untergeordnete Rolle. Das soll sich ändern.
Die neutralen vier listen einige Bereiche auf, in denen sie die Kooperation mit der Nato verbessern wollen. Sie wünschen sich etwa „Möglichkeiten, um an zusätzlichen Übungen teilzunehmen“. Das soll helfen, die „Interoperabilität“ zu erhöhen. Dabei geht es, etwas vereinfacht, darum, dass militärische Systeme aufeinander abgestimmt sind. Die Nato setzt hier die Standards. Außerdem wollen sie auch explizit an hochrangigen Übungen „wie CMX“ teilnehmen, einer Krisenmanagementübung, in die auch schon Minister eingebunden waren und bei der (ohne echte Waffen) die Reaktion auf einen Angriff simuliert wurde.
Interesse an Aufklärungsdaten
Die „vier Neutralen“ wollen außerdem „privilegierten Zugang zu Dokumenten und Informationen“ der Nato, und zwar „auf Basis gegenseitigen Vertrauens“ und bestehender Sicherheitsabkommen. Dem Vernehmen nach geht es den WEP4 dabei konkret auch um den verstärkten Austausch von Aufklärungsdaten. Da sei noch Luft nach oben, heißt es.
Ganz grundsätzlich wollen die WEP4 öfter mit am Tisch sitzen. Sie schlagen einen „regelmäßigen Austausch“ mit den Nato-Alliierten vor, auch auf Ebene des wichtigsten Gremiums, des Nordatlantikrats, und sie wollen regelmäßige „Briefings“, wenn es etwa um „neue disruptive Technologien“ geht, um den Bereich „Wirtschaft und Sicherheit“, um die regelbasierte Weltordnung oder um andere Bereiche von gemeinsamem Interesse.
Ein solcher ist auch der Schutz kritischer Infrastruktur: Irland sucht die Nähe zur Nato auch deshalb, weil vor seiner Küste wichtige Datenkabel verlaufen, die eine Lebensader des Welthandels darstellen – und die in Zeiten hybrider Bedrohungen ins Visier der Gegner des Westens rücken könnten. Ganz grundsätzlich fürchten die WEP4, als Neutrale abgehängt zu werden, was die Entwicklung technologischer Innovationen und Mittel zur Abwehr hybrider Bedrohungen anbelangt.
Wobei man es positiver formuliert: Die WEP4 hätten wie die Nato ein Interesse, „technologisch an der Spitze“ zu bleiben, und deshalb sollte man kooperieren. Die WEP4 wollen an Organisationen und Formaten wie dem Innovation Funds, dem Cyber Pledge und auch Diana andocken, einer Technologieinitiative der Nato, die Firmen und Militärs zusammenbringt. Hintergrund: Private „Dual Use“-Geräte spielen eine immer größere Rolle. Elon Musks Satellitennetzwerk ist nur ein Beispiel.
Die Nato bestätigt gegenüber der „Presse“, dass sich die WEP4 um eine „vertiefte Kooperation“ bemühen, dass die Grundlage das Schreiben aus dem Dezember ist und dass die Initiative auch schon aufgegriffen wurde: Man habe mehrere hochrangige Treffen angesetzt und werde den „politischen Dialog“ mit der Gruppe weiter vertiefen. Mehr Details gibt es nicht. Schriftlich hat die Nato auf das Non-Paper nicht geantwortet. Manche hoffen, dass im Herbst mehr weitergeht.
„Nato-Beitritt kein Thema“
Die Kooperation der WEP4 wird im Außenministerium gegenüber der „Presse“ mit einem raueren „geopolitischen Wind“ erklärt. Die Neutralität allein schaffe keine Sicherheit. Und eine glaubwürdige Neutralitätspolitik bedeute, aktiv und solidarisch an der Lösung gemeinsamer Herausforderungen mitzuarbeiten. Deshalb wolle man zusätzlich zur EU-Ebene künftig auch mit Irland, Malta und der Schweiz das WEP4-Format verstärkt nutzen, „um auf unsere Beiträge und die Möglichkeiten für die europäische Sicherheit aufmerksam zu machen“. Nachsatz: „Ein Nato-Beitritt ist und bleibt aber selbstverständlich kein Thema.“
Aus dem Nichts kommt die Initiative übrigens nicht. Die vier Staaten sind schon lang Mitglieder der Nato-Partnerschaft für den Frieden (PFP). Kooperiert wird viel. Österreich zählt etwa zu den größeren Truppenstellern der Nato-Mission KFOR im Kosovo. Aber zuletzt standen bei der Nato eher die Partner in Übersee im Fokus. Vor dem Hintergrund der US-Rivalität mit China arbeitete das Bündnis an Partnerschaften mit Australien, Japan und anderen. Die Freunde aus der Indopazifik-Region waren auch 2023 beim Nato-Gipfel in Vilnius eingeladen, Österreich nicht.