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"Kriegsfähig"? Wie es um die Verteidigung der EU steht
https://kurier.at/politik/ausland/krieg ... /402761029Österreich müsse „kriegsfähig“ werden, stellte Generalmajor Günter Hofbauer am Montag auf der Sicherheitspolitischen Jahresvorschau des Verteidigungsministeriums fest. Eine Forderung, die von vielen Seiten auch an die Europäische Union gestellt wird. Der KURIER sprach mit General Robert Brieger, dem Vorsitzenden des EU-Militärausschusses und damit höchstem General in der Europäischen Union. Zur Kriegstauglichkeit einzelner EU-Staaten will sich Brieger nicht äußern, es sei jedoch wichtig, „die europäischen Streitkräfte tatsächlich wieder personell und materiell so zu verstärken, dass sie in der Lage sind, robuste Operationen zu bewältigen“.
Rasche Reaktionskraft
Im kommenden Jahr soll etwa die Rapid Deployment Capacity (RDC), eine schnelle Eingreiftruppe, gebildet werden: 5.000 Soldaten sollen im Radius von 6.000 Kilometern um Europa rasch in den Einsatz gehen können. „Etwa, wenn es um eine Evakuierung von Personen aus einer umkämpften Stadt geht, einen Flughafen freizukämpfen oder die Zufuhr humanitärer Güter zu erzwingen“, sagt Brieger. In diesem Radius läge etwa die sudanesische Hauptstadt Khartoum. Eine Evakuierung von EU-Bürgern – hätte es die RDC bereits vergangenen Frühling gegeben – wäre laut Brieger ein potenzieller Einsatz gewesen.
Im Unterschied zu den bisherigen Battle Groups wird die RDC nicht nur mehr Soldaten umfassen, sondern auch besser unterstützt werden: „Etwa von See- und Luftstreitkräften bis hin zu Weltraumkapazitäten, sodass sie ein umfassendes Spektrum an Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung haben“.
Innerhalb von fünf Tagen ab Alarmierung soll die RDC einsatzfähig sein, allerdings müssen zuvor die 27 EU-Mitgliedsstaaten zugestimmt haben.
Strategischer Kompass
Die RDC ist – wie General Brieger sagt – ein Leuchtturmprojekt des „Strategischen Kompasses“ der EU. Vor knapp zwei Jahren aus der Taufe gehoben, soll er gemeinsame strategische Ziele der EU und ihrer Mitgliedstaaten definieren: „Die wesentlichen Handlungsstränge sind Krisenmanagement, Resilienz, Investition und Partnerschaft. All das beruht auf einem einstimmigen Ratsbeschluss, der zum Ziel hat, die EU zu einem glaubwürdigen Sicherheitsakteur zu machen“, sagt Brieger.
Als große Herausforderung sieht der General das Thema gemeinsame Investitionen: „Zwischen 2014 und 2022 sind die europäischen Verteidigungsausgaben um 40 Prozent gestiegen, seither um weitere zwölf. Aber nur 18 Prozent sind gemeinsame Projekte von Mitgliedsstaaten. Die Zielsetzung ist es, diesen Prozentsatz auf mindestens 35 Prozent zu erhöhen, mehr gemeinsame Projekte aufzusetzen, weniger im Ausland anzuschaffen und auch die Typenvielfalt deutlich zu reduzieren.“
Polen kauft in Südkorea
So kauft etwa Polen große Mengen an südkoreanischen Panzern und Haubitzen, da diese laut ehemaliger Regierung am raschsten verfügbar waren. „Es wird eben aus Gründen der Verfügbarkeit und Preisgestaltung viel im Ausland beschafft. In diesem Bereich wollen wir die europäische verteidigungsindustrielle Basis verbreitern und verstärken“, sagt Brieger.
So wurden im Rahmen des Europäischen Verteidigungsfonds Anreize geschafft, gemeinsame Beschaffungsprojekte zu ermöglichen. „Beispielsweise durch das Gesetz zur Unterstützung der Munitionsproduktion. In erster Linie zu Unterstützung der Ukraine, aber auch, um die eigenen Munitionsdepots wieder aufzufüllen“, sagt Brieger.
Doch warum schaffte es die EU nicht, die zugesagte Million Artilleriegeschosse binnen eines Jahres zu produzieren? „Es hat sich natürlich in der Zeit nach dem Kalten Krieg eine Reduktion der Kapazität und der Produktion ergeben. Das hat sich mit dem Ukrainekrieg schlagartig geändert, und es ist auch gelungen, die Produktionskapazitäten der europäischen Rüstungsindustrie zu steigern. Allerdings nicht in einem so rasanten Umfang, als dass diese Million bis April zu erreichen wäre.“
Keine Kriegswirtschaft
Dabei ginge es nicht nur um die 155-Millimeter-Granaten, sondern auch um Munition für andere Waffensysteme, Flugkörper oder die Drohnenabwehr. „Die Problematik wurde erkannt, die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft ist natürlich nicht in vollem Maße erfolgt“, sagt Brieger. Eine verstärkte Zusammenarbeit stünde aber im „ureigensten Sicherheitsinteresse.“
Und somit würden die Bemühungen, die Kapazitäten zu steigern, fortgesetzt. Auch für die Unterstützung der Ukraine. „Wir haben bisher 40.000 ukrainische Soldaten auf europäischem Boden ausgebildet – in diesem Jahr dürfte die Zahl auf 60.000 erhöht werden. Das ist ein Beitrag, den niemand sonst leisten kann.“
Nicht nur materiell, auch personell gibt es große Herausforderungen in europäischen Streitkräften – ein Problem, das auch Brieger beschäftigt: „Es wird notwendig sein, die Attraktivität des Militärdienstes zu erhöhen – etwa durch entsprechend attraktive Arbeitsbedingungen und gerechte Bezahlung. Auch müssen wir uns als Teil der Gesellschaft präsentieren und so auf lange Sicht das Bewusstsein fördern, dass dieser Berufszweig wichtig ist und einen Schutzschirm über die verschiedenen Teile der Gesellschaft spannt.“