"Spielwarenfabrik" - Panzerschmiede St. Valentin

Österreich von 1938 bis 1945 - der Anschluss, die deutsche Wehrmacht, ...
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Doppeladler
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"Spielwarenfabrik" - Panzerschmiede St. Valentin

Beitrag von Doppeladler »

Aus der Serie „100 JAHRE NÖ“ - einen dummen Titel folgt eine interessante Story:

Kriegspanzer aus der „Spielwarenfabrik“
Artikel mit vielen Bildern: https://noe.orf.at/magazin/stories/3145994/

Bild
(c) Stadtgemeinde St. Valentin/Johann Lischka
Kriegspanzer aus der „Spielwarenfabrik“

Unter dem Decknamen „Spielwarenfabrik“ ist in St. Valentin ab 1940 eine der wichtigsten Rüstungsfabriken des Dritten Reiches aufgebaut worden. Beinahe 5.000 Panzer wurden dort produziert. Nach dem Krieg geriet das „Nibelungenwerk“ in Vergessenheit.

Bereits vor dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland war die deutsche Wehrmacht in einem Dilemma. Auf der einen Seite wurden Vorkehrungen für den Zweiten Weltkrieg getroffen, andererseits war die Panzerproduktion dafür viel zu niedrig bzw. fehlten in den deutschen Fabriken die Kapazitäten, erklärt Michael Winninger, der sich in einem Buch dem Nibelungenwerk widmete und selbst aus St. Valentin (Bezirk Amstetten) stammt.

Umso schneller wurden nach dem „Anschluss“ im März 1938 Pläne vorangetrieben, ein riesiges modernes Panzermontagewerk zu errichten. Das Unternehmen Steyr-Daimler-Puch aus Steyr – in unmittelbarer Nähe zu St. Valentin – war damals der größte Fahrzeughersteller und metallverarbeitende Betrieb im Land. Doch die Produktion in der Stadt war aus Gründen der Geheimhaltung nicht möglich, die zweite Wahl in Letten scheiterte am fehlenden Bahnanschluss.

Die vielen Vorteile von St. Valentin
Bei einer großen Besprechung im Jänner 1939 tauchte schließlich St. Valentin als Alternative auf. Die Stadt war laut Winninger aus mehreren Gründen ein idealer Standort. Die Nähe zu Steyr und Linz mit den Hermann-Göring-Werken, der Bahnanschluss, die Energiegewinnung durch die Wasserkraft von Donau und Enns sowie die vorhandenen Arbeitskräfte, die aus der Landwirtschaft kommen sollten. „Und mitten im Wald war es gut getarnt“, ergänzt Winninger.

Mit dem Ausbau der Infrastruktur begannen schon bald die Vorbereitungen für das Nibelungenwerk. 1939 entstand zuerst die „Reichseigene Siedlung“ für die Beamten und Ingenieure des Werkes. Für die Arbeiter wurde das Lager mit Gefolgschaftshaus, Werkslazarett und einer Volksschule angelegt. Das Produktionsziel wurde mit 150 Panzern monatlich festgelegt. Als Tarnname für das Projekt wurde der Name „Spielwarenfabrik“ ausgewählt.

Unterirdisches Versorgungsystem
Die Bauarbeiten begannen im Frühjahr bzw. Sommer 1939. Ab September 1940 wurden erste Reparaturen von Panzern übernommen, danach wurde das Werk laufend erweitert. Das Nibelungenwerk umfasste neun Fertigungshallen, eine Werkssiedlung sowie mehrere Lager für Arbeiter, Fremdarbeiter, Kriegsgefangene und ab 1944 ein Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen. Die Hallen waren zum Schutz vor Bombenangriffen mit einem unterirdischen Versorgungsystem für Strom, Wasser, Heizung und Pressluft ausgestattet.

Der tatsächliche Produktionsbeginn erfolgte im Februar 1941. Dabei wurden zunächst Ersatzteile für Panzer produziert. Der erste komplette Panzer wurde am 8. Oktober 1941 montiert. Daraufhin läuft die Produktion groß an. Im Werk arbeitete eine kleine Gefolgschaft deutscher Fachkräfte, „aber man war auf ausländische Zwangsarbeiter angewiesen, ohne sie, hätte man die Produktion nicht aufrechterhalten können“, betont Winninger.

Bis zu 8.500 Personen arbeiteten im Nibelungenwerk, teilweise unter unmenschlichen Bedingungen, wie der Autor erzählt. Viele von ihnen waren Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter oder KZ-Häftlinge des Außenlagers Mauthausen. 1.500 Personen wurden dort gefangen gehalten. Somit ist die Geschichte dieses Werkes auch eng mit den Verbrechen des Nationalsozialismus verbunden.

Panzer prägen Stadtbild
Das Nibelungenwerk war als Endfertigungsbetrieb ausgelegt, in dem Panzer „zusammengesetzt“ wurden. Die Maschinenausstattung und die Fertigungsmethoden entsprachen den neuesten Standards der damaligen Zeit. Das Werk war jedoch nicht nur eine Panzerfabrik, sondern auch im Bereich der Entwicklung engagiert. Deshalb wurde eine Teststrecke, die sogenannte „Einfahrbahn“, für laufende Tests und Überprüfungen von Serienprodukten und Prototypen angelegt.

Diese lag neben dem Werk im Wald. Doch mit den steigenden Produktionszahlen reichte der Platz nicht mehr aus und so fuhren die Panzer schließlich quer durch den Ort. Oftmals sei der Kilometerzähler von den „Einfahrern“ künstlich hochgedreht worden. „Es war sonst gar nicht möglich, die vorgeschriebenen Kilometer zusammenbekommen“, erklärt Winninger, laut dem die Abnahme der Panzer zunächst noch äußerst penibel gewesen sei.

Die fertigen Panzer wurden nach absolvierter Testfahrt im Gelände per Bahntransport zum Einschießen abtransportiert. Im weiteren Verlauf des Krieges wurden auch Panzer per Eisenbahn ins Werk gebracht, um dort repariert, instandgesetzt und so schnell wie möglich wieder an der Front eingesetzt zu werden.

Panzerkampfwagen IV
Die Geschichte des Nibelungenwerkes ist eng mit dem Panzerkampfwagen IV, dem Standardpanzer der Deutschen Wehrmacht, verbunden. Mehr als die Hälfte (4.350 Stück) der gesamten Panzer IV kamen aus St. Valentin. „Der war erprobt, zuverlässig und ließ sich schnell herstellen“, schildert der Experte. Die größten Stückzahlen wurden im Jahr 1944 erreicht, als durchschnittlich 234 Stück pro Monat produziert wurden.

Doch im Krieg gegen die Sowjetunion merkten die Deutschen, dass man dem russischen Panzer unterlegen war. Daraufhin wurde der „Porsche-Tiger“ entwickelt, der Adolf Hitler bei einem Werksbesuch am 20. Juni 1942 persönlich vorgestellt wurde. Hitler gab den Befehl, monatlich 200 Panzer dieses Typs zu fertigen. Das Ergebnis der Geländetauglichkeitsprüfung war jedoch ernüchternd. In allen Fahr- und Kletterversuchen war der Panzer IV deutlich überlegen.

Deshalb wurde das Projekt eingestellt. Ab Dezember 1942 begannen die ersten Vorarbeiten für den Umbau des „Porsche-Tigers“ zum Sturmgeschütz „Ferdinand“. Zugleich wollte man auch den „Panther“ – der beste Panzerkampfwagen der Deutschen Wehrmacht – produzieren. „Das ging aber nicht, weil man dafür die komplette Produktion zwei, drei Monate hätte runterfahren müssen, während des Krieges unmöglich.“

KZ-Häftlinge suchen Blindgänger
Die Arbeiter standen jedenfalls durchgehend unter Druck, wobei sich deren Arbeitsbedingungen je nach Herkunft stark unterschieden. Einheimische und französische Zwangsarbeiter wurden „verhältnismäßig gut behandelt", doch „sowjetische Zwangsarbeiter und die Menschen im KZ-Außenlager wurden ganz furchtbar behandelt“. Nach Bombenangriffen mussten sie etwa aufräumen und Blindgänger finden, schildert Winninger.

Doch auch für Einheimische konnte es problematisch werden. Die Großmutter von Michael Winninger steckte einmal einem KZ-Häftling ein Brot zu, daraufhin wurde sie angezeigt und ermahnt: „Wenn sie das nochmal macht, kommt sie selbst ins KZ.“ Im Ort wusste man über die Produktion im Werk, schließlich waren auch einige Bewohner dort beschäftigt, allerdings durfte man darüber nicht öffentlich sprechen.

Probleme in der Produktion
Ab dem Jahr 1944 kamen neue Probleme aufgrund der Kriegslage auf das Nibelungenwerk zu. Zunehmend traten Schwierigkeiten mit der Versorgung von Treibstoff auf, was sich auch hemmend auf die Produktion auswirkte. Darüberhinaus beeinträchtigten die Bombenangriffe der Alliierten auf west- und norddeutsche Industriezentren ab dem ersten Halbjahr 1944 indirekt die Fertigung. Immer öfter kam es zu massiven Versorgungsengpässen bei Wälzlagern und Getrieben. Trotzdem wurde im dritten Quartal der absolute Höhepunkt der Panzerproduktion erreicht.

Am 17. Oktober 1944 gab es einen folgenschweren Bombenangriff auf das Nibelungenwerk, der massive Auswirkungen auf die Produktion hatte. Deshalb musste in Verlagerungsbetrieben und in den Stollen in der Nähe des Werkes produziert werden, wodurch die mögliche Fertigungskapazitäten nicht erreichbar waren. „Aber nur drei Monate später wurde wieder uneingeschränkt produziert“, fügt Winninger hinzu.

Die Luftangriffe durch die Alliierten blieben jedoch eine ständige Bedrohung, vor allem weil die Kriegsgegner Rüstungsbetriebe nun stärker ins Visier nahmen. Durch erbeutete Kampfpanzer in der Normandie erkannten die Amerikaner nämlich, dass die Deutschen nach wie vor voll produzierten, allerdings waren US-Panzer den Deutschen „deutlich unterlegen“.

Verheerender Luftangriff
Am 23. März 1945 folgte schließlich ein verheerender Luftangriff, „bei dem die Werksanlagen nahezu komplett zerstört wurden“. Dennoch konnte das Nibelungenwerk die Produktion bis zum Kriegsende aufrechterhalten. Selbst im April 1945 wurden noch 65 „Panther“ und „Tiger“ der Heeresgruppe Ostmark dort repariert. Am 22. April 1945 wurde die Panzerproduktion im Nibelungenwerk schließlich eingestellt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges befand sich St. Valentin in der sowjetischen Besatzungszone und das Werk wurde zu einem USIA-Betrieb. Zunächst wurden für die große Siegesparade in Moskau noch ein paar Panzerfahrzeuge fertiggestellt, doch nur wenig später sämtliche funktionstüchtigen Maschinen bzw. Hallen abtransportiert.

Nach dem Ende der Besatzungszeit 1955 übernahm die Republik Österreich das Werk, bevor es 1957 wieder ein Teil von Steyr-Daimler-Puch wurde. Seit dem Jahr 1974 werden in den Hallen des ehemaligen Panzerwerkes Traktoren gefertigt. Zunächst von Steyr-Daimler-Puch und seit den 1990er-Jahren vom Landmaschinenhersteller Case bzw. dessen Nachfolger CNH-Global. Ebenfalls seit den 1990er-Jahren ist das ehemalige Nibelungenwerk im Besitz des kanadischen MAGNA-Konzerns.

Sichtbare Spuren
Obwohl das Panzerwerk mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges friedlichen Aufgaben dient, erinnern noch viele Spuren an diese Zeit. Neben den Produktionshallen stehen noch die Verwaltungsgebäude im Eingangsbereich, die nahezu unverändert sind sowie die ehemalige Werkssiedlung. Zudem befinden sich die Fundamente der Baracken der Kriegsgefangenen, Fremdarbeiter und der Außenstelle des KZ-Mauthausen auf bzw. neben dem Werksgelände.

Bei der Bahnhaltestelle Herzograd steht ein Beobachtungsbunker, der während der Luftangriffe besetzt war und von dem aus die Flucht von Arbeitern erkannt werden sollte. In diesem Bereich befindet sich auch ein Gedenkstein, der an die Insassen des ehemaligen KZ-Nebenlagers und an die teilweise unmenschlichen Bedingungen in der „Spielwarenfabrik“ erinnert.

Das Panzerwerk in St. Valentin war einer der modernsten Rüstungsbetriebe des Dritten Reiches und zeugt von dessen Leistungsfähigkeit – das zeigt sich an den hohen Produktionszahlen sowie den vielen Prestigeprojekte wie die schweren Jagdpanzer. „Aber man darf nie vergessen, wofür es gedient hat, nämlich für einen Angriffs- und Vernichtungskrieg“, betont Winninger.

Stefan Schwarzwald-Sailer, noe.ORF.at
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