Schweiz: Programm "Air2030"

Wehrtechnik & Rüstung, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
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Doppeladler
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Re: Schweiz: Programm "Air2030"

Beitrag von Doppeladler »

opticartini hat geschrieben: Di 6. Jul 2021, 00:05Wer Englisch kann - ein F-35 Pilot erklärt hier seine Sicht: https://www.youtube.com/...
Danke für Dein Feedback!
Das Video ist gut - die erwähnten Punkte sind richtig - das sieht man auch ohne F-35 Pilot zu sein - aber es fehlen ein paar wichtige: Vor allem das Schüren falscher Erwartungen (1 Flugzeug ersetzt alle, Zeitpläne, Kosten); schlechtes Projektmanagement; schlechte Kommunikation bei Hersteller und USAF- man kann es z.B. nicht auf Social Media schieben ohne die unzeitgemäße und unprofessionelle Kommunikationsstrategie zu bemängeln.

Zumindest bei den Schweizer Experten konnte die F-35 ihre Vorgeschichte erfolgreich abschütteln. Geht die Beschaffung durch ist das aus meiner Sicht ein äußerst wichtiges Signal für künftige Ausschreibungen.
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muck
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Re: Schweiz: Programm "Air2030"

Beitrag von muck »

Man korrigiere mich, wenn ich etwas Falsches sage, aber die Tatsache, dass alle neuen System Kinderkrankheiten haben, stand nie zur Debatte und wurde auch nicht wirklich gegen die F-35A ins Feld geführt.

Es wird interessant sein, welche Details des Evaluierungsprozesses noch ans Tageslicht dringen, denn manche Aspekte des schweizerischen Urteils sind wirklich nur durch national-spezifische Kriterien zu verstehen.

So ist das Ergebnis, dass die F-35A den anderen Mustern im Luftkampf überlegen sei, für mich nach wie vor nicht nachvollziehbar, und auch Opticartinis Einwände haben meine Zweifel daran nicht ausräumen können.

Ich könnte vielleicht verstehen, wenn ein großes Land mit einem großen Luftraum zu diesem Ergebnis käme. Aber die Schweiz ist ein kleines Land, und die F-35A ist den anderen Mustern im WVR-Regime unterlegen.

Soll heißen: Aus dem Stegreif könnte ich mir nur ein Szenario vorstellen, in dem die F-35A über der Schweiz ihre Stärken (BVR) ausspielen kann, und das wäre eine Lage á la Zweiter Weltkrieg, mit ständiger Präsenz in der Luft.

(Wäre die Schweizer Luftwaffe dazu quantitativ überhaupt in der Lage?)

Beispiel: Die Schweiz ist 220 km breit. Ein modernes Supercruise-fähiges Kampfflugzeug – sagen wir, eine britische Typhoon – schafft 1400 km/h in Bodennähe. 1400 km in 60 min korrespondiert mit 220 km in 9,5 min, oder irre ich mich?

Selbst wenn wir davon ausgehen, dass die Schweizer Luftwaffe schneller aufsteigt, als sie es sich selbst auferlegt hat (<15 min), hat der Eindringling den Schweizer Luftraum also schon so gut wie verlassen.

(Was die Fähigkeit anlangt zu dem Eindringling aufzuschließen, wären die Rafale oder die Typhoon der F-35A überlegen.)

Ein unerwarteter Angreifer hingegen, der die Schweiz nicht nur unerlaubt überqueren will, hätte in 10 min längst die WVR-Bubble der Alarmotte erreicht. Hier dürfte das Patriot-System das größere Hindernis sein als die F-35A.

Was wiederum die Kosten anlangt, hat Corporal Frisk die Sache gut analysiert: (Quelle)

Hinsichtlich der unerwartet optimistischen Kostenprojektion für die F-35A (billiger sogar als die F/A-18 E/F, was, wie jeder zugeben muss, überaus überraschend ist), scheint die Simulatornutzung das zentrale Element zu sein.

Angeblich werden durch die Simulator-Lösung bis zu 20% weniger Flugstunden und um die Hälfte weniger Flugbewegungen erforderlich als mit der F/A-18 C/D und F-5 E/F. Die Angaben dazu kommen von der US-Luftwaffe.

Was aber die Frage aufwirft, wie die USAF auf diese Zahl kommt, weil alle anderen Luftwaffen, die die F-35A fliegen, mehr Flugstunden ansetzen und nicht bekannt ist, dass die Simulatoren für die übrigen Nutzer minderwertiger seien.

Übrigens: Da die Angaben von der USAF stammen, wird der Gedanke hinfällig, dass die Möglichkeit, auf Strahl- bzw. Konversionstrainer zu verzichten, die F-35A billiger mache; die USAF lässt lange auf Strahltrainern Erfahrung sammeln.

Corporal Frisk fragt in diesem Zusammenhang nach der Qualität einer so auf Simulatoren abgestützten Ausbildung, und ob sich die 50% weniger Starts- und Landungen auf alle Schweizer Jäger beziehen, oder auf eine fiktive 36-Lfz-Mischflotte.

Und natürlich stellt sich die Frage, wieso die Flugstunden-Kosten für die F-35A so niedrig ausfielen, obwohl USAF und US-Rechnungshof zuletzt im laufenden Betrieb deutlich höhere bzw. unerwartet hohe Betriebskosten ermittelten.

(Ich würde noch die Frage hinzufügen, mit welchem Triebwerk sollen die Schweizer F-35A ausgestattet werden? Die USAF hatte unlängst bekanntgegeben, dass das jetzige Aggregat viel schneller verschleißt als angenommen, wodurch sich die Lebensdauer derart verkürzt, dass man das Ausscheiden von hunderten Flugzeugen bis 2030 befürchtet.)
opticartini
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Re: Schweiz: Programm "Air2030"

Beitrag von opticartini »

muck hat geschrieben: Mi 7. Jul 2021, 06:23 So ist das Ergebnis, dass die F-35A den anderen Mustern im Luftkampf überlegen sei, für mich nach wie vor nicht nachvollziehbar, und auch Opticartinis Einwände haben meine Zweifel daran nicht ausräumen können.
Dann räumen wir es jetzt ein für alle mal aus.

Kampfflugzeuge der vierten Generation bauen darauf auf, dass die Nase des Flugzeugs zum Feind gedreht werden muss, um Sensoren und Waffen optimal zum Einsatz zu bringen. Das ist nicht länger erforderlich.

F-35 hat eine 360 Grad Fähigkeit, die dem Piloten eine sphärische Rundumsicht erlauben, sein Helm funktioniert wie eine Art VR-Brille, mittels der er sogar durch sein eigenes Flugzeug hindurch sehen kann.

Dies gelingt dadurch, dass Kameras und Sensoren nicht starr nach vorne, sondern rund um das Flugzeug angebracht sind.

Beispiel: Der Eurofighter hat sein "Pirate"-IRST vorne an der Nase, der Blickwinkel ist eingeschränkt, alles was seitlich oder dahinter ist, ist im toten Winkel.

F-35 hingegen verfügt über sog. "DAS" = Distributed Aperture System - das sind mehrere elektro-optische Sensoren, die über das Flugzeug verteilt sind. Folge: Der Pilot muss die Nase das Flugzeugs nicht Richtung Ziel richten. Durch die Kameras kann er auch sehen, was sich unterhalb seines Flugzeugs befindet und Waffen in alle Richtungen zum Einsatz bringen ohne großartige Manöver fliegen zu müssen.

Das hat den Nebeneffekt, dass auch weniger Flugzeuge nötig sind, um die gleiche Mission zu fliegen, weil niemand die toten Winkel abdecken muss.

Wie das aussieht ist (in der Theorie) im folgenden Video zu sehen. Ab Minute 3:08 wird gezeigt, wie ein "dogfight" zwischen Flugzeugen der 4. Generation mit "high off-boresight" Lenkwaffen sehr wahrscheinlich endet: Mit der Zerstörung beider Maschinen. Danach ist zu sehen, wie die Situation mit F-35 gelöst wird.

muck
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Re: Schweiz: Programm "Air2030"

Beitrag von muck »

Und doch verlieren F-35 regelmäßig in Übungen gegen obsolete F-15. Ähnliche Berichte hört man von der Luftwaffe, die selbst mit Typhoons ohne IRST deutlich positive Abschussverhältnisse gegen italienische F-35 erzielt hat, und auch von Begegnungen in anderen Konstellationen.

Die Vorstellung, dass die bessere Situational Awareness der F-35 genüge, ihr trotz ihrer Schwächen einen grundsätzlichen Vorteil zu verschaffen, wird zumindest durch die Übungsrealität nicht bestätigt. Und das Argument, die Typhoon könne angeblich nur Ziele vor ihr effektiv bekämpfen, hatten wir neulich schon mal, wo es bereits wenig Anklang fand.

Mal etwas Anderes, hat einer von Euch in den Schweizer Medien eine Angabe gefunden, mit welchem Klarstand die Regierung rechnet? Denn mit dem von der USAF im März gemeldeten Klarstand von kaum über 50% sind die angegebenen Werte unerreichbar. Was mir umso unbegreiflicher macht, warum nicht die verlässlichere Super Hornet oder Rafale gewannen.

Freilich, nochmals, alles neue Militärgerät hat Kinderkrankheiten, und auch die der F-35 werden irgendwann ausgemerzt sein. Die Frage ist nur: zu welchen Kosten, und auch wirklich rasch genug, um die Kalkulation des VBS zu erfüllen? Die schönsten Kalkulationen nützen nichts, wenn sie Gefahr laufen, sich nicht zu erfüllen.
opticartini
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Re: Schweiz: Programm "Air2030"

Beitrag von opticartini »

Was in diesen Berichten so gut wie nie erwähnt wird, ist was und wie da genau trainiert wurde (sog. "setup") bzw. was das Trainingsziel der Übungen war. Bei den angesprochenen "dogfights" ging es wahrscheinlich darum, dass nur die Bordkanone verwendet werden darf ("guns only"). Das wird zwar trainiert, weil man damit den Piloten ermöglicht, die Grenzen seiner Maschine und seine eigenen Grenzen auszuloten, in der Realität ist ein derartiger Luftkampf aber kein realistisches Szenario.

In dem von dir verlinkten Artikel befindet sich ein weiterer Link, in der ein realistischeres Szenario simuliert wurde, mit "radar jamming, increased air threats, and surface-to-air missile batteries." Das Resultat wird betitelt mit "F-35 schlachtet die Gegner ab" mit Abschüssen von 15:1, wobei F-35 zusätzlich das Potential als "force multiplier" zeigen konnte, indem Ziele aufgeklärt und die Information mit anderen Flugzeugen geteilt wird. Das ermöglicht es Flugzeugen mit höherer Nutzlast in sicherer Distanz zu bleiben und auf Ziele zu schießen, die von F-35 aufgeklärt wurden, selbst wenn letzterer seine eigenen Lenkwaffen schon verschossen hat.

Also: Sofern die "Übungsrealität" nicht auf dem taktischen Stand des Zweiten Weltkriegs basiert, wird die Überlegenheit von F-35 ziemlich eindrucksvoll bestätigt.
theoderich
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Re: Schweiz: Programm "Air2030"

Beitrag von theoderich »

öbh
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Re: Schweiz: Programm "Air2030"

Beitrag von öbh »

Interessant ist, falls es zum Kauf der F-35 durch die Schweiz kommt, wie die Ausbildung bis zum einsatzfähigen F-35-Piloten durchgeführt wird. F-5F sowie F-18D sind dann ja ausgeschieden und Doppelsitzer für den JSF gibt es nicht. Die Ausbildung auf PC-21 über Simulator bis zum Einsatzflugzeug F-35 scheint doch etwas gewagt oder werden die Schweizer Piloten die Düsenausbildung in den USA auf T-38/Boeing T-X absolvieren.
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Kampfhamster
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Re: Schweiz: Programm "Air2030"

Beitrag von Kampfhamster »

https://www.vbs.admin.ch/content/vbs-in ... ElMtN5fsWQ
Air2030: Verbindlichkeit der Offerte für den F-35A als neues Kampfflugzeug

Bern, 11.07.2021 – Die Berichte in den heutigen Ausgaben von Sonntagsblick und Sonntagszeitung über die Verbindlichkeit der Offerte für den F-35A als neues Kampfflugzeug enthalten einseitige Darstellungen. Das Bundesamt für Rüstung armasuisse hat dazu eine Klarstellung publiziert.

In ihren Ausgaben vom 11. Juli 2021 berichteten der Sonntagsblick und die Sonntagszeitung über die Verbindlichkeit der Offerte für den F-35A als neues Kampfflugzeug. Zudem wurden in diesen Zeitungen wie auch am 9. Juli 2021 in den Tamedia-Zeitungen die Betriebskosten des Flugzeuges in den USA thematisiert.

Das Bundesamt für Rüstung armasuisse hält dazu fest:

Die Offerten und die darin angebotenen Zahlen sind verbindlich. Dies betrifft sowohl die Beschaffungskosten wie auch die offerierten Betriebskosten, bei welchen wir über eine Offerte mit einer Laufzeit von zehn Betriebsjahren verfügen.
Darüber hinaus gilt, dass die Preise zwischen verschiedenen Staaten nicht verglichen werden können, weil nicht klar ist, welche Kosten jeweils eingerechnet oder nicht eingerechnet sind.
Das VBS beschafft die Flugzeuge via «Foreign Military Sales» (FMS) vom US-Staat zu denselben Konditionen, die er für sich selbst zur Anwendung bringt. Der US-Staat wiederum wickelt die Beschaffung über eigene Verträge mit den Firmen ab. In diesen Verträgen sind die Preise und die Vertragskonditionen verbindlich festgelegt und werden auch mittels einer strengen Aufsicht eingefordert. Käme es zu Kostenüberschreitungen, würde also der amerikanische Staat zu Gunsten der Schweiz beim Hersteller die Verbindlichkeit der Preise einfordern.
Wohl auch aufgrund dieser starken Käuferposition hat sich bei der über 40-jährigen Erfahrung der armasuisse bei der Abwicklung von FMS-Geschäften gezeigt, dass es in keinem der vielen Verträge zu Kostenüberschreitungen gekommen ist. Dies also deshalb, weil der US Staat als gleichzeitiger Käufer und Verkäufer über eine rigide Kontrolle über die Kosten verfolgt.
Darüber hinaus ist auch die Teuerung in den USA im Angebot eingerechnet. Dabei musste der Anbieter im Rahmen der Evaluation bekannt geben, welche Teuerungsannahmen eingerechnet wurden. Werden die Kosten zum Beispiel aufgrund einer tieferen effektiven Teuerung geringer, so wirkt sich das zu Gunsten der Schweiz aus.
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theoderich
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Re: Schweiz: Programm "Air2030"

Beitrag von theoderich »

Kampfhamster hat geschrieben: Mo 12. Jul 2021, 22:01In ihren Ausgaben vom 11. Juli 2021 berichteten der Sonntagsblick und die Sonntagszeitung über die Verbindlichkeit der Offerte für den F-35A als neues Kampfflugzeug.
Der Vollständigkeit halber:

Preis-Garantien gibt es keine
Wird die F-35 plötzlich doch teurer? (2. Juli 2021)

https://www.blick.ch/politik/preis-gara ... 48764.html


Kosten des US-Kampfjets nur «geschätzt»
Liess sich Amherd von ihren Militärs blenden? (11. Juli 2021)

https://www.blick.ch/schweiz/kosten-des ... 67714.html
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Kampfhamster
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Re: Schweiz: Programm "Air2030"

Beitrag von Kampfhamster »

Blick ist eine denkbar schlechte Quelle. Die ist so etwa auf einer Stufe mit der deutschen Bild.
Kein Geld, keine Schweizer
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