Europas Kampfflugzeug der Zukunft schmiert ab
Ausgerechnet dem größten deutsch-französischen Rüstungsprojekt droht das Aus - dem zukünftigen Kampfflugzeug FCAS. Dies mag überraschen. Denn gerade erst lieferten die französischen und deutschen Verteidigungsministerinnen Bilder voller Harmonie, als sie am 18. September auf dem Militärflugplatz Évreux-Fauville und am Airbus Standort Manching ihre Kooperationsprojekte lobten. Doch tatsächlich schleppen die Projekte Geburtsfehler mit sich herum, die nun eskalieren.
FCAS ist eines der acht Kooperationsprojekte, die Berlin und Paris 2017 enthusiastisch vereinbart hatten. Darunter auch Kampfpanzer und Aufklärungsflugzeuge. Doch von Beginn an gab es Knatsch: man misstraute einander, und vor allem sollte der Andere bloß keinen wirtschaftlichen Vorteil aus der Herstellung und der Weiterverwertung der im Projekt entwickelten neuen Technologien ziehen. Das sind allerdings die Schlüsselfragen bei Rüstungskooperationen: nicht nur wer produziert, sondern vor allem wer welche Technologie entwickelt. und dieses wertvolle Wissen dann weiternutzen darf, um in den kommenden Jahrzehnten weitere Produkte zu schaffen.
Scheitert FCAS, wären auch die anderen Projekte kaum zu retten, denn sie sind miteinander verflochten. Der Schaden wäre immens. Es wäre nicht nur ein herber Rückschlag für die deutsch-französischen Beziehungen, sondern auch eine Bankrotterklärung für Europa als führendem Technologie- und Innovationsstandort und als militärisch, sicherheitspolitisch und industriell ambitionierter und eigenständiger Akteur. Deutschland und Frankreich würden zentrale Waffensysteme fehlen. Aber vor allem: die Idee einer europäischen Souveränität, also einer Eigenständigkeit, die aus der Zusammenarbeit mehrerer Nationen entsteht, die ihre Zukunft gemeinsam gestalten wollen, wäre widerlegt.
Tatsächlich machen sich beide Seiten gegenseitig das Leben schwer. Deutschland strapaziert seine französischen Freunde mit seinen nationalen Besonderheiten: Wo die französische Rüstungsabteilung DGA quasi komplette Freiheit hat bei der Umsetzung des Projektes, greift in Deutschland das Prinzip der verteilten Zuständigkeiten: die Ministerien für Wirtschaft und Verteidigung sowie das Kanzleramt müssen sich mit dem Bundestag und einer privaten Industrie abstimmen: das dauert, ist schwierig und führt oft zu unbefriedigenden Kompromissen.
Gerade die entscheidende Rolle des Bundestags irritiert Paris. Der weigert sich, Entwicklungsgelder für das FCAS ohne Erfolgsnachweis einfach über Jahre freizugeben. Weil das Parlament die Anfangsprobleme kommen sah, gibt es die Gelder nur nach und nach frei, macht Vorgaben und stellt Rückfragen. Dieses Vorgehen ist Frankreich komplett fremd. Auf Paris wirkt es als stetiges Infragestellen des Vertrauens und des deutschen Bekenntnisses für das Projekt, und wie ein wenig subtiler Versuch, den französischen Partner zu kontrollieren.
Projekte wie FCAS erhalten in Deutschland auch nicht annähernd die politische Unterstützung wie in Frankreich: Obwohl das Projekt vom Kanzleramt gewollt ist, sind Verteidigung und Rüstung dort nicht die wichtigsten Themen. Ganz anders in Paris, wo neben Europa auch Verteidigung Chef- also Präsidentensache ist. Die Rüstungsindustrie ist hier ein Schlüsselinstrument, um die nationale Souveränität zu bewahren, und daher schützenswert und sogar nationaler Stolz. Zudem ist der Staat immer noch erheblich an dieser ökonomisch wichtigen Industrie beteiligt. Deutschlands Verteidigungsindustrie ist hingegen privat, volkswirtschaftlich unbedeutend und politische Kreise meiden die Rüstungsindustrie eher.
Für Emmanuel Macron würde es eine herbe Niederlage für seinen Europakurs bedeuten, den er seit seiner Wahl 2017 verfolgt. Seine politischen Gegner im nationalistischen Lager rund um Marine Le Pen dürften versuchen, ein Scheitern des FCAS als das Scheitern von Macrons europäischen Ideen, insbesondere seiner Vision einer europäischen Souveränität auch im militärischen Bereich, darzustellen, und als Niederlage gegenüber Deutschland. Das kann auch Deutschland nicht egal sein: 2022 stehen Präsidentschaftswahlen in Frankreich an. Zutiefst frustriert von der schwierigen Kooperation mit Berlin könnte Paris versucht sein, die nächste Kooperation außerhalb der EU zu suchen, sei es mit London oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. Größere Projekte mit Berlin wären für diese Generation wohl vom Tisch. Auch für Berlin wäre es ein herber Rückschlag für seine europäischen Ambitionen, zumal in der aktuellen EU-Ratspräsidentschaft, die man innehat. Die wiedergefundene Dynamik von Paris und Berlin, als sie im Sommer 2020 angesichts der Pandemie gemeinsam den Recovery Fund für Europa auf den Weg gebracht haben, scheint doch nicht so weit zu tragen.
Die vielleicht letzte Chance
Dabei ist das bilaterale Potential enorm: Deutschland und Frankreich vereinen rund 40 Prozent der Verteidigungsindustrie in Europa auf sich. Zusammen können sie Strukturen verändern, jeder für sich allein ist dafür zu unbedeutend. FCAS bietet vielleicht die letzte Chance für den Sprung in einen wirklich europäischen Rüstungssektor: Vom FCAS kann ein erheblicher Impuls zur Europäisierung und Konsolidierung des Rüstungssektors in Europa ausgehen – weit über den Luftfahrtbereich hinaus. Diese Restrukturierung in Richtung von mehr europäischer Gemeinsamkeit ist die notwendige Voraussetzung, um in den kommenden Jahrzehnten mit den Vereinigten Staaten auf Augenhöhe zu kooperieren und die derzeitige Abhängigkeit von Washington wieder reduzieren zu können. Damit würde auch die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Europäer wachsen. Derzeit sind europäische Unternehmen zu klein, um sich mittelfristig gegen die Konkurrenz aus den Vereinigten Staaten, aber auch den wachsenden Druck asiatischer Konkurrenten zu wehren.
Die Schockwellen des Scheiterns gehen aber noch weiter: Das Narrativ und die Ambition der strategischen Autonomie im industriellen Bereich, also das Europa hier eigenständig handeln kann und nicht von anderen abhängig ist, wären vom Tisch, denn es würde Jahrzehnte dauern, bis sich Politik und Industrie davon erholt haben. In dieser Zeit wäre das Scheitern Wasser auf die Mühlen jener, die ja schon immer gesagt haben, das mit denen auf der anderen Rheinseite kein Staat zu machen ist.
Erfolge sind nur durch Kompromisse denkbar
Und dieser Effekt bliebe nicht auf den Rüstungsbereich beschränkt. Rüstungskooperation braucht wie kein anderer Bereich die ständige Befassung und Zustimmung der Regierungen – Deutschland und Frankreich würden sich andere Partner suchen und Schritt für Schritt in unterschiedliche Lager begeben. Der rüstungsindustrielle Riss könnte zum Riss in der Europäischen Integration werden.
Die deutsch-französischen Beziehungen haben Europa nicht erfolgreich vorangebracht, weil die beiden Partner gemeinsame Positionen vertraten, sondern weil sie Kompromisse hervorgebracht haben, die andere Europäer mittragen konnten. Gegenteilige Standpunkte zu haben ist weder neu noch muss es ein Problem sein. Statt schon im Jahr drei der deutsch- französischen Rüstungskooperation die Flinte bereits ins Korn zu werfen, sollten beide Seiten sich gemeinsam zu Kompromissen und einer Partnerschaft auf Augenhöhe verpflichten. Von Kleinstaaterei und gegenseitigem in-die-Pfanne-hauen profitieren nur die Konkurrenten und Feinde Europas.
Claudia Major leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stifttung Wissenschaft und Politik (SWP).
Christian Mölling ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
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