Evaluierungskommission Luftraumüberwachung

Flächenflugzeuge, Hubschrauber, Großgerät, Fliegerhorste, ...
muck
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Re: Evaluierungskommission Luftraumüberwachung

Beitrag von muck »

theoderich hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 14:50Nicht nur die Kostenseite: Man tut so, als könnte man einfach Nacheileabkommen mit allen Nachbarstaaten abschließen (von denen zwei - Liechtenstein und Slowenien - nicht einmal über eigenständige QRA-Kapazitäten verfügen) und diese würden dann quasi "von außen" unseren Luftraum schützen.

Dass man bei einer hypothetischen "Auslagerung" der aktiven LRÜ schon aus topographischen Gründen Truppen eines fremden Staates, mindestens in Stärke einer verminderten Brigade, ständig auf österreichischem Territorium stationieren müsste, kommt niemandem in den Sinn.
Exakt, dieses Problem hatten wir hier ja auch schon diskutiert. Eine Lösung á la Air Policing Baltikum, d.h. mit einer permanenten Präsenz, wäre nicht nur aus praktischen Gründen ratsam, sondern auch der Kosten wegen. Wobei ich nicht glaube, dass dazu gleich ein Großverband erforderlich wäre.

Der ausländische Truppensteller würde idealerweise auf österreichische Leit- und Führungssysteme zurückgreifen. Gerade wo eine gewisse Kommunalität besteht, etwa zu den Streitkräften Italiens und Deutschlands, könnte eine einzelner Schwarm mit Unterstützungspersonal genügen – vielleicht 200+ Soldaten.
theoderich hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 14:50Und was Verfassungsrechtler zu einer allfälligen Ausnutzung von Art. 9 (1) B-VG sagen würden, wäre auch "interessant". Dieser Absatz wurde nämlich nie dazu geschaffen, Hoheitsrechte in dieser Dimension abzugeben […]
Ließe sich dieses Problem aber nicht durch ein Unterstellungsverhältnis umgehen, einschließlich einer Bindung an die lokalen Gesetze? Wenn bspw. ausländische Polizeikräfte in Österreich eine Großveranstaltung abzusichern helfen, agieren sie ja auch nicht kraft eigener Befugnis und nach den Gesetzen des Entsendestaates.
theoderich hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 14:50Die Republik Österreich müsste sich den Wünschen des truppenstellenden Staates wahrscheinlich in jeglicher Hinsicht beugen, weil man keinerlei Gegenleistungen anzubieten hat - und das möglicherweise nicht nur bei der Verteidigungspolitik, sondern auch in anderen Bereichen.
Meinst Du etwas in der Art von: "Liebes Österreich, erst lässt du uns deine Drecksarbeit machen, und dann stimmst du in der Vollversammlung der Vereinten Nationen ständig gegen uns? Was ist los mit dir?"

Es käme natürlich auf den fraglichen Staat an, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass eine solche Außenpolitik allgemein vertretbar wäre. In der Schweiz und in Deutschland zumindest wäre sie innenpolitisch problematisch.

In Italien und Ungarn vielleicht weniger. Aber das einzige realistische und politisch vertretbare Druckmittel bestünde ja darin, die Übereinkunft über die übernommene Luftraumüberwachung zu beenden.
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Re: Evaluierungskommission Luftraumüberwachung

Beitrag von theoderich »


muck hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 21:18Wobei ich nicht glaube, dass dazu gleich ein Großverband erforderlich wäre.
In Zeltweg wären ca. 1000 Personen betroffen, von denen ein Großteil nicht mehr benötigt werden würde. "Verminderte Brigade" ist vielleicht übertrieben, aber man müsste wohl das Personal beim Überwachungeschwader und bei der Fliegerwerft 2 wenigstens zu einem großen Teil durch ausländische Zivilbedienstete und Soldaten ersetzen.
muck hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 21:18Meinst Du etwas in der Art von: "Liebes Österreich, erst lässt du uns deine Drecksarbeit machen, und dann stimmst du in der Vollversammlung der Vereinten Nationen ständig gegen uns? Was ist los mit dir?"

Es käme natürlich auf den fraglichen Staat an, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass eine solche Außenpolitik allgemein vertretbar wäre. In der Schweiz und in Deutschland zumindest wäre sie innenpolitisch problematisch.
Den Standpunkt kann ich verstehen. Nur ist die Frage, wie eine derartige finanzielle Belastung eines oder mehrerer Nachbarstaaten von diesen verantwortet werden kann, wenn die Republik Österreich nicht bereit ist, diese angemessen zu entschädigen?

Beim Air Policing Baltikum können Estland, Lettland und Litauen die Übernahme der Luftraumüberwachung durch verbündete Luftstreitkräfte immerhin durch verstärktes Engagement innerhalb der NATO kompensieren. Diesem Bündnis beitreten wollen unsere Politiker schließlich nicht. Zusätzlich tragen sie die Kosten des Host Nation Support:
Allies take turns deploying to air bases at Šiauliai, Lithuania and Ämari, Estonia, on a four-month rotational basis, ready to be launched by NATO's Combined Air Operations Centre Uedem, Germany if required. The Air Forces of Lithuania, Latvia and Estonia contribute to the mission with host nation support in the form of air command and control infrastructure and personnel.
https://ac.nato.int/missions/air-policing/baltics

Das will man auch nicht, denn es soll ja nichts kosten.
muck hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 21:18Aber das einzige realistische und politisch vertretbare Druckmittel bestünde ja darin, die Übereinkunft über die übernommene Luftraumüberwachung zu beenden.
Ich denke z.B. an Bosnien-Herzegowina, wo das Bonn Peace Implementation Council dem Hohen Repräsentanten ab 1998 erhebliche Sondervollmachten erteilt hat:

12/10/1997
PIC Main Meeting Bonn
PIC Bonn Conclusions
2. The Council welcomes the High Representative’s intention to use his final authority in theatre regarding interpretation of the Agreement on the Civilian Implementation of the Peace Settlement in order to facilitate the resolution of difficulties by making binding decisions, as he judges necessary, on the following issues:
  1. timing, location and chairmanship of meetings of the common institutions;
  2. interim measures to take effect when parties are unable to reach agreement, which will remain in force until the Presidency or Council of Ministers has adopted a decision consistent with the Peace Agreement on the issue concerned;
  3. other measures to ensure implementation of the Peace Agreement throughout Bosnia and Herzegovina and its Entities, as well as the smooth running of the common institutions. Such measures may include actions against persons holding public office or officials who are absent from meetings without good cause or who are found by the High Representative to be in violation of legal commitments made under the Peace Agreement or the terms for its implementation.
http://www.ohr.int/pic-bonn-conclusions/#04

Streng genommen ist die Annahme, ein Nachbarstaat wäre gewillt, die aktive LRÜ über Österreich zu übernehmen völlig unrealistisch. Es fehlen überall die personellen und materiellen Ressourcen, um nationale Aufgaben, NATO-Verpflichtungen und gleichzeitig auch noch die aktive LRÜ eines knapp 84.000 km² großen fremden Staatsgebiets parallel zu bewältigen.
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Re: Evaluierungskommission Luftraumüberwachung

Beitrag von muck »

theoderich hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 21:28
Warum auch nicht, ein Flugzeug von jedem Kontinent! Das lässt Logistikerherzen höher schlagen.
theoderich hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 21:28
muck hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 21:18Wobei ich nicht glaube, dass dazu gleich ein Großverband erforderlich wäre.
In Zeltweg wären ca. 1000 Personen betroffen, von denen ein Großteil nicht mehr benötigt werden würde. "Verminderte Brigade" ist vielleicht übertrieben, aber man müsste wohl das Personal beim Überwachungeschwader und bei der Fliegerwerft 2 wenigstens zu einem großen Teil durch ausländische Zivilbedienstete und Soldaten ersetzen, ausländische Offiziere und Beamte direkt beim Kommando Streitkräfte und beim Generalstab einsetzen und diese mit einem Weisungs- und womöglich sogar Verfügungsrecht ausstatten.
Aber die passive Luftraumüberwachung soll doch auch nach dem Willen der Befürworter des Vorschlags beibehalten werden? Ich erwähnte das Baltikum, weil mir schien, dass die Voraussetzungen ähnlich seien.

Die baltischen Staaten haben ja auch Luftstreitkräfte, nur eben keine Kampfflugzeuge, und betreiben selbst eine passive Luftraumüberwachung, auf die sich die einrotierenden Verbündeten abstützen.

Wenn heute in Litauen eine spanische Typhoon startet, so geschieht dies auf Befehl des befehlshabenden Offiziers des litauischen Regional Airspace Surveillance Coordination Centre.

(Der dem Befehlshaber im Combined Air Operations Centre in Deutschland untersteht, aber das ist hier belanglos. Der ausländische Pilot wird durch die litauische Luftraumüberwachung geführt und muss litauisches Recht beachten.)
theoderich hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 21:28Den Standpunkt kann ich verstehen. Nur ist die Frage, wie eine derartige finanzielle Belastung eines oder mehrerer Nachbarstaaten von diesen verantwortet werden kann, wenn die Republik Österreich nicht bereit ist, diese angemessen zu entschädigen?

Beim Air Policing Baltikum können Estland, Lettland und Litauen die Übernahme der Luftraumüberwachung durch verbündete Luftstreitkräfte immerhin durch verstärktes Engagement innerhalb der NATO kompensieren. Diesem Bündnis beitreten wollen unsere Politiker schließlich nicht.
Eine Bezahlung mindestens in Höhe aller anfallenden anteiligen Kosten würde zweifellos verlangt werden (worauf sich sogar die Beschaffungskosten für die Flugzeuge niederschlagen dürften), außerdem – aus den bereits genannten politischen Gründen – Überflugrechte. Andernfalls wäre das Vorhaben mit nicht-neutralen Staaten undurchführbar.

Möglich wären vielleicht auch indirekte Kompensationsleistungen, etwa die Erlaubnis, österreichische Ausbildungseinrichtungen und Truppenübungsplätze zu nutzen, oder die Teilnahme an bilateralen Rüstungsvorhaben. (Was für Österreichs Wehretat vielleicht gar nicht so schlecht wäre.)

Nebenbei, eines ist mir gerade noch eingefallen im Gedanken an die vielen in diesem Strang zitierten Beschwerden über Fluglärm: eine ausländische Luftwaffe müsste in regelmäßigen Abständen den Alpenraum beüben dürfen. Und das könnte eine höhere Belastung bedeuten als bei den von Anfang an dort ausgebildeten Österreichern.

Und da sehe ich auch keine Verhandlungsbereitschaft. Niemand hat Lust, seinen teuren Jet am Großglockner zerschellen zu sehen. Selbst die chronisch unterfinanzierte deutsche Luftwaffe übt intensiv im Baltikum, obwohl sie selbst die Ostsee und das Ostsee-Vorland zur Genüge kennt.
theoderich hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 21:28Ich denke z.B. an Bosnien-Herzegowina, wo das Bonn Peace Implementation Council dem Hohen Repräsentanten ab 1998 erhebliche Sondervollmachten erteilt hat […]
Der Vergleich erscheint mir nun wiederum abwegig. Bosnien war 1998 ein instabiler Krisenherd ohne eine von den einzelnen Ethnien allgemein anerkannte Zentralregierung. Österreich hingegen ist ein gefragter Partner, mit dem auch in anderer Sache zusammengearbeitet wird.

Ich würde im vorliegenden Fall eher auf Hinterzimmerdiplomatie und informelle Übereinkünfte blicken.

Der Entsendestaat würde gewiss die Erwartungshaltung hegen, dass Österreich sich ihm gegenüber besonders entgegenkommend verhält. Schon um die Übereinkunft innenpolitisch zu rechtfertigen, müsste die entsendende Regierung handfeste Vorzüge präsentieren können, z.B. wirtschaftliche Vorteile.
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Re: Evaluierungskommission Luftraumüberwachung

Beitrag von theoderich »

muck hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 23:42Aber die passive Luftraumüberwachung soll doch auch nach dem Willen der Befürworter des Vorschlags beibehalten werden?
Seit der Außerdienststellung der Saab-105OE und damit dem Ende der Düsentrainerstaffel und der Abteilung Luftfahrzeugtechnik Saab 105 besteht die aktive LRÜ nur noch aus dem "Überwachungsgeschwader" (2 "Staffeln", Wachsicherungs- und Ausbildungskompanie, Stabs- und Flugbetriebskompanie, Militärflugleitung Zeltweg, Ausbildungs- und Simulationszentrum Zeltweg) und der Fliegerwerft 2 in Zeltweg. Die passive LRÜ habe ich nicht gemeint.

muck hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 23:42Nebenbei, eines ist mir gerade noch eingefallen im Gedanken an die vielen in diesem Strang zitierten Beschwerden über Fluglärm: eine ausländische Luftwaffe müsste in regelmäßigen Abständen den Alpenraum beüben dürfen. Und das könnte eine höhere Belastung bedeuten als bei den von Anfang an dort ausgebildeten Österreichern.

Und da sehe ich auch keine Verhandlungsbereitschaft.
Die Reaktion eines potentiellen Entsendestaates wäre auch interessant. Wahrscheinliche österreichische Position:

"Wir wollen, dass Sie die aktive LRÜ über unserem Staatsgebiet übernehmen. Die Vollkosten müssen viel günstiger sein als bisher (nicht teurer als die Saab J-35 OE "Draken" mit rd. 8.500 EUR pro Flugstunde bzw. 1400 Flugstunden pro Jahr für maximal 12 Mio. EUR inkl. MWSt.). Sie dürfen nur von 8:00 bis 16:30 fliegen und am Wochendende überhaupt nicht. Idealerweise sollte auf eine Woche Flugbetrieb eine Ruhephase von einer Woche folgen.

Das entsendete Personal und Gerät untersteht der Befehlsgewalt des österreichischen Bundesministers für Landesverteidigung. Ein Waffeneinsatz wird nur auf Befehl des Bundesministers genehmigt. Sie dürfen auf unserem Hoheitsgebiet Übungen nur in Ausnahmefällen und nach Absprache mit dem BMLV abhalten. Um das Neutralitätsgesetz aufrecht zu erhalten, dürfen Ihre Truppen nicht ständig auf unserem Staatsgebiet stationiert sein und müssen wöchentlich rotieren."


muck hat geschrieben: Sa 12. Jun 2021, 23:42Der Vergleich erscheint mir nun wiederum abwegig. Bosnien war 1998 ein instabiler Krisenherd ohne eine von den einzelnen Ethnien allgemein anerkannte Zentralregierung. Österreich hingegen ist ein gefragter Partner, mit dem auch in anderer Sache zusammengearbeitet wird.
Besser ausgedrückt wäre wohl, dass es in Europa eine Aufgabe von Hoheitsrechten in dieser Dimension wahrscheinlich seit dem Dayton-Abkommen nicht mehr gegeben hätte.
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Re: Evaluierungskommission Luftraumüberwachung

Beitrag von innsbronx »

Die ganzen Debatten hier über die Aufrechterhaltung der Souveränität im Luftraum in Friedenszeiten sind reine Theorie, denn diese Souveränität wird eben überhaupt nicht durch die Luftstreitkräfte garantiert, sondern dadurch, dass sie grosso modo von den anderen Staaten anerkannt wird und vertraglich gesichert ist.

Theoderich hat schon ein paar Mal das Bspw. fremder Militärluftfahrzeuge erwähnt, die in den österreichischen Luftraum ohne Anmeldung bzw. Genehmigung eindringen. Nun: Bei quasi allen wird es sich um Flugzeuge von anderen EU Staaten oder von "befreundeten" Staaten handeln, mit denen wir gute Beziehungen und viele Verträge unterhalten, Interessen teilen. Die Verletzung des Luftraums durch ein solches Flugzeug wird also in keinem denkmöglichen Szenario als kriegerischer Akt gewertet werden, der einer militärischen Reaktion bedürfte. Der "Priorität Alpha" Einsatz ist mehr oder weniger ein Ritual. Eine etwaige Beschwerde, die danach folgt, wird in etwa folgende Form haben "Passt schon, aber bitte sagt's uns das nächste Mal Bescheid, das wär nett".

Und angenommen ein weniger gut gelittener Staat dränge mit seinen Militärluftfahrzeugen zwecks Durchflug in Friedenszeiten in unseren Luftraum ein - was dann? In den meisten denkbaren Szenarios wäre das ein Problem, das nicht nur Österreich beträfe. Und wir wären wohl die letzten, die mit einem Abschuss (wie damals die Türkei gegenüber Russland) schwerste diplomatische Verstimmungen provozieren würden.

Und im Kriegsfall könnten wir gegen eine halbwegs militärisch potente Macht mit den Eurofightern gar nichts ausrichten.
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Re: Evaluierungskommission Luftraumüberwachung

Beitrag von muck »

Aus der Theorie leitet sich freilich der Handlunsauftrag ab, und damit die Rechtfertigung der anzustrebenden Praxis. Wenn man sich nur auf die wahrscheinlichsten Szenare fokussiert, kann man das Bundesheer gleich abschaffen.

Die verfassungsrechtliche Perspektive Österreichs kann ich nicht abschätzen. Völkerrechtlich jedoch ist die Sache klar. Die Luftraumüberwachung gegen auswärtige Bedrohungen ist die originäre Aufgabe von Kombattanten.
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Re: Evaluierungskommission Luftraumüberwachung

Beitrag von theoderich »

muck hat geschrieben: So 13. Jun 2021, 23:28Die verfassungsrechtliche Perspektive Österreichs kann ich nicht abschätzen.
Verfassungsrechtlich gibt es überhaupt keinen Spielraum:
  • Regierungsvorlage: Bundes(verfassungs)gesetz (598 d.B.)
    19. 7. 1955

    Regierungsvorlage

    Bundesverfassungsgesetz vom 1955 betreffend die Neutralität Österreichs.


    [...]

    Erläuternde Bemerkungen

    [...]

    Unter Neutralität ist zunächst der Zustand der nichtkriegführenden Staaten im Verhältnis zu den kriegführenden Parteien zu verstehen. Erklärt ein Staat seine d a u e r n d e N e u t r a l i t ä t, ergeben sich für ihn nach Völkerrecht im wesentlichen folgende Rechte und Pflichten:

    Der dauernd neutrale Staat ist verpflichtet, die Unversehrtheit seines Staatsgebietes gegen Angriffe von außen mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen; die dauernde Neutralität ist somit meist auch eine b e w a f f n e t e Neutralität. Der dauernd neutrale Staat ist verpflichtet, keine Bindungen einzugehen, die ihn in einen Krieg verwickeln könnten. Er darf daher keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen. Bei allen Kriegen zwischen anderen Staaten hat der dauernd neutrale Staat - so wie die anderen nur in dem betreffenden Krieg neutrale Staaten - die Normen des völkerrechtlichen Neutralitätsrechtes zu beobachten.
    Die Gesetzesvorlage verpflichtet Österreich, seine freiwillige und dauernde Neutralität mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechtzuerhalten und zu verteidigen. Die Neutralität Österreichs ist somit auch eine be w a f f n e t e. Diese Verpflichtung wird neben anderen hiezu berufenen Organen auch dem Bundesheer obliegen.
    https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/VI ... ndex.shtml
  • Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs
    (2) Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen.
    https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassu ... r=10000267
  • Regierungsvorlage: Bundes(verfassungs)gesetz (1461 d.B.)
    Erläuterungen

    [...]

    Im Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955, BGBI. Nr. 211, hat Österreich zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität erklärt und sich zugleich verpflichtet, diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechtzuerhalten und zu verteidigen. Darin liegt ein klares Bekenntnis zur Landesverteidigung, soweit sie einem dauernd neutralen Staat nach Völkerrecht obliegt.
    https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XI ... ndex.shtml
  • Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
    Artikel 9a. (1) Österreich bekennt sich zur umfassenden Landesverteidigung. Ihre Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität. Hiebei sind auch die verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihre Handlungsfähigkeit sowie die demokratischen Freiheiten der Einwohner vor gewaltsamen Angriffen von außen zu schützen und zu verteidigen.

    (2) Zur umfassenden Landesverteidigung gehören die militärische, die geistige, die zivile und die wirtschaftliche Landesverteidigung.
    https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassu ... r=10000138
  • ADAMOVICH Ludwig K./Bernd-Christian FUNK/Gerhard HOLZINGER: Österreichisches Staatsrecht. Band 1: Grundlagen, 2. Aufl. (= Springers Kurzlehrbücher der Rechtswissenschaft, Wien-New York 2011)
    p. 101 hat geschrieben:Als neutral bezeichnet man einen Staat, der sich an einem bestehenden Krieg nicht beteiligt. Erhebt ein Staat, der völkerrechtlich an sich kriegsfähig ist, die Nichtteilnahme an Kriegen zum Prinzip seiner Politik, so spricht man von immerwährender (permanenter, dauernder) Neutralität. Sie kann einem Staat entweder durch andere Staaten auferlegt werden (Neutralisierung) oder aber durch Erklärung des betreffenden Staates selbst in Verbindung mit der Anerkennung und allenfalls auch Garantie dieses Status durch andere Staaten herbeigeführt werden.
    p. 101-102 hat geschrieben:Aus dem allgemeinen völkerrechtlichen Neutralitätsrecht (V. und XIII. Haager Übereinkommen betr den Land- und Seekrieg, RGBl 1913/181 und 188; sowie völkerrechtliches Gewohnheitsrecht) ergeben sich für einen immerwährend neutralen Staat insb die Verpflichtungen, in Zukunft keinen Krieg selbst zu beginnen, sich bei künftigen kriegerischen Verwicklungen sowie bei Bürgerkriegen außerhalb dieser Vorgänge zu halten, ein unparteiisches Verhalten gegenüber den Kriegsparteien zu bewahren sowie in jedem zukünftigen Krieg die Unverletzlichkeit seines Gebietes mit allen möglichen und zumutbaren Mitteln aufrechtzuerhalten. Weiters ist ein solcher Staat verpflichtet, keine politischen, militärischen oder wirtschaftlichen Bündnisse einzugehen, die seine Unabhängigkeit oder territoriale Integrität gefährden oder aufheben oder ihn in einen Krieg verwickeln könnten (Vorwirkungen der immerwährenden Neutralität: Verpflichtung zu neutralitätssichernder Politik auch in Friedenszeiten).

    Ein dauernd neutraler Staat ist verpflichtet, seine Neutralität mit angemessenen Mitteln, erforderlichenfalls auch militärisch zu sichern.
    p. 102 hat geschrieben:Die Mitwirkung an Maßnahmen der Vereinten Nationen gem dem VII. Kapitel der UN-Charta bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen gilt als neutralitätskonform.
    p. 105 hat geschrieben:Auf völkerrechtlicher Ebene können der Status Österreichs als immerwährend neutraler Staat und die damit verbundenen Rechte und Pflichten keinesfalls einseitig, sondern nur konsensual, durch einen völkerrechtlichen Vertrag, durch eine von der Staatengemeinschaft ausdrücklich oder stillschweigend angenommene Erklärung oder durch Gewohnheitsrecht beendet bzw verändert werden. Dabei ist zu beachten, dass Österreich als Mitglied der Staatengemeinschaft an der Rechtsbildung durch völkerrechtliches Gewohnheitsrecht selbst maßgebend beteiligt ist. Eine geänderte österreichische Praxis von der immerwährenden Neutralität könnte zur Bildung von Gewohnheitsrecht beitragen.

    Änderungen im völkerrechtlichen Bereich können sich in entsprechender Weise auf die verfassungsrechtliche Rechtslage auswirken, da der im Neutralitätsgesetz verankerte Status Österreichs als immerwährend neutraler Staat durch den Inhalt des völkerrechtlichen Neutralitätsrechts maßgebend (mit)bestimmt wird. Eine Änderung oder gar Aufhebung des Neutralitätsgesetzes von 1955 würde keine Gesamtänderung der Bundesverfassung bewirken.
Hier ein in diesem Zusammenhang interessanter Spruch des VfGH aus dem Jahr 2007:

https://www.ris.bka.gv.at/VfghEntscheid ... eSelf=True

innsbronx hat geschrieben: So 13. Jun 2021, 13:54Theoderich hat schon ein paar Mal das Bspw. fremder Militärluftfahrzeuge erwähnt, die in den österreichischen Luftraum ohne Anmeldung bzw. Genehmigung eindringen. Nun: Bei quasi allen wird es sich um Flugzeuge von anderen EU Staaten oder von "befreundeten" Staaten handeln, mit denen wir gute Beziehungen und viele Verträge unterhalten, Interessen teilen. Die Verletzung des Luftraums durch ein solches Flugzeug wird also in keinem denkmöglichen Szenario als kriegerischer Akt gewertet werden, der einer militärischen Reaktion bedürfte.
Das ist zu kurz gedacht. Wenn die Republik Österreich den Transit von Militärflugzeugen, Waffen, Munition und Soldaten durch ihren Luftraum zulässt, die einen Militäreinsatz ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates durchführen sollen, der nicht als "Selbstverteidigung" gewertet wird, wird unser Land aus völkerrechtlicher Sicht quasi automatisch Kriegspartei.
Zuletzt geändert von theoderich am Do 17. Jun 2021, 23:29, insgesamt 8-mal geändert.
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Re: Evaluierungskommission Luftraumüberwachung

Beitrag von Doppeladler »

@innsbrox: Eine Verletzung der Neutralität und der Souveränität sollte man nicht verharmlosen - ganz egal durch wen sie erfolgt. Wenn es unseren Nachbarn wichtig wäre, dass unser Luftraum nach unserer Definition sicher ist, dann frage ich mich schon woher die Flugzeuge kommen, die illegal oder ohne Kommunikation in unserem Luftraum eindringen.
Darüber hinaus müssen NATO Mitglieder immer Fragen der kollektiven Sicherheit oder erst recht der Bündnisverteidigung gegenüber Verträgen mit Österreich prioritär betrachten und scheiden somit als Aushilfspolizisten über Österreich aus.
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Re: Evaluierungskommission Luftraumüberwachung

Beitrag von propellix »

@innsbronx: Die Realität und den Sinn und Unsinn des Ganzen siehst Du irgendwie nicht; woher ein Luftraumverletzter kommen soll? Na, zum Beispiel eine vermeintlich zivile amerikanische C-130 (mit ziviler N-Registration der Tepper Aviation), die von Deutschland Richtung Osten nach Baku flog. Die Firma stand schwer im Verdacht, gefangene Kombatanten aus Afghanistan/Irak zu irgendwelchen Geheimgefängnissen bzw. nach Guantanamo zu transportieren. Die Maschine wurde wegen ihrer zweifelhaften Herkunft am Dienstag den 21. Jänner 2003 von Draken gestellt. Man hat sie weiterfliegen lassen, aber nur deshalb, weil das sonst Troubles OHNE Ende herbeigeführt hätte. Weil, was macht man mit den Typen an Bord nach dem Abfang? An Bord lassen und weiter schicken? Freilassen und die Bewachung wegen Freiheitsberaubung festnehmen? Des Terrorismus Verdächtige? Gar ned einmischen am Besten.
Nur, mit dem Abfang hat das ÖBH die Überflüge solcher Maschinen abgedreht; die kamen NIE wieder.
Hier hat man pragmatisch gehandelt, da es sich um ein "Zivilflugzeug" gehandelt hat, das keine Genehmigung braucht. Der flog von irgendwo nach nirgendwo. Wäre das ein Militärtransporter, womöglich OHNE Überfluggenehmigung gewesen, hätte man sicher anders reagiert, ungeachtet der diplomatischen Usancen.
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Re: Evaluierungskommission Luftraumüberwachung

Beitrag von opticartini »

Bei der Luftraumüberwachung geht es eben auch (oder primär) um das Prinzip, dass ein Staat seine Grenzen in der Luft kontrollieren kann.

Dass Flugzeuge, selbst wenn sie unerlaubt herumfliegen, nicht einfach abgeschossen werden, ist klar, genauso wie dass Menschen, die sich illegal in Österreich aufhalten, nicht einfach erschossen werden. Trotzdem sollte man in der Lage sein, die Grenzen zu kontrollieren (sei es am Boden oder in der Luft) und Eindringlinge zu identifizieren und zu dokumentieren. Die Anwendung von Gewalt sollte theoretisch möglich sein, auch wenn sie praktisch keine ernsthafte Option ist.

Am besten geht das, wenn der betreffende Staat selbst über die nötigen Kräfte verfügt, da nur dann weitgehende Selbstständigkeit sichergestellt ist und man damit eben nicht vom Wohlwollen anderer Staaten abhängig ist, auch wenn dieses in formale Verträge gegossen ist. Wer hat, der hat, wer kann, der kann und vice versa.

Nachdem es dabei um ein Prinzip geht, ist der konkrete, kurzfristige Nutzen einer Luftraumüberwachung dem Durchschnittsbürger schwer vermittelbar, im Gegensatz z.B zu Hubschraubern, die für alle möglichen Missionen eingesetzt werden können, welche real und greifbar sind.

Daher hat die LRÜ auch einen schweren Stand in der öffentlichen Wahrnehmung, denn dem Normalbürger ist es herzlich wurscht, ob irgendwo am Himmel einem Flugzeug der Transponder ausgefallen ist. Und sollte doch was passieren, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Flieger genau ihm auf den Schädel fällt, unendlich gering und auch von Abfangjägern kaum verhinderbar.

Mit dem "air-policing" der NATO ist das so oder so nicht vergleichbar, dort gehts in erster Linie darum, die Grenze zu Russland zu sichern, ist also von strategischem Interesse. Das trifft auf Österreich nicht zu, genausowenig wie dass wir uns eine einigermaßen moderne aktive LRÜ nicht leisten könnten.

Was in Zukunft durch die technische Entwicklung zu erwarten ist, ist ein weiteres Thema. Bereits jetzt werden terroristische Aktivitäten und militärische Konflikte stark durch unbemannte Flugobjekte ("Drohnen") geprägt oder gar entschieden (siehe Aserbaidschan-Armenien).
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