Martin Thür: "Guten Abend, meine Damen und Herren, zur ZiB2 am Sonntag mit diesen Themen:
- ,Lachender Sieger' Der Komiker und Schauspieler Volodomir Selenski schafft klar den ersten Platz bei den Präsidentschaftswahlen in der Ukraine. Das zeigen Nachwahlbefragungen des österreichischen Sora-Instituts. Wir schalten zu Christoph Hofinger nach Kiew.
- [PzH M-109A5Ö des Panzerartilleriebataillons 9 beim hinausfahren aus einer Garage im HLogZ Klagenfurt] ,Untauglich' Das Bundesheer [F-5 Tiger mit österreichischem Hoheitsabzeichen auf einem Rollfeld, dahinter eine Saab-105OE] braucht drei Milliarden Euro, um dringend benötigtes Gerät anzuschaffen. Das sagt [ChdGStb Brieger im Studio] Generalstabschef Robert Brieger. Er ist live im Studio.
- ,Leben in Angst' Wie lebt es sich direkt an der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen? Eine Reportage aus dem Krisengebiet."
[...]
Kassen leer im Bundesheer
THÜR: "Es ist ein Appell zum Aufrüsten. Das Budget für das Bundesheer sinkt seit mehreren Jahrzehnten. Der Chef des Generalstabes will das ändern und fordert nun mehrere
[Grafik: "VERTEIDIGUNGSBUDGET IN PROZENT DES BIP"; 1985: 1,186 %; 2019: 0,57 %] Milliarden Euro für das Heer. Sonst könnten die Soldatinnen und Soldaten die Landesverteidigung nicht mehr, wie in der Verfassung gefordert, sicherstellen.
[Foto: Soldat mit Kevlarhelm und StG77 im Anschlag] Der Aufschrei kommt, abgestimmt mit dem Minister, zu einem taktisch wichtigen Zeitpunkt. Die Regierung beginnt gerade mit den Budgetverhandlungen. Da erhofft sich das Heer mehr Geld für dringend benötigte Investitionen. Gleich spreche ich mit dem Generalstabschef Brieger. Zuvor aber noch Ulla Kramar-Schmidt über ein Heer - in Geldnot."
____________________________
[Zug marschierender Soldaten, vermutlich in der Kaserne Straß] Noch jeder neue Verteidigungsminister ist zu Amtsantritt entschlossen in Richtung mehr Geld marschiert - und musste allsbald in Richtung Budgetrealität abbiegen. Das hat sich über die Jahre dann so angehört.
[Robert Lichal (Verteidigungsminister ÖVP, 1988): "Da ich ja eine Milliarde Schilling benötige, eigentlich viel mehr, um die verfallenden Kasernen wieder instandzusetzen."; Werner Fasslabend (Verteidigungsminister ÖVP, 1999): "Ich sage auch, dass das dafür nötige Kapital bereitgestellt werden muss. Für Hubschrauber und Luftraumüberwachungsflugzeuge."; Günther Platter (Verteidigungsminister ÖVP, 2004): "Und es muss auch ein Plus bei den Budgetverhandlungen für das Budget 2005 und 2006 herausschauen."; Norbert Darabos (Verteidigungsminister SPÖ, 2008): "Ich bitte auch alle Parlamentarier, mich hier zu unterstützen, was die Bereitstellung notwendiger budgetärer Mitteln für die kommende Jahren betrifft."]
[BM Mario Kunasek bei der Angelobung der Bundesregierung in der Hofburg, hinter ihm die anderen Minister und Staatssekretäre] Und er hat's natürlich auch versucht.
[BM Kunasek mit BP Van der Bellen beim Unterzeichnen der Bestallungsurkunde] Mario Kunasek, seit Dezember 2017 amtierender Verteidigungsminister, wollte deutlich mehr Geld für's Heer. Leider: Nein.
[ChGStb i.R. Edmund Entacher im Interview mit Ulla Kramar-Schmidt] Und das hält der ehemals höchste Militär für ein wirkliches Problem.
Edmund Entacher (Generalstabschef des Bundesheeres a. D.)
: "Extremer finanzieller Abbau. Und der ist eben so weit und so arg, dass man leider feststellen muss, dass das Land derzeit militärisch nicht verteidigungsfähig ist. Leider."
Er nennt nur einige Beispiele.
ENTACHER: "Nachtsichtfähigkeit. Bis auf ... bis auf einige Spezialtruppen sind wir kaum nachtsichtfähig. [...] Im Bereich der Lenkraketen, da sind wir eigentlich ... haben wir auch da mehr wie die Hälfte abgegeben. Aus Kostengründen. Bei der Artillerie, die ziemlich modern war, haben wir stärkstens abgebaut im Bereich von 60 Prozent. Jammerschade! Selbst bei den Granatwerfern, die also nach Finanzierung keine laufenden Kosten haben - praktisch keine, ja - selbst da haben wir um die 50 Prozent nachgegeben!"
[Soldaten beim Training in der Kaserne Güssing] Und da rede er noch gar nicht von Kasernen,
[PzH M-109A5Ö des Panzerartilleriebataillons 9 beim hinausfahren aus einer Garage im HLogZ Klagenfurt] Fuhrpark oder Luftwaffe
[F-5 Tiger mit österreichischem Hoheitsabzeichen auf einem Rollfeld, dahinter eine Saab-105OE]. Wäre es sinnvoll, verteidigungspolitische Kooperationen einzugehen?
ENTACHER: "Dieser Gedanke ist die typisch österreichische Mogelei. Ich sage mal ... ich sage mal: Nein! Man könnte herumtheoretisieren, mit der Luftwaffe und ähnlichem. Aber solange wir Wert legen auf den Status ,Neutral', müssen wir auch da eine gewisse Selbständigkeit haben!"
[Soldaten eines Jägerbataillons beim Aufstellung nehmen zum Antreten] Das Heer - es wird sich für die Zukunft aufstellen müssen.
Generalstabschef fordert mehr Geld
THÜR: "Und zur künftigen Aufstellung des Bundesheeres begrüße ich jetzt den Generalstabschef, Robert Brieger, bei mir im Studio. Schönen guten Abend!"
Brieger: "Guten Abend."
THÜR: "Herr General, Sie fordern Investitionen von 3 Milliarden Euro in das Bundesheer. Zum Vergleich: Die angekündigte Steuerreform soll ein Volumen von wahrscheinlich viereinhalb Milliarden Euro haben. Was glauben Sie denn, wie viele Österreicher sind bei der Frage ,Panzerabwerraketen oder Steuererleichterungen für alle' auf Ihrer Seite?"
BRIEGER: "Ja, ich denke man muss es etwas komplexer und diffiziler darstellen. Es geht nicht um einzelne Waffensysteme, sondern es geht um die Fähigkeit des Österreichischen Bundesheeres, mittelfristig seinen Verfassungsauftrag wieder erfüllen zu können.
Und mir ging es auch darum, mit meiner Broschüre einen Denkanstoß zur Einleitung eines Diskussionsprozesses zu geben, um eben diese Fragen auf einer sachlichen Ebene diskutieren zu können."
THÜR: "Sie sprechen diese Broschüre an, die Sie herausgegeben haben, die schon im Vorfeld für ordentliche Diskussionen gesorgt hat. Sie wollen diese 3 Milliarden einmalig und dann nochmal eine Erhöhung des Heeresbudgets von 2 auf 3 Milliarden Euro. Was passiert, denn wenn Ihnen der Finanzminister das nicht gibt? Wie schlimm könnte es denn werden?"
BRIEGER: "Ja, zunächst ist seit dem Ende des Kalten Krieges ein Sparkurs gefahren worden, der mich veranlasst, in Übereinstimmung mit Minister Kunasek, eine sukzessive Erhöhung des Verteidigungsbudgets auf über 3 Milliarden bis Ende der Legislaturperiode zu fordern.
Auf der anderen Seite gibt es auch Nachholbedarf aufgrund vieler gleichzeitig an die Altersgrenze gelangender Waffen und Führungssysteme. Wenn diese Mittel nicht oder nicht im vollen Umfang zur Verfügung gestellt werden können, dann hab' ich als Generalstabschef diese Entscheidung zur Kenntnis zu nehmen, aber ich sehe es auch als meine Pflicht an, in diesem Zusammenhang auf die Risken hinzuweisen, die solche Ausrüstungsmängel dann im Anlassfall nach sich ziehen können."
THÜR: "Sie sprechen immer wieder von einem nicht verfassungskonformen Zustand, in den das Heer schlittern könnte, aber was bedeutet das denn konkret? Das Heer ist - Sie haben's schon angesprochen, wir haben's im Beitrag gesehen - seit vielen Jahrzehnten unterdotiert und nur sehr wenige Österreicher haben das Gefühl, dass das Land unsicherer geworden ist."
BRIEGER: "Ich glaube, dass das Militär in Österreich sehr stark mit Katastrophenschutz assoziiert wird. Das ist eine wichtige Aufgabe. Die Kernaufgabe lautet aber ,Militärische Landesverteidigung', so wie's auch der Herr Bundespräsident mehrfach betont hat. Und hier gibt es Defizite. Wir können mit einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes in der Budgetgröße unsere Aufgaben zu einem Gutteil erfüllen. Die volle Verteidigungsfähigkeit würde eine noch stärkere Erhöhung bedeuten. Ich bin nun nicht so naiv, anzunehmen, dass das in einem einmaligen Kraftakt gelingen könnte. Aber es steht im Regierungsprogramm ein sukzessives Anheben des Budgets und ein schrittweiser Abbau der Ausrüstungsdefizite. Und ich gehe davon aus, dass die Zahlen und Fakten, die der Generalstab liefert, für diese budgetären Investitionen eine brauchbare Grundlage darstellen."
THÜR: "Jetzt liefern Sie eben in dieser Broschüre auch Zahlen: 610 Millionen Euro würden Sie gern für die Panzeraufrüstung ausgeben, nochmal 350 Millionen Euro für Radpanzer. Ist das die richtige Antwort auf moderne ,hybride' - wie das so schön heißt - Bedrohungen, wie zum Beispiel den Terror?"
BRIEGER: "Zunächst geht's hier nicht um Aufrüstung, sondern um Nachrüstungsmaßnahmen. Es geht um die Erhaltung der Kernfähigkeit, auch konventioneller Systeme, die weltweit immer noch in der Struktur der Heere eine wichtige Rolle spielen."
THÜR: "Aber spielt's in Österreich eine wichtige Rolle, ob wir ,Radpanzer' haben, aufgerüstete Panzer ... Spielt das tatsächlich im Alltag des Landes eine große Rolle?"
BRIEGER: "Im Alltag wahrscheinlich weniger als in einem Krisenfall. Aber die hybriden Bedrohungen bedeuten, Bedrohungen von terroristischen, subkonventionellen Szenarien bis hin zum Einsatz konventioneller Waffen. Und hier ist es eben notwendig, alle Systeme auf einem gewissen Stand zu halten. Wir haben, wie General Entacher richtig dargestellt hat, hier eine gewisse rote Linie überschritten. Bedauerlicherweise fallen viele Waffensysteme, wie ich vorher erwähnte, in den nächsten Jahren aus, weil über 20 Jahre keine Anschaffungen und keine Kampfwertsteigerungen erfolgt sind. Und daher ist eine, auf den ersten Blick zugegebenermaßen sehr hohe Investition erforderlich."
THÜR: "Ein ganz großer Brocken ist auch die aktive Luftraumüberwachung, wie das heißt, also die Düsenjets, die über Österreich fliegen. Da müssen die Saab 105 ausgewechselt werden, die neben dem Eurofighter so zirka 40 Prozent der Luftraumüberwachung über Österreich machen. Da kommen nochmal ein paar hundert Millionen Euro dazu, die da jetzt noch nicht mal mitgerechnet sind.
Ist so eine teure Luftraumüberwachung für Österreich auf Dauer wirklich sinnvoll? Hätten Sie das Geld nicht für die anderen Bereiche, die Sie vorher angesprochen hätten?"
BRIEGER: "Ich glaube, dass die Luftraumüberwachung in ihrer aktiven Form zum Selbstverständnis eines souveränen Staates gehört und insbesondere, dass sie mit dem Neutralitätsstatus auch zusammenhängt, weil Österreich als neutraler Partner in Europa, der ja auf Augenhöhe wahrgenommen werden will, auch sicherheitspolitisch in der Lage sein müsste, seinen Luftraum selbst zu schützen."
THÜR: "Aber geht sich das alles noch aus? Muss das Bundesheer nicht irgendwann mal sagen: ,O.K., diesen einen Bereich machen wir nicht mehr. Es gibt eine klassische Landesverteidigung inklusive Luftraumüberwachung, ein Milizsystem inklusive Grundwehrdienern. Wär's nicht vernünftiger, sich auf weniger dieser Bereiche zu konzentrieren, die dafür aber gescheit zu dotieren?"
BRIEGER: "Ja, wir sind in der Lage, sämtliche Mittel die wir erhalten, nach entsprechenden Prioritäten sinnvoll einzusetzen. Und es gibt natürlich Möglichkeiten, auf bestimmte Kernbereiche zu verzichten. Allerdings ist hier wieder der Neutralitätsstatus ein Diskussionspunkt, der uns eigentlich verpflichtet, analog zum Vorbild der Schweiz, in allen Bereichen einen gewissen Status zu erhalten. Ein Bündnis ermöglicht es hier, sozusagen Nischenbereiche zu besetzen und vielleicht nicht alle Leistungsbereiche auszugestalten. Ein neutraler Staat im wesentlichen für seine Verteidigung selbst Sorge tragen können."
THÜR: "Das heißt, es ist alles oder nichts."
BRIEGER: "So drastisch würde ich es nicht formulieren, sondern nochmals: Wir beabsichtigen die uns zur Verfügung gestellten Mittel prioritär für die wichtigsten Aufgaben einzusetzen."
THÜR: "Herr General, vielen Dank für den Besuch im Studio."
BRIEGER: "Sehr gerne."