Der Bau der SMS Radetzky in 1/700
- nicht auf die billigste Art und Weise.
ein Baubericht von Jim Bauman aus England.
 

die SMS Radetzky in 1/700.
alle Photos: © Baumann

Im Jahre 1911 wurde das österreichisch-ungarische Schlachtschiff S.M.S. Radetzky als eines von drei Schwesterschiffen fertig gestellt.
Seine Bewaffnung bestand aus vier 30,5cm, acht 24cm und zwanzig 10cm Geschützen sowie Schnellfeuergeschützen und drei Torpedorohren.
Eine gut aussehende Schiffsklasse mit hohen Schornsteinen und Masten.

Mein persönliches Interesse an diesem Schiff wurde geweckt, als ich in einem älteren Buch mit dem Titel "Scale Model Warships" von John Bowen (Conway), eine verkleinerte Reproduktion eines sehr guten 1:200 Plan von F. Prasky fand (dieses lohnenswerte Buch ist noch in Antiquariaten und auf Auktionsseiten im Internet erhältlich).
Besonders eingenommen hat mich die ungewöhnliche Anordnung der Bootsverstauung mittschiffs und das fast symmetrische Layout des Schiffes.
Ein paar Jahre später wurden meine Wünsche und Hoffnungen endlich wahr, als WSW den 1/700 Resinbausatz herausbrachte, was bedeutete, dass ich meinen sofort bei WEM bestellte und im Schrank verstaute, um ihn ausreifen zu lassen...
 

sehr dynamische Aufnahme vom fertigen Modell.
 
Anfang dieses Jahres (2003) ergriff ich letztendlich den Stier bei den Hörnern, grub den Bausatz wieder aus und machte mich an die Arbeit.
Ich wollte den Plan aus dem Buch als Grundlage nutzen und das Schiff mit seinem grünen Anstrich, den es bei seiner Fertigstellung hatte, darstellen.
Am Bausatz von WSW war das Antitorpedonetz zusammen mit der Netzablage angegossen. Soweit ich zu diesem Zeitpunkt wusste, waren die Antitorpedonetze in Friedenszeiten jedoch nicht angebracht, obwohl alle Ausleger und Tauwerk für die Bedienung installiert waren. Mittlerweile hat mich Erwin Sieche in diesem Punkt korrigiert, die Netze waren immer am Schiff. Ich jedenfalls ersetzte in mühevoller Kleinarbeit die Netzablagen mit sehr schmalen Messingstreifen, die von Photoätzabfallstücken stammten.
Es war dann, als ich den Schiffsrumpf auf den Plan im Buch setzte und feststellte, dass das Heck zu spitz war und nicht die ausgewogene Rundung der Zeichnung zeigte.
Niedergeschlagenheit machte sich breit, denn es erschien mir unmöglich, dieses nachträglich zu verändern.

Ich erinnerte mich daran, auf der Steelnavy Website eine Rezension über den NNT Bausatz der 1:700 Radetzky gelesen zu haben, die darin in den höchsten Tönen gelobt wurde.
Hmmmmm.

Innerhalb der nächsten paar Minuten schickte ich meine Bestellung zu NNT und wurde schon vier Tage später mit einem zweiten Radetzkybausatz belohnt (das ist kein Beispiel für eine sparsame Hobbyfinanzierung…!)
Dieser Bausatz hatte die korrekte Heckform und als Zugabe noch unzählige kleine pilzförmige Ventilatoren, bei denen ich mich schon gefragt hatte, wie ich sie bauen sollte, und auch eine kleine Photoätzplatine. Als ein weiterer Bonus kam das Torpedonetzregal ohne das Netz, das als separates Teil beilag.
Jedoch die gepanzerte Wand achtern des Kommandoturms war als solider Block dargestellt, wogegen die Aufbauten von WSW, nach den Photos zu urteilen, richtig waren, indem unter dem Deck ein Unterschnitt eingearbeitet war.
Das musste also geändert werden, und so schliff ich das überflüssige Resin mit einem Trommelschleifer, eingespannt in einen Hochgeschwindigkeitsminibohrer, weg, bis ich die angestrebte Feinheit erreicht hatte.
 

unten das Heck des Radetzky-Bausatzes von WSW. Oben der Rumpf von NTT, dessen Form dem Original wesentlich näher kommt.
... und so groß ist der Rumpf im Maßstab 1/700.
 
Die Brücken von Schiffen dieser Ära waren entschieden windige Strukturen, gestützt von einer Anzahl von Pfählen und Streben sowie diversen Leitern und Niedergängen (von WEM*), die zwar fummelig herzustellen waren, aber ein feines Resultat brachten.
WSW, sehr hilfsbereit, hatten bereits Messingstifte in den Schiffsrumpf eingelassen, um den Aufbau zu unterstützen, leider waren diese aber zu dick und nicht maßstabsgerecht.
Ich arbeitete am NNT- Rumpf und bohrte deshalb die Löcher für die Stützen und klebte mit Sekundenkleber einige dünnere Stäbe ein, die die Brücke tragen sollten.
Das WSW Bootsdeck wurde passend gemacht für den NNT Rumpf, der nun, nach meinen nachträglichen Änderungen, den Unterschnitt aufwies, der, nach all dem Aufwand, auf dem fertig gestellten Schiff kaum wahrzunehmen ist.
 

die Brücke

Brücke und Schornsteine am fertigen Modell.
Das Ruderhaus hat sehr markante Fenster nach vorn und zu den Seiten, denen ich ein Gefühl von Leichtigkeit geben wollte, um ihr charakteristisches Aussehen wiederzugeben.
Das WSW Radhaus hatte die richtige Anzahl von Fenstern, aber die Rahmen waren aus Resin und damit zu klobig, die NNT Version hatte die Fenster als rechteckige Erhöhungen dargestellt, einfach zu bemalen, aber nicht ganz, was ich wollte.
Die endgültige Version fertigte ich selbst aus 1:192 Ätzleitermaterial an, das die Fenster in den richtigen Proportionen darstellte.
Ich bevorzugte die WSW Kranmasten und benutzte sie in Verbindung mit den filigranen Photoätzbäumen aus dem NNT Bausatz. Die Bootsstaugestelle baute ich wieder selbst und benutzte dafür WEM Beibootstützen, die zum Askoldset gehörten.

Ich arbeitete mit den WSW Geschütztürmen, bei denen die Geschützrohre in der Gussform schon integriert waren, aber ich schnitt die Sockel für die Schnellfeuergeschütze von den NNT Geschütztürmen ab und klebte sie an die von WSW, so dass sie bereit waren, die SEHR guten Photoätz-Schnellfeuergeschütze von NNT aufzunehmen.
 

die achteren Geschütztürme.
 

Die grauen Kreise um die Geschützturmbarbetten herum (wofür die nur da waren?**) wurde mit dem Zeichenzirkel mit einer sehr weichen Bleimine gezeichnet und mit einem feinen Pinsel ausgefüllt.
Anker und Ketten kamen wiederum von dem NNT Photoätzset.
 

Am Anfang, noch bevor ich den NNT Bausatz gekauft hatte, hatte ich schon beschlossen, die Schornsteine selbst zu bauen, weil sie bei WSW einfach zu grob waren. Wie auch bei Kombrig oder Modelkrak Bausätzen, verwendete ich Aluminiumrohr, das leicht zusammengedrückt wird, so dass es nicht mehr rund, sondern flach-oval ist.
Die Handrelings bestehen aus sehr feinem Kupferdraht (Lautsprecherdraht) und wurden mit Sekundenkleber befestigt. Bei NNT waren die Relings als Rillen im Schornstein dargestellt, schön, aber die Schornsteine waren trotzdem nicht hohl.
Die Dampfröhren habe ich aus Messingdraht hergestellt, die Leitern kamen von WEM.
Das Schornsteinrost wurde aus Lautsprecherdraht und erhitzten lang gezogenen Plastikfäden von einem Gussast (Sprue) scratchbuilt.
Die Beiboote stammen von NNT, WSW, und WEM.
Die Ruder stellte ich wiederum aus braunem Sprue her, wobei ein Ende jeweils mit einer feinen Zange flachgedrückt wurde, was einen erheblichen Unterschied in der Gesamterscheinung darstellt.
Die Plattform für die Suchscheinwerfer achtern wurde scratchbuilt.
Die Brückenrelings waren im vorderen Teil der Brücke höher und bestanden aus drei Querstangen, im Gegensatz zum übrigen Schiff, wo sie überall zwei Querstangen oder aber eine einzelne Kette zwischen den Stützen hatten.
Für den Leinwandwindschutz an den Relings (Dodgers) zog ich nach dem Bemalen der Relings Weißleim zwischen die Querstangen. Der Leim wird nach dem Trocknen durchsichtig, und so kann man, wenn man danach nur die Außenseite der Dodgers bemalt, an der Innenseite immer noch die Reling sehen (Diese Methode ist besonders effektiv, wenn die Relings grau sind und das Tuch weiß z.B. Kaiserliche Japanische Flotte.).
Der Glaseffekt der Brückenfenster wurde erreicht, indem ich "Krystal Klear"- Weißleim benutzte.
Die Antitorpedonetzbäume bestehen aus Messingstäben.
Die Aufrolldavits für die Antitorpedonetze habe ich aus Modelleisenbahnphotoätzteilen, nämlich den in die Hälfte geschnittenen Türgriffen eines Waggons, hergestellt (!).

 


einmal um die Radetzky.

die Backbordseite.

auch die Meeresoberfläche ist gut gelungen.


aufregendes Detail.

Die komplexen Bordleitern wurden aus Teilen vom WEM Iron Duke Set sowie anderen Kleinteilen zusammengestückelt. Die Relings stammen von WEMs Askold und von GMM Goldplus, welche überaus fein sind. Sie wurden mit wasserunlöslichem Folienstift eingefärbt und mit grauer Farbe "verwaschen".
Die Flagge besteht aus Papier und wurde mit Buntstiften gezeichnet, das goldene Wappen wurde mit gelb aufgemalt (und ist dabei kaum sichtbar).
Die Farbe, in der das gesamte Schiff bemalt ist, ist das österreich-ungarische Olivgrün, auch bekannt als MONTECUCCOLIN. Der Farbton, der dem am nächsten kommt, ist Humbrol 31, nach einem Artikel von Falk Pletscher zu urteilen, der im Dan H. Jones Plastic Ship Modeler Magazin 1997/2 herausgekommen ist. Dieses Magazin kann man jetzt nur noch im SMML Archiv online lesen.
Falk beschreibt die Farbe des Streifens zwischen Unterwasserschiff und Rumpf als rosa(!). Das ist sicherlich korrekt, würde aber meiner Meinung nach am Modell nicht glaubwürdig wirken.***
Es gibt ein schönes Foto von einem guten Modell der "Erzherzog Karl" aus dem Marinemuseum Wien, das man auf der Website kuk-kriegsmarine.at betrachten kann, und das weist einen leuchtend roten Streifen auf, was mein Farbgefühl weniger störte.
Die Grundlage für die Meeresoberfläche ist wie immer Aquarellpapier aus dem Künstlerbedarf, was genauestens in der englischsprachigen "How-to" Abteilung auf modelwarships.com beschrieben ist sowie auch meine Takelage- und Verwitterungstechniken.

So, da ist es nun, ein sehr attraktives kleines Schlachtschiff einer im englischen Sprachraum weniger bekannten Marine.
 

Ich habe für den Bau den oben erwähnten Plan von F. Prasky genutzt sowie die Fotos aus dem Buch "K.u.K. Flotte 1900-1918 von Wladimir Aichelberg und Band 2 von "Die Schiffe der K.u.K. Kriegsmarine im Bild 1896-1918" von Lothar Baumgartner und Erwin Sieche, ein wirklich hervorragendes Photonachschlagewerk.
Ich kaufte es online bei der Christian Schmidt Buchhandlung, Deutschland.
Ich nutzte ebenfalls Fotos aus verschiedenen anderen Büchern.
 

Es hat viel Spaß gemacht, ein für mich außergewöhnliches Schiff zu bauen, und ich freue mich auf das nächste K.u.K. Projekt. Während ich dieses schreibe, steht die SMS "Zenta" im Maßstab 1:700 von WSW auf meiner Werkbank bereit. (das Modell ist mittlerweile fertig und im unserem Artikel über die Zenta-Klasse zu sehen)
 

Wir danken Jim Baumann für diesen schönen Beitrag und natürlich auch seiner Frau für die sehr gut gelungene Übersetzung.
Jim Baumanns bisheriges Lebenswerk kann man auf seiner Seite in der ModelShipGallery bewundern. Zahlreiche Schiffsmodelle von 1/72 bis 1/700.  Link


Hinweis: Heutige Schifsmodelle in 1/700 wirken schon sehr schön, wenn man sie einfach aus der Schachtel baut und bemalt. Der Formenbau ist schon sehr weit fortgeschritten.
Mit nur einigen wenigen Ätzteilen, die zunehmend den Bausätzen beigelegt werden, lassen sich noch imposantere Modelle erzeugen.
Das hier abgebildete Modell zeigt Schiffsmodellbau in einer "abgehobenen" Form, die vermutlich weltweit kaum jemand zu stande bringt. Nicht nur der Zeit-, auch der Kosteneinsatz ist enorm (mehrere Bausätze, Ätzteile).
Das soll Sie in keiner Weise vom Bau eigener Schiffe abschrecken - wir sind auch nicht abgeschreckt. Beeindruckt sind wir schon.

 
*)
**)



***)
WEM: White Ensign Models
Diese Frage können wir beantworten: Sie dienten dem Schutz des Holz-Oberdecks vor herabfallenden Geschoßhülsen, die darüber aus dem hinteren Teil des Turms ausgeworfen wurden.
das Rosa ist korrekt und entstand durch die Mischung von Weiß mit Giftstoffen gegen Algen.
 
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