Boeing 737-800 TC-JFV © Aero Icarus

SEVEN FIVE, MAN WITH KNIFE

by Doppeladler

Boeing 737-800 der Turkish Airlines mit Kennung TC-JFV (S/N 29782); 2013 in Düsseldorf © Aero IcarusEin Entführungsopfer? Boeing 737-800 der Turkish Airlines mit Kennung TC-JFV (S/N 29782); 2013 in Düsseldorf © Aero Icarus

Die Besatzung eines Turkish Airline Fluges löste am 28. November 2014 versehentlich Terroralarm über Österreich aus. Doch die vermeintliche Flugzeugentführung stellte sich als durch einen Druckabfall ausgelöste Luftnotlage heraus.

Freitag, 28. November 2014 um 14.55 Uhr – Flug TK1618 der Turkish Airlines, unterwegs von Frankfurt nach Istanbul, erregt die Aufmerksamkeit der österreichischen Luftraumüberwachung.
Die Boeing 737-800 mit etwa 180 Passagieren an Bord nahm beim Einflug nach Österreich laut der Tageszeitung Kurier keine Funkverbindung mit der Austro Control auf (andere Quellen sprechen davon, dass es zwar Funkverbindung gab, aber die Piloten kaum zu verstehen waren). Urplötzlich verließ die Maschine ihre Reiseflughöhe von 39.000 Fuß (FL390) und ging in einen steilen Sinkflug über. Gleichzeitig sandte die Maschine den Notfall-Transpondercode 7500 für Flugzeugentführungen aus und drehte den Kurs Richtung Ostösterreich.

Diese Vorgänge ließen natürlich bei der Luftraumüberwachung sämtliche Alarmsirenen ertönen. An jenem Tag hatten die Saab 105 Oe am Fliegerhorst Vogler in Linz-Hörsching Alarmbereitschaft.  Die Alarmrotte, bestehend aus zwei der betagten Jets, bewaffnet mit je zwei 30 mm Kanonenpods, führte einen Alarmstart Priorität Alpha aus. Aus Kostengründen bleiben ja Österreichs topmoderne Abfangjäger, die Eurofighter Typhoon, immer öfter in ihren Boxen. Und so half es auch nichts, dass Flug TK1618 im idealen Abstand von rund 40 km an Zeltweg vorbeiflog.

Bewaffnete Rotte Saab 105 Oe © BundesheerBewaffnete Rotte Saab 105 Oe © Bundesheer

Um 15.00 Uhr – die Boeing befand sich im Raum Liezen – gelang es den Fluglotsen, endlich Funkkontakt mit dem Piloten herzustellen. Er klang seh nervös und kündigte eine außerplanmäßige Landung in Wien an. Aufgrund der gemeldeten Flugzeugentführung musste die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass die Besatzung von Terroristen bedroht wird und Wien das Ziel eines Terroranschlags sein könnte.

Um 15.07 Uhr – keine 12 Minuten nach dem Alarm (!) – fingen die Saab 105 die Maschine über dem Hochschwab-Gebiet ab. Ab diesem Zeitpunkt wichen die Jets der Boeing nicht mehr von der Seite.

Bereits im Landeanflug auf Wien-Schwechat deaktivierte der Pilot von Flug TK1618 um 15.27 Uhr das Entführungssignal und stellte auf das allgemeine Notfallsignal um. Bei schlechten Wetterbedingungen setzte die Boeing 737 um 15.28 Uhr auf der Landebahn auf. Das Flugzeug musste zunächst neben der Piste 34 warten und wurde dort von Blaulichtfahrzeugen umstellt. Um 16:12 Uhr wurde das Flugzeug zum Ost-Areal auf eine spezielle Abstellposition für Flugzeugentführungen beordert, wo die Polizei in Stellung gegangen war.

Die Route von Flug TK1618 der Turkish Airlines aus den Transponderdaten © nach FlightAwareDie Route von Flug TK1618 der Turkish Airlines aus den Transponderdaten – inkl. Flughöhen und Fluggeschwindigkeiten © Originalgrafiken: FlightAware

WAS WAR GESCHEHEN?

In der Boeing 737 kam es über der deutsch-österreichischen Grenze zu einem plötzlichen Druckabfall in der Kabine. Die Sauerstoffmasken wurden ausgelöst und fielen von der Decke. Wie in derartigen Notfällen vorgesehen, ging der Pilot in einen Notsinkflug über, um dichtere Luftschichten zu erreichen. Unter den Passagieren brach Panik aus.

Irrtümlich wurde durch den 1. Offizier über den Transponder Entführungsalarm (7500) anstelle des allgemeinen Luftnotfalls (7700) ausgesendet.

  • Squawk 7500 – Notfall-Transpondercode für Flugzeugentführung
    (Der Merksatz: seven five, man with knife)
  • Squawk 7700 – Notfall-Transpondercode für Luftnotlage
    (der makabere Merksatz: seven seven, goes to heaven)

Ein Passagier, der einen Kreislaufkollaps erlitt, wurde in der Flughafenambulanz versorgt. Die übrigen Passagiere wurden auf andere Flüge umgebucht. Die Boeing konnte bereits am nächsten Tag nach Istanbul überstellt werden und nahm am 30.11.2014 wieder den Liniendienst auf. Dieser Umstand zeigt, dass wohl nur eine Kleinigkeit Auslöser für die dramatische Situation war.

Bezüglich der Funkverbindung zwischen Flug TK1618 gibt es unterschiedliche Angaben. Der Kurier, der die Vorfälle im Detail schildert, spricht davon, dass es keine Funkverbindung gab. Andere Quellen, wie der Aviation Herald behaupten, dass es Kommunikation gegeben hat und eine zweite Maschine der Turkish Airlines als Kommunikationsrelais diente. Möglicherweise war die Kommunikation aufgrund der notwendig gewordenen Sauerstoffmasken der Piloten und / oder dem „Stille-Post-Effekt“ durch die zweite Maschine beeinträchtigt.

Boeing 737-800 TC-JFV im Oktober 2010 © Dreamcatcher 68Boeing 737-800 TC-JFV im Oktober 2010 © Dreamcatcher 68

GLÜCK GEHABT

Hätte es sich um eine tatsächliche Entführung mit geplantem Terroranschlag gehandelt wäre vermutlich nur durch Zufall eine Katastrophe zu verhindern gewesen. Für die bis zu 44 Jahre alten Saab 105 Oe ist es gar nicht einfach, ein Passagierflugzeug zu stellen. Eine Boeing 737-800 kann 870 km/h erreichen, die Saab maximal 970 km/h – allerdings ohne Außenlasten (Kanonenpods) und nicht im Steigflug nach einem Alarmstart. Die Route von Flug TK1618 erlaubte es den Jets jedoch, dem Ziel den Weg abzuschneiden.

Hätte sich der Vorfall etwas später ereignet wäre an diesem Tag überhaupt keine Alarmrotte mehr in Bereitschaft gestanden, denn seit 1. September 2014 gilt die „Luftraumüberwachung Super-Light“. Die durchschnittliche Einsatzbereitschaft der Bundesheer-Jets sank von 12 auf 11 Stunden pro Tag („Sitzbereitschaft“ am Boden). Durch die Abschaffung fixer Stand-By-Zeiten will man im Gegenzug „unberechenbarer“ werden.

Die Eurofighter Typhoon dürfen nur mehr 1.070 Stunden (erst kürzlich auf 1.300 Stunden reduziert) und die Saab 105 OE nur mehr 1.200 Stunden pro Jahr fliegen. Für die 15 Typhoons stehen jetzt nur mehr 12 Piloten (bisher 16) zur Verfügung. Die Hochleistungsjets reichen stückzahlenmäßig und mit stark begrenzten Stundenkontingent alleine nicht aus, um den Luftraum aktiv zu überwachen. Und die völlig veralteten Saab 105 – die am 28.11. wieder einmal als Notnagel fungierten – benötigen dringend einen Nachfolger, für den es kein Budget gibt. Schlimmer noch: Ohne Update der Avionik müssten sie mangels Zulassung am Boden bleiben. Nur für 12 der 22 Maschinen ist dieses Update vorgesehen, um den Typ noch bis ins Jahr 2020 flugfähig zu halten.

Fazit: Flug TK1618 – das ist die Geschichte über eine Flugzeugentführung, die keine war. Für die 180 Passagiere ein Horrorflug. Der Vorfall stellte aber auch die Leistungsfähigkeit der aktiven Luftraumüberwachung unter Beweis – 10 bis 15 Minuten benötigt man in Friedenszeiten anderswo bis zum Start der Abfangjäger!
Es wird allerdings auch deutlich, dass man aufgrund der immer neuen Sparvorgaben mittlerweile sehr stark vom Glück und Zufall abhängig geworden ist, um adäquat auf Krisen im österreichischen Luftraum reagieren zu können. Angesichts der Verkehrsdichte über unseren Köpfen ist das ein ernstzunehmendes Sicherheitsrisiko.

PS: Die Boeing 737-800 TC-JFV der Turkish Airlines hat übrigens bereits schon einmal am Vienna Airport für Aufregung gesorgt. Am 18. Juli 2010 verlor die Maschine bei der Landung Teile der Abdeckung des rechten Triebwerks. Auch damals ging der Vorfall glimpflich aus. Die Runway 34 musste gesperrt und von den Trümmerteilen befreit werden.

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